Kultur

Auch wegen manch erforderlicher technischer Raffinesse waren Scherzgefäße besondere Schaustücke der Glaskünstlerszene. (Foto: GNM/Felix Röser)

16.02.2024

Tief in die Gläser geschaut

Das Germanische Nationalmuseum zeigt zerbrechliche Meisterwerke seit Römerzeiten

Am Ende der Ausstellung Meisterwerke aus Glas im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM) steht die Frage: „Überall Glas?“ Da darf man dann auf Zetteln notieren, was einem alles zu Glas einfällt. Jemand erinnert an Hermann Hesses Glasperlenspiel, dann wird an den Beatles-Song Glass Onion erinnert. Aber eigentlich erwartet man in dieser Ausstellung natürlich das, was beim Rundgang durch die hauseigenen Museumsbestände mit Fläschchen anfängt – und zwar den besonders alten und kostbaren: zum Beispiel ausgegraben im Römerkastell Weißenburg. Glücklich, wer dank seiner Sammelleidenschaft ein so rares Objekt ebenfalls in der heimischen Vitrine stehen hat.

Im GNM wird einem obendrein erklärt, woraus Glas besteht: aus Sand, Soda, Kalk. Die Herstellung ist schon seit 7000 Jahren, seit der Jungsteinzeit, bekannt.

Wie man in der Ausstellung erfährt, waren Römerfläschchen, wie die dort präsentierten, für Öle und Salben in Gebrauch, man sieht aber auch ein „Tränenfläschchen“ – sicher ist allerdings nicht, ob darin tatsächlich die Tränen der Trauernden aufgefangen wurden.

Ein paar Vitrinen weiter ist man bei den Objekten, die seit der Antike übers Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert schwerpunktmäßig aus Glas hergestellt wurden: aus grünem oder braunem Alltagsglas aus den Waldglashütten. Und man trifft auf die berühmten „Römer“, die man aus der eigenen Erbschaft kennt: mit dem gewickelten Fuß, mit Kuppen am Schaft und der schalenförmigen Kuppa.

Die Ausstellung vollzieht chronologisch den Weg vom antiken Rom bis nach Venedig als Glasstadt par excellence und ihrer Geschichte der Glasbläser, die auf der Laguneninsel Murano festgesetzt wurden, damit die Geheimnisse ihrer Kunst gewahrt blieben. Aus dem 16. Jahrhundert als großer Zeit der Serenissima und ihres Glases hat die Nürnberger Ausstellung eine Fußschale, wie sie heute vielfach noch imitiert wird.

Jahrhundertelang hieß solche Glaskunst aus der Lagunenstadt „à la façon de Venise“, aber schönes Glas kam da längst auch schon aus Böhmen; veredelt wurde es oft in Nürnberg. Dort wurden auch „Scherzgefäße“ hergestellt, so etwa der „Hansel im Keller“ (wahrscheinlich um 1720/30). In dem Trinkpokal ist eine kleine Figur verborgen, die nach oben „schwimmt“ und sichtbar wird, wenn das Gefäß mit Flüssigkeit gefüllt wird. Auf dem Pokal liest man: „Es lebe alles was vergnugt“ und „Auch Hansel so im Keller liegt“. Solche Pokale standen einst wohl im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes.

Ein Ausstellungskapitel ist allein der Stadt als Zentrum der Glasveredelung gewidmet. Veredelung bedeutete in erster Linie Glasschnitt: Anderswo (etwa in Prag) hergestellte Gläser wurden nach Nürnberg geschickt und dort mit den im 18. Jahrhundert beliebten Chinoiserien versehen. Genauso ging es mit dem Spiegelglas: Verfeinert wurde es vor allem in Fürth.

Glasklar ins Hintertreffen

Aus Böhmen kommt bis heute weltweit bekannte Glaskunst, die auch die in der Ausstellung erklärte Tradition fortführt: Mit dem Zusatz von Kalk für das klare Kreideglas habe man Venedig in Sachen Glas ins Hintertreffen verwiesen.

Damit die Ausstellung, gerade auch für Kinder, nicht zu wissenschaftlich wird, fragt sie zwischendurch: „Was ist alles aus Glas?“ Und sie gibt als Beispiele: Glasaugen, Glühbirnen und Christbaumschmuck in Tannenzapfenform. Unterhaltsam sind neben der Erklärung der Überfangtechnik solche Sammlerstücke des 19. Jahrhunderts wie die mit orientalisierenden Dekors seit Napoleons Ägyptenfeldzug und seit den Haremsbildern des französischen Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780 bis 1867).

Viele Abteilungen und Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums haben zu dieser Ausstellung beigetragen, wobei man besonders auch regionale Bezüge berücksichtigte, etwa Motive aus der Fränkischen Schweiz. So steuerte die Musikinstrumentensammlung eine Glasflöte und eine Glastrompete (allerdings aus der Schweiz und aus Frankreich) bei, die medizinhistorische Sammlung beteiligte sich, wobei besonders die Optik aus Dresden und Jena ins Spiel kommt, ebenso ein Dreibeinmikroskop aus Nürnberg.

Der chronologische Aufbau der Ausstellung spiegelt sich auch in einzelnen Vitrinen: etwa zum Thema Schmuck, wo Jahrhunderte vom Reihengräberfund des 7. Jahrhunderts (eine Perlenkette aus Thalmässing) bis zu skandinavischem Strass überspannt werden.

Die großen Zeiten der Studioglasbewegung ab den 1960er-Jahren werden zwar nicht thematisiert, auch nicht die derzeit schlechte Situation der Glasgalerien – aber der Zettel eines Besuchers stimmt doch optimistisch: „My glass is always half full.“ (Uwe Mitsching)

Information: Bis 17. März. Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg. www.gnm.de

 

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