Kultur

Eher verhalten ist die Erotik in dem Raum mit Abigail Lanes "Bottom Wallpaper" (kombiniert mit "Blue Inked Chair" und "Ink Pad, Blue"), die lauter Gesäßabdrücke zeigt. (Fotos: VG Bild-Kunst/Neues Museum Nürnberg/Annette Kradisch)

05.04.2024

Große Leinwand für moderne Kunst

Das Neue Museum in Nürnberg zeigt in Zusammenarbeit mit der Sammlung Goetz Wandgestaltung mit modernen Künstlertapeten

Raufaser oder Seidentapisserie: Bei der Wahl der richtigen Wandverzierung scheiden sich nicht nur die Geister. Die Frage der korrekten Raumdekoration kann die Stimmung wesentlich beeinflussen. Werden die Wände beispielsweise in allzu opulente Farben geschlagen, wird aus der Schlafkammer schnell die süßlichste Hochzeitssuite – das kann manchen sprichwörtlich die Wände hochjagen.

In der Ausstellung Tapetenwechsel will das Neue Museum in Nürnberg nicht nur diesem Pas de deux zwischen Wanddekoration und Gefühlszustand auf den Grund gehen. Dank der sanft geschwungenen, 100 Meter langen Glasfassade des Kunst- und Designmuseums am Klarissenplatz kann das Publikum der Tapetenschau gleichzeitig das spannende Wechselspiel zwischen Interieur und Exterieur beobachten. In sechs Fassadenräumen des Museums wird der künstlerischen Innenraumgestaltung gehuldigt.

Teurer Tapetenwechsel

Dass die Schau tatsächlich ins Museum und nicht in den Baumarkt gehört, macht ein kurzer Blick in den kulturellen Rückspiegel deutlich. Die Gestaltung von Innenräumen mit Tapeten hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition. Spätestens seit dem 14. Jahrhundert schmückten Adlige ihre Raumwände mit edlen Stoffen aus schimmerndem Damast, goldgeprägtem Leder oder edlem Samtbrokat. Die Mode schwappte aus dem Orient nach Europa. Besonders beliebt waren bald Papiertapeten aus China, die in den Burgen und Schlössern an Loire, Rhein und Mosel einen noch rascheren, wenn auch weiterhin ziemlich kostspieligen Tapetenwechsel ermöglichten. Die frühen Wanddekorationen bestanden aus handgeschöpften Papierbögen, die mühsam aneinandergeleimt und bedruckt werden mussten.

Die aktuell im Neuen Museum zu bewundernden Künstlertapeten sind allesamt neuzeitliche, um nicht zu sagen postmoderne Nachkommen dieser ästhetischen Dekadenz. Dabei steht eher die Botschaft als das Material im Mittelpunkt. Zur Jahrtausendwende hat die britische Künstlerin Sarah Lucas beispielsweise ein Tapetenmuster mit dem humorvollen Titel Tits in Space entworfen und darin Filterzigaretten in doppelter Kugelform auf schwarzen Untergrund geklebt, die entfernt an weibliche Brüste erinnern sollen. Lucas hatte die Tapete seinerzeit als Hintergrund für eine ihrer angesagten Londoner Einzelschauen gestaltet, in der sie mit Vorliebe die Beziehung von männlicher Lust und weiblichem Rollenverständnis mit kuriosen Anordnungen von Alltagsgegenständen kritisch thematisiert und damit jüngst auch in der Tate-Galerie an der Themse zu sehen war.

Durchaus pikant sind auch die mit Gesäßabdrücken verzierten Papierrollen von Abigail Lane, die in den 1990er-Jahren fünf Jahre lang weibliche Hinterteile auf riesigen Stempelkissen abpauste.

Zur Diskussion hat auch das Tapetenmuster von Robert Gober beigetragen. Im Jahr des Mauerfalls hatte der amerikanische Künstler unter dem Titel Hanging Man/Sleeping Man einen gehängten schwarzen Mann neben einen schlafenden weißen Mann kombiniert und die Tapete ebenfalls in einer angesagten Galerie in Manhattan als Hintergrund für eine Ausstellung an die Wand gekleistert.

Offene Fassadenräume

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten und weckte damit wohl das Interesse von Sammlern wie Ingvild Goetz, die nach der Gründung ihrer Kollektion im Jahr 1993 heute mehr als 5000 Werke aus nahezu allen künstlerischen Gattungen vereint. Das Neue Museum hat schon häufiger mit der Münchner Sammlung Goetz zusammengearbeitet und nun gemeinsam diese gelungene Tapetenschau auf die Beine gestellt beziehungsweise an die Wände geklebt. „Dieser Ort mit der großen Fassade hat uns inspiriert, diese besonderen Künstlertapeten als besonderes Medium in der zeitgenössischen Kunst zu zeigen“, freut sich Museumsleiterin Simone Schimpf und weist auf die aufgeschnittenen Fassadenräume, die sich über zwei Stockwerke an die elegante Glasfassade anschmiegen. „Dadurch kann man die Ausstellung auch von außen nach der Schließung des Museums auf einen Blick ansehen und auf sich wirken lassen“, freut sich Karsten Löcke-mann, der Kurator der durchaus kuriosen und daher unbedingt empfehlenswerten Schau. Dank kostenlosem Multimediaguide können sich auch Nachtschwärmer für die Ausstellung unter dem Sternenhimmel auf dem Klarissenplatz und die Geschichte hinter den ausgestellten Tapeten begeistern lassen, Smartphone vorausgesetzt. (Nikolas Pelke)

Information: Bis 1. September. Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design, Klarissenplatz, 90402 Nürnberg. www.nmn.de

 

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