Kultur

Ist die Gefahr tatsächlich gebannt? In der Kanone nisten zwar Spatzen, der Soldat strickt – aber das Bajonett steht bereit, und die Kanone ist ebenso wie sein Blick auf den Betrachter gerichtet. Das Bild "Der strickende Wachtposten" malte Spitzweg um 1855. (Foto: Museum Georg Schäfer)

08.08.2014

Trügerische Gemütlichkeit

Das Museum Georg Schäfer zeigt eine phantastische Auswahl aus seinem Spitzweg-Bestand

Carl Spitzweg gilt als Maler deutscher Gemütlichkeit, als Schilderer bescheidenen Glücks. Dass er durchaus hintergründig, auch skeptisch ist, dass er außerdem ein bravouröser Farben-Maler gewesen ist, entdeckt man bei der umfassenden Spitzweg-Schau im Georg-Schäfer-Museum in Schweinfurt. Dort befindet sich die weltweit größte Sammlung seiner Werke – 290 insgesamt. Die jetzige Präsentation zeigt 171 Werke, davon 125 Gemälde und 46 Zeichnungen – alle aus eigenem Bestand.
Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf die Themenkomplexe der humorvoll-kritischen Betrachtung der Wirklichkeit, auf Ausflüge in die Fantasie, auf die souverän malerische Erfassung der Landschaft. Veranstaltet wird die Ausstellung zu Ehren des im letzten Jahr verstorbenen Spitzweg-Spezialisten Jens Christian Jensen, der die Sammlung wissenschaftlich beraten hatte.
Interessant ist, dass der erste Spitzweg-Erwerb die Darstellung eines Orientalen war; der Künstler (1806 bis 1885) hatte sein Modell auf der Weltausstellung in London gesehen, wo er wie andere „Exoten“ vorgeführt wurde. Spitzweg interessierte sich für ferne Länder; da gibt es bei ihm etwa Störche am Nil oder Eskimos im Eis; in diese Gegenden jedoch kam er selbst nie. Spitzweg war, auch wenn beliebte Gemälde wie Der abgefangene Liebesbrief in einer kleinstädtischen Welt spielen, selbst nie darin befangen. Er reiste, so weit es seine Gesundheit zuließ, nach Italien, Österreich, in die Schweiz, nach Paris und durch Deutschland.
Als bildender Künstler war er Autodidakt, aber sehr wohl informiert über die französische Freilichtmalerei der Schule von Barbizon. Auch wenn er diese schätzte: er selbst malte Landschaften nie im Freien, sondern nach Skizzen oder aus dem Gedächtnis, im Alter wegen seines Venenleidens hauptsächlich in seiner Dachwohnung am Münchner Heumarkt. Selbst war Spitzweg (außer in Rücksicht auf seine Gesundheit) keineswegs örtlich beschränkt. In seinen Bildern aber stellte er Beschränkung dar: auf häusliche ebenso wie auf geistige Enge. So wenn er etwa einen Intellektuellen wie den Bücherwurm malte. Auch vermeintlich Fromme nahm er aufs Korn: so die Streitsucht disputierender Mönche oder einen Eremiten, der vergnügt zwei Hähnchen brät.
Spitzwegs Sujets weisen, auch wenn sie vordergründig heiter wirken, oft auf eine Bedrohung des friedlichen Daseins hin. Nicht ohne Grund hat Spitzweg immer wieder Szenen komponiert, in denen die staatliche Obrigkeit nicht gut wegkommt: so, wenn eine reisende Künstlergesellschaft kontrolliert wird von einem Polizisten mit schwarzem Hund. Selbst wenn das Militär wie in Der strickende Wachtposten irgendwie beschäftigungslos scheint, die Natur sich die – auf den Betrachter gerichtete – Kanone schon zurückerobert.
Mit solch feinsinnigen Anspielungen lässt Spitzweg erkennen, dass latent mit Konflikten zu rechnen ist. Die Aussage über die Mächtigen ist keineswegs positiv: Wie der wohlbeleibte Serenissimus die Treppenstufen herab stolziert – das spricht Bände.
Gerne übersieht man, dass in den Spitzweg-Bildern auch die soziale Kontrolle in der Kleinstadtschlecht weg kommt. Wenn etwa bei einem Liebesgeständnis Neugierige zuschauen. Die Orte strahlen nicht nur freundliche Geborgenheit aus. Selbst in der Natur gibt es keine ungetrübte Idylle: Die in einem Waldsee badenden Nymphen werden von Zwergen beobachtet.
Die subtilen Geschichten, die Spitzweg erzählt, begeistern – ebenso sein Umgang mit der Farbe. Anfangs waren die Figuren noch zeichnerisch durch Konturen konzipiert, später werden die Personen kleiner, eingebettet in eine flirrende, farblich abgestufte Farbigkeit, die stark mit Licht und Schatten arbeitet. Spätere Werke sind häufig dunkler, geben auch nächtliche Szenen, Gestalten aus Sage und Märchen, Biblisches wieder. Spitzweg schildert auch den damaligen Alltag, etwa Touristen bei der Ankunft in Seeshaupt. Bei seinen Landschaften liebt Spitzweg Fernsichten; er malte sie aus der Erinnerung, oft extrem kleinformatig, auf Zigarrenkistendeckel. Es sind Landschaften der Sehnsucht, und selbst die kleinsten leuchten von innen heraus. (Renate Freyeisen) Bis 30. November. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. Di. bis So. 10 – 17 Uhr, Do. 10 – 21 Uhr.
www.museumgeorgschaefer.de

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