Kultur

Der Zug ins Ornamentale ist vielen Bildern der Ausstellung gemeinsam und zeigt sich auch in den Traumfrauenbildern ("Dreams", 1998/Ausschnitt) von Chris Ofili. (Foto: Sammlung Goetz)

31.07.2015

Optischer Imperativ

Die Macht der Bilder: Gemälde aus der Sammlung Götz unter dem Ausstellungstitel "Zufallsmuster"

So ein Titel kann kein Zufall sein: Ausgerechnet Zufallsmuster heißt die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst, die Gemälde aus der Sammlung Goetz präsentiert – einer der größten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst weltweit, die vor allem für ihre hochkarätigen Installationen sowie für einen riesigen Video-Fundus berühmt ist.
Insofern überrascht es fast, dass Ingvild Goetz auch richtige Gemälde, die man an die Wand hängt, zusammengetragen hat – und man wird beim Gang durch die Schau das Gefühl nicht los, die Münchner Sammlerin hege zu dieser Kunstgattung nicht die innigste Herzensbeziehung: zu „zufällig“ eben, zu disparat und seltsam wahllos wirkt, was da zwischen Andy Hopes Horror-Comics, Katharina Grosses Farbexplosionen und Sarah Morris’ Konstruktivismus-Paraphrasen zu sehen ist. Vielleicht spiegelt die Gemäldeauswahl aber auch nur den ganz persönlichen Geschmack der Sammlerin wider, und in diesem Fall wäre die Zusammenstellung vollkommen legitim und durch die Dringlichkeit der Subjektivität mehr als gerechtfertigt.

Konzeptuell verbrämt

Im „Zufallsmuster“ steckt aber auch das „Muster“ – und ein Hang zum Ornamentalen scheint in dieser Bildauswahl noch am ehesten als Konstante erkennbar. So etwa in Chris Ofilis Traumfrauenbildern mit dem Titel Dreams. Wiewohl der höhere Wandschmuck natürlich teilweise konzeptuell verbrämt ist. Denn man weiß ja: Bilder, zumindest die „Gebrauchsbilder“ des medialen Alltags, können wie optische Imperative wirken, die uns lenken, unser Bewusstsein leiten und damit – von der Werbung bis zur Tagesschau – Macht ausüben. Darum versuchen Künstler heute oft, diese Funktionalisierung des Bildes mitzureflektieren, zu enthüllen. Paradoxerweise gehen sie gerade damit aber in die Falle. Weil Bilder, die auf die Ideologisierung des Bildes hinweisen wollen, eben ihrerseits den Betrachter jener Fremdbestimmung unterwerfen, die sie thematisieren: Auch sie wollen wie Oberlehrer bloß unser Bewusstsein lenken.

Nicht ganz von dieser Welt

Aber dann steht man in der Ausstellung plötzlich vor den Gemälden Luc Tuymans’: zarten Grisaillen, die das optische Sperrfeuer der übrigen Exponate verstummen lassen. Welch eine Wohltat! Die Werke des Belgiers, so etwa sein Bild eines Containerschiffs (Cargo), scheinen von hauchdünnen Schleiern überzogen und wirken wie nicht ganz von dieser Welt.
Mit ihrem Grau-in-Grau und ihren blassen Pastelltönen muten sie oft genug wie Visionen an, wie vage Erscheinungen aus einem Reich anämischer Archetypen. Fast meint man, sie gewährten einen Blick in rätselhafte Fernen, in jene unerreichbaren Regionen, wo das Eidetische noch ein Zuhause hat. Tuymans’ Gemälde sind Bilder von Bildern; Filmstills, Zeitungsfotos oder selbstgemachte Polaroids dienen ihm als Vorlagen, und insofern scheinen sie bei oberflächlicher Betrachtung in die erwähnte Rubrik didaktischer Diskurs-Illustrationen zu fallen. Aber indem sie genau die Unvollkommenheit der Reproduktion reproduzieren, sind diese Gemälde das offensive Bekenntnis zum Derivat.
Und so legt Tuymans, dieser Romantiker der Überbelichtung, gerade im letzten Abklatsch der Realität ihre Ursprünglichkeit wieder frei. Was immer er malt, sein Sujet ist die Lüge des Abbildes. Doch indem er sie feiert, macht er sie erst als sie selbst sichtbar – und damit plötzlich durchsichtig auf das Urbild hin. Natürlich hat die virtuose Bewusstlosigkeit, mit der Tuymans Unschärfe in Unschuld umschlagen lässt, etwas von metaphysischem Eklektizismus und balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Genialität und Hochstapelei. Aber das muss wohl so sein.
Denn in Zeiten, da nicht nur die Authentizität des Bildes, sondern auch die Konsistenz des Authentischen selbst fragwürdig geworden scheint (bis hin zu Finanz-Derivaten), ist da nicht im Halbseidenen, das als letzter Abklatsch des Echten dessen ganze Deformation enthüllt, auch die letzte Erinnerung an Gültigkeit aufbewahrt? (Alexander Altmann) Bis 14. Februar 2016.Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München. www.hausderkunst.de

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.