Kultur

"Hellas" in München: (von links): Aikaterini Softsi, Valantis Beinoglou, Angelos Georgiadis. (Foto: Judith Buss)

19.03.2018

Trojanisches Theaterpferd

"Hellas München" an den Kammerspielen

Auch wenn diesmal Laien auf der Bühne stehen - Laientheater ist das natürlich nicht, was hier stattfindet. Es ist nämlich im Grunde überhaupt kein Theater, sondern vielmehr eine Reality-Doku-Late-Night-Show, die gefilmt und im Netz live übertragen wird.

Wobei die Zuschauer an den mehr oder weniger mobilen Endgeräten wohl kaum jene leichte Wehmut empfinden dürften, die reale Theaterbesucher anweht, wenn sie den Werkraum der Münchner Kammerspiele betreten: Da schnulzt Udo Jürgens aus den Lautsprechern und weckt Erinnerungen an die gute alte Zeit, als die Burschen noch schneidig waren, die Dirndln sittsam und die Gastarbeiter gastlich. Weil sie einem nämlich dauernd „Griechischen Wein“ kredenzten in ihren „Vorstadtkneipen“, wie es im Liede heißt. Heute hingegen sind die Griechen hierzulande keine Gäste aus der Ferne mehr, sondern EU-Inländer, also flexible, hochqualifizierte Arbeitsmigranten, bewegt von den Kräften des Marktes und dank Skype nur einen Mausklick von den Lieben in der alten Heimat entfernt. - So zumindest die Idealvorstellung.

Wie die Realität der neuesten griechischen „Gastarbeiter“, die nie vermutet hätten, solche werden zu müssen, bei uns aussieht, zeigt das Projekt „Hellas München“ im Werkraum, das sich als trojanisches Theater-Pferd erster Güte erweist. Denn die Regisseure Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris, echte Nachfahren des listenreichen Odysseus, verstecken hinter der witzig-charmanten Oberfläche dieses kurzweiligen Abends ernste Schicksale und erhellende Einsichten.

Lustige Akropolis-Adieu-Sause mit einer bitteren Erkenntnis

Als Showmaster an einem Tisch mit deutscher und Europa-Fahne fungiert dabei Theatermacher Tsinikoris selbst, der, als Gastarbeitersohn in Wuppertal geboren und aufgewachsen, heute die Experimentalbühne des Griechischen Nationaltheaters in Athen leitet. Gäste der Show sind drei griechische Akademiker, die mit Trolleys auf die Bühne rollen, sehr gut Deutsch oder Englisch sprechen und aufgrund der Wirtschaftskrise in ihrem Land zwecks Arbeitssuche nach München kamen. Im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute, die frustriert zurückkehren müssen, waren sie dabei erfolgreich. Da ist die Architektin Aikaterini, die erst mal als unterbezahlte Spülerin ohne Freizeitanspruch ausgebeutet wurde, wie sie erzählt, aber inzwischen einen besseren Job in einer bayerischen (Gast-)Wirtschaft hat. Der Tourismusmanager Angelos wiederum arbeitet als Buchhalter bei einem hiesigen Reiseunternehmen, und der Informatiker Valantis, der beim Flug nach München so viel weinte, „dass mein Essen wie eine Suppe war“, hat eine gute Stelle im IT-Bereich.

Dazwischen gibt’s Filmdokumente, die das München der 70er zeigen, Intervieweinspielungen mit Gastarbeitern der ersten Generation, eine Kurztherapie, bei der man seelische Schmerzen ins Kissen schreit, und gelegentlich werden griechische Schlager angestimmt, was natürlich die große griechische Gemeinde im Premierenpublikum begeistert. Für alle, die‘s noch nicht wussten (oder nicht wahrhaben wollen) hält diese lustige Akropolis-Adieu-Sause aber eine bittere Erkenntnis bereit: Es sind weder die Götter, die über unser Geschick entscheiden, noch sind wir es selbst. Unser Wohl und Wehe wird vielmehr, auch wenn wir zur Mittelschicht gehören, über unsere Köpfe hinweg bestimmt von globalen ökonomischen Prozessen. Damit der Abend indes nicht zu pessimistisch ausklingt, gibt’s kurz vorm letzten Sirtaki noch eine witzige Szene, wenn die Hellenen die Frage nach ihrem Einkommen so diskret übergehen, wie hierzulande üblich. Besser kann Integration nicht gelingen, beim Zeus!
(Alexander Altmann)

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