Kultur

"Capri-Batterie" von Joseph Beuys aus dem Jahr 1985. (Foto: VG Bild-Kunst)

29.07.2016

Kunst mischt den Alltag auf

Das Amberger Congress Centrum erleichtert mit einer umfassenden Ausstellung den Zugang zum Werk von Joseph Beuys

Die Revolution, das sind wir“: mit Stiefeln, Umhängetasche und Filzhut marschiert Joseph Beuys voran. Und wurde zum Frontman der neuen Kunst nach Picasso – zumindest in Deutschland. Ein Künstler zwischen Politik, Schamanentum, Nachkriegszeit, Kapitalismus-Kritik und fester Professorenstelle: 30 Jahre nach seinem Tod und zum 20. Jahr der Sommerausstellungen im Amberger Congress Centrum (ACC) versucht man jetzt, Beuys „in seiner Vielfalt verständlich zu machen“, sagt Sandra Hofmann, die Marketing-Koordinatorin des ACC. Um diese Vielfalt darzustellen, bedient man sich einer Leihgabe von 260 Exponaten. Und eines besonders soll den Besuchern den immer noch schwierigen Umgang mit Beuys erleichtern und versüßen: die Schokolade mit Zitronenöl, die bei der Vernissage verteilt wurde, die Zuckerstücke als Beuys-Imitat. Oder, wenn man sie in der gut gegliederten Schau gefunden hat, mit der Capri-Batterie: nicht Strom aus der Dose, sondern aus der Zitrone, der eine gelbe Glühbirne speist – angeblich 1000 Stunden lang. Auch eine Amberger Beuys-Ikone: der tote Hase. Dem hat er einst in einer Düsseldorfer Aktion „die Bilder erklärt“ – in Amberg ist er jetzt omnipräsent. Weiße Fußspuren führen von markanten Punkten der Stadt zum Congresszentrum und dort zum Bronzehasen von Anne Dreiss, in der Ausstellung dann zur Hasen-Serigrafie im Stil von Warhol und zum „teuersten Stück der Ausstellung“ (Hofmann): Hasenblut. Natürlich kann man die fünf Abteilungen der Ausstellung ordentlich abhaken. Oder von der Zitronen-Stromquelle aus quer weiterwandern nach Lust und Laune. Da fällt einem zuerst die Öffnung des großen Saales nach der Bühne hin auf, die Platz macht für eine andere Beuys-Ikone: den Anzug aus Filz, der vom Schnürboden herunterbaumelt wie ein Menschenbündel. Da hat man dann, von Beuys wie alles mit Stempel und Gruß versehen, seine Kapitalismus-Kritik im Rücken: „Kunst und Kapital“. Man denkt an die Banknoten, die kürzlich im Gespräch waren: Anstatt dem 500er lieber den Geldschein mit Aufdruck 19,99 Euro.

„Das kann ich auch!“

Nicht nur da sieht man, wie Joseph Beuys’ Kunstbegriff weiterwirkt: die Realität hält Einzug in die Kunst, alles kann zum Kunstwerk werden, jeder zum Künstler. Das macht es dem Publikum einfach: „Das kann ich auch!“, und die Putzfrau räumt die Fettecke weg. Aber die scheinbare Beliebigkeit seiner Kunst hatte immer eine fest umrissene Idee als Basis, immer auch die polemische Attacke gegen herkömmliche Kunstvorstellungen und die Suche nach neuen Entwürfen, die nicht in das gerahmte Rechteck passen. Da braucht man nur von der Capri-Sonne in der gleichen Vitrine weiter zu schauen zur Künstlerpost: Eigentlich ziemlich eklig, dieses Plastikpaket. Dabei ist es nur eine Mischung aus Margarine und Schokolade, die da verschickt wird. Würde das Ganze nach 45 Jahren noch nach etwas schmecken oder die „Geruchsplastik“ nach etwas riechen? In allen Sparten der Ausstellung ist viel Beuys drin – kein Wunder bei den hohen Auflagen seiner Objekte. Hundert mal das Gekritzel auf dem Spiegel-Beuys-Titel, hundert mal die fettige Schokolade – Kunst im Zeitalter der Reproduzierbarkeit. Keine Ahnung, ob es auch das Emailschild mehrfach gibt: „Prof. Joseph Beuys. Institut for Cometic Surgery“. Oder das Negativ, wo Beuys als Shakespeare-Held posiert. Er war überall dabei, wenn es um neue Konzepte und Materialien ging. Schließlich haben die Grünen ihn für die Bundespräsidentenwahl nominiert. Kunst und Alltag, das zeigt die Ausstellung an vielen Beispielen, wurden eins: die runden Stoffflecken, die er aus einer Jeans geschnitten hat, bedeuten für das freigelegte Knie: „Go!“ Und sie machen sich gleich daneben gut als eine Art Fußgängerampel aus Stoff. Wie immer ist auch diese Amberger Ausstellung in ihrem enzyklopädischen Ehrgeiz gut für ein Ganztagesprogramm. An dessen Ende steht als Resumée im Gästebuch: „Ich persönlich finde, dass Beuys einen an der Waffel hat. Es ist aber gerade deswegen lustig anzusehen“, schreibt ein Schüler. Wahrscheinlich hätte Beuys sich darüber gefreut. (Uwe Mitsching) Information: Bis 14. September. Amberger Congress Centrum, Schießstätteweg 8, 92224 Amberg. Mo. bis So. 11-19 Uhr, Do. und Fr. 11-20 Uhr. www.acc-amberg.de Abbildung:
Joseph Beuys protestierte gegen die Auswahlbedingungen an der Düsseldorfer Kunstakademie und besetzte mit abgewiesenen Bewerben das Sekretariat. Bei seiner zweiten Protestaktion wurde er von der Akademie verwiesen – das Foto von Ernst Nanninga hat Klaus Staeck vergrößert und koloriert, Beuys schrieb darüber „Demokratie ist lustig“ (1973).  (Foto: VG Bild-Kunst)

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