Kultur

Charles Workman als Skuratov. (Foto: Wilfried Hösl)

25.05.2018

Opulente Materialschlacht

Frank Castorfs Regie der Janácek-Oper „Aus einem Totenhaus“ am Münchner Nationaltheater wirkt undifferenziert

Er braucht den Widerspruch. Besonders gern provoziert er die konservativen Gemüter im Publikum. Wer Frank Castorf inszenieren lässt, weiß, dass die Buh-Rufe am Ende geradezu einkalkuliert sind. Trotzdem zählt der ostdeutsche Regisseur längst zum Establishment. So gesehen kommt sein Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper ziemlich spät. Das benachbarte Residenztheater war schon viel früher dran. Selbst im Opernfach gab es im Freistaat Bühnen, die schneller waren. Bei den Bayreuther Wagner-Festspielen hat Castorf bereits 2013 den Ring neu inszeniert.

Faible für Dostojewski

Das jetzige Regiedebüt Castorfs am Nationaltheater war grundsätzlich schlau gewählt. Mit Aus einem Totenhaus von Leo Janácek wurde eine Oper ausgewählt, die auf einem Stoff von Fjodor Dostojewski basiert. Für diesen russischen Autor hat Castorf eine Vorliebe. Schon vor 25 Jahren hat Castorf die Dämonen verfilmt, zudem mehrere Stoffe von Dostojewski inszeniert.
In Aus einem Totenhaus verarbeitet Dostojewski seine Erfahrungen als Häftling in einem sibirischen Straflager. Unter Zar Nikolaus I. gehörte der Schriftsteller einem Kreis liberaler Literaten an, der zerschlagen wurde. Das Todesurteil für Dostojewski wurde in letzter Sekunde aufgehoben und in Lagerhaft umgewandelt. Mit seinem autobiografisch gefärbten Roman prangert Dostojewski nicht nur den unmenschlichen Strafvollzug im Zarenreich an. Vielmehr entwirft er ein vielschichtiges Psychogramm über das Lagerleben. Bei Dostojewski wird das Gefängnis zur Metapher für eine Gemeinschaft schlechthin, die dem Ich stets repressiv aufgezwungen wird.
Dagegen entlarvt Castorf das Lagersystem als grausames Kontinuum der Geschichte – gerade in Russland. So haben die Kommunisten das zaristische Lagersystem Sibiriens zum gigantischen Gulag ausgebaut. Tatsächlich hat Dostojewskis Roman „Lagerliteratur“ in Russland inspiriert: Anton Tschechows Die Insel Sachalin etwa oder Archipel Gulag von Alexander Solschenizyn (1973/75). Leider blendet Castorfs Regie aus, dass dieses Lagersystem auch im heutigen Russland existiert.

Das Heute ausgespart

Er wolle kein aktuelles Theater machen, betont Castorf in Interviews. Auch bei dieser Inszenierung arbeitet er mit „historischen Schichtungen“, um das Heute komplett auszusparen. So marschieren Zaristen und Stalinisten über die Bühne, auch Leo Trotzki ist präsent. Ansonsten zitiert sich Castorf selbst, samt Filmeinblendungen und Texten vor allem aus den Dämonen.
Diese Materialschlacht wird im Bühnenbild von Aleksandar Denic zu einer Bilderflut. Mit ihm hat Castorf auch in Bayreuth gearbeitet. Ein monströses Gebilde zeigt den Gulag mit dem Elektrozaun von Auschwitz. Ein Zwiebelturm symbolisiert die russisch-orthodoxe Kirche: Die Geistlichkeit hat einst die repressive Politik der Zaren unterstützt. Unter Lenin und Stalin findet sich der Klerus selber im Straflager wieder.
Und das Heute? Das dreht sich als Pepsi-Leuchtreklame.
In dieser opulenten Überflutung gibt es weder Platz für eine kluge Personenführung, noch Raum zur Entfaltung für die Solisten. Bei der Premiere galt das für Bo Skovhus (Sisikov), Peter Rose als politischer Häftling Gorjancikov und Evgeniya Sotnikova als Tartar Aljeja, ebenso für Ales Briscein (Luka) und Charles Workman als Narr Skuratov.
Auch die vielfach kammermusikalisch reduzierte Musik wurde von dieser Opulenz geradezu erschlagen. Dabei war Simone Young durchaus bemüht, mit dem Bayerischen Staatsorchester dieses Profil zu verlebendigen. Dafür hat die Dirigentin aus Australien auf eine kritische Neuedition von John Tyrell zurückgegriffen. Das Ergebnis blieb bei der Premiere recht diffus, auch in der Intonation.
Vor allem aber ist Castorf dieser Oper nicht gerecht geworden. Dafür war seine Regie viel zu überladen und undifferenziert. Diese Dostojewski-Oper ist auf halber Strecke stecken geblieben. (Marco Frei)

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