Kultur

Deftige Sinneslust: „Bacchantenpaar“ von Lovis Corinth - heir ein Ausschnitt, die Gesamtansicht sehen Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: MGS)

25.11.2016

Schwelgen im Schlüpfrigen

Das Schweinfurter Museum Georg Schäfer zeigt die beliebten Themen von Malern der Décadence

Freiheit der Kunst, Befreiung vom Zwang, nur Schönheit, Ideales, moralisch Erbauliches darstellen zu müssen, war der Auslöser für eine Strömung in der bildenden wie der literarischen Kunst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als Décadence bezeichnet. Dieser Begriff wird oft mit Dekadenz verwechselt – bedeutet aber eigentlich Abkehr vom bisher Gültigen. Dies meint nicht die äußere Form. Die blieb formal im bisherigen Gewand. Die Künstler waren Meister der Darstellung, der Historienmalerei, des Symbolismus, des Impressionismus, des verfeinerten Fin de Siècle, des Jugendstils. Der Inhalt ihrer Sujets war es, der in gewisser Weise „zersetzend“ wirkte, Grauen, Nervosität, unangenehme Regungen oder einfach das Gefühl des Unbequemen, eine gewisse Abwehrhaltung auslöste. Dem geht nun mit einer gut bestückten, sehr geschickt auch durch große Reproduktionen aufbereiteten Ausstellung das Schweinfurter Museum Georg Schäfer nach. Lockruf der Décadence ist sie betitelt, zeigt vorwiegend deutsche Malerei von 1840 bis 1920. Die nackten Tatsachen etwa auf den Aktdarstellungen, das Orgiastische oder scheinbar Schlüpfrige schockiert heute kaum mehr, auch Gestalten wie Salome oder wilde Faune lösen heute höchstens ein mildes Lächeln aus. Wir sind an solches durch die Medien und andere Quellen mehr als gewohnt – andererseits kennen wir nicht mehr die Hintergründe der alten Geschichten. Dass damals Lebensüberdruss, überhitztes Amüsement oder Randgruppen der Gesellschaft wie Prostituierte, Tänzerinnen, die Halbwelt in schummrigen Bars und Theatern der Großstadt oder auf der Straße, Anstößiges oder Anrüchiges in den Mittelpunkt rückten, weist auf einen grundsätzlichen Pessimismus hin, die Ahnung vom Zerfall der bisherigen Ordnung.

Geist und Erotik

Museumsleiter Wolf Eiermann hat für diese inhaltliche Schau 120 Arbeiten aus den eigenen Beständen ausgesucht und 38 Leihgaben dazugegeben. Die Werke entstammen verschiedenen Stilrichtungen. Vertreten sind viele bekannte Künstler. Geordnet wurden die Exponate nach thematischen Kapiteln und präsentiert in salonartigen Räumen. Der Besucher wird gelockt durch Corinths Bacchantenpaar auf Plakaten, und stößt im Museum gleich auf die große Reproduktion des Gemäldes von Thomas Couture, Les Romains de la Décadence, mit homoerotischen Anspielungen, später auf Das Gastmahl des Plato von Anselm Feuerbach mit seiner Konfrontation vom Geistigen mit dem lustvoll Erotischen. Anfangs wird noch der Kontrast zwischen frühchristlicher Askese und Libertinage thematisiert und es werden die ersten schamhaften Versuche gezeigt, sich an Freiheit zu wagen, etwa beim Bild der Frau des Künstlers Begas von hinten, nackt vor einem Spiegel. Dass zu „orgiastischen Welten“ auch Spitzwegs Badende Nymphen zählen sollen, ist inzwischen nicht so ganz geläufig, eher vorstellbar, dass man die wildbewegte Bacchanal-Szene von Franz von Stuck oder Böcklins düsteren Tanz um die Bacchus-Säule darunter einreihte. Als skandalös galten einstmals die Illustrationen von Rops oder Beardsley. Klingers lebensmüdes Gerippe Auf den Schienen oder Heinrich Kleys böse Zeichnung Inspiration betonten die destruktiven Vorstellungen der Künstler. Kokotten und Kurtisanen wurden oft Bildgegenstand. Die ambivalente Kehrseite ihres Lebens unter dem Diktum Liebe und Sex gegen Geld blieb dabei eher erahnbar. Denn solche Damen verströmten oft einen Hauch von großer Welt, wie etwa die „züchtige“ Dame im großen Kleid von Albert von Keller oder die rothaarige Frau von Max Slevogt. Ein Hauptwerk der ganzen Ausstellung ist Die Pest in Florenz von Hans Makart: ein großes Triptychon, in dem angesichts des drohenden Untergangs durch die Seuche gerade die Sinneslust in allen Bereichen in einem vielfigurigen Szenario ausgelebt wird. Dass die germanische Sittlichkeit über die römische, die antike Dekadenz siegt, war wohl eine damalige Wunschvorstellung vieler Bürger, sichtbar an Gestalten wie der aufrechten Thusnelda, der Gattin des Arminius, oder Alarich, dem letzten Goten. Als Verkörperung der Sünde galt die Figur der Salome: gefährlich schön, dämonisch, lasziv gesehen von Habermann oder Ferdinand von Rezni(c)ek. Die Tänzerinnen von Malerfürst Stuck erinnern an Salomes berühmten Schleiertanz. Damals entstanden viele weibliche Aktdarstellungen nach Modellen; die nackte „schwarze Bayadere“ von Putz wurde sogar wegen moralischer Bedenken von der Kunstausstellung zurückgezogen. Auch Tanzpaare wurden eigentlich als anstößig empfunden.

Fasziniert von der Bohème

Eine große Faszination auf die Deutschen übte das Leben der Bohème in Paris oder anderer Metropolen aus. Auch als leicht anrüchig galten Besuche im Café. Geradezu dekadent übersteigert wirken manche der übersensibel feinnervig gezeichneten Naturobjekte oder ein liegender weiblicher Akt von Klimt ebenso wie Schieles Bildnis der Grete Wolf mit seinen locker umreißenden Linien. Als Warnung und Mahnung zugleich vor dem Absturz gilt das Bild von Auguste Barthélémy Glaize Die Lieferantin des Elends: Eine hässliche alte Frau, eine Art Hexe, treibt die nackten Schönheiten geradewegs in die Arme des Teufels, während auf der anderen Seite sieben sittsame Jungfrauen in stiller Gemeinschaft um eine Kerze herum sitzen. (Renate Freyeisen) Information: Bis 8. Januar. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. Di. bis So. 10-17 Uhr, Do. 10-21 Uhr. www.museumgeorgschaefer.de

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