Kultur

Vom Lächeln allein lässt sich keine Miete und kein Essen zahlen: Die vielen Geringverdiener der Branche müssen gerechter entlohnt werden, lautet die Forderung des neuen Kultur- und Kreativberichts der Metropolregion München. (Foto: dpa)

05.02.2016

Viele Ideen – wenig Geld

Die Metropolregion München stellt die Geringverdiener in den Fokus des neuen Berichts zur Kultur- und Kreativwirtschaft

Weiche Standortfaktoren hieß es einschmeichelnd lange Zeit. Das klingt wie Wohlfühl-Deko zum knallharten Geschäft: Nett, aber halt doch nur ein Anhängsel im Reigen des Big Business – und verzichtbar? Der emanzipatorische Elan der Kulturschaffenden holt neuen Schwung: Die Klaviatur des Betriebswirtschaftsgebarens, wo mit Sprache und Statistiken jongliert wird, kann man genauso gut rauf und runter spielen. Vorbei ist es also mit dem Kuschelbegriff „weiche Standortfaktoren“ – jetzt heißt das „Kultur- und Kreativbranche.“ Dazu die Zahl 65,3 Milliarden Euro: So hoch war nämlich bundesweit die Wertschöpfung der Branche (2013). Und das erlaubt die selbstbewusste Verortung im Ranking: zwischen Maschinenbau (88 Milliarden Euro) und Chemieindustrie (rund 40 Milliarden Euro).

Zwischen Autos und Chemie

Ein solch ungeheures Potenzial in einer Art „Schattenwirtschaft“? 2007 rüttelte die Bundesregierung mit ihrer „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft“ wach, die Länder und Städte machten sich auf die Suche nach diesem ökonomischen Schatz vor ihrer Haustür. So auch die Europäische Metropolregion München: 2012 präsentierte sie ihren ersten „Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht“, vor wenigen Tagen die Fortschreibung. Dass damit nicht die ganz aktuelle Situation, sondern die von 2013 abgebildet wird und für 2014 Schätzwerte angegeben werden, liegt an der Verfügbarkeit des Datenmaterials. Man solle sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, weil das zu gefährlicher Hitzeentwicklung führen könne, kommentierte IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen das verbale In- die-Brust-werfen der Runde, als der Bericht vergangene Woche vorgestellt wurde: Demnach steht die Metropolregion München punkto Kultur- und Kreativwirtschaft im europäischen Vergleich ganz oben, gleich neben Paris und London. In ihr erwirtschaften über 189 000 Branchenbeschäftigte Umsätze in Höhe von gut 22,5 Milliarden Euro – innerhalb von drei Jahren schnellte die Zahl der Erwerbstätigen um 18 Prozent nach oben, die Bruttowertschöpfung legte gar um 27 Prozent zu. Wenn das auf andere Branchen zuträfe... Oder auf andere deutsche Metropolregionen: Jene, die Berlin-Brandenburg umfasst (5,9 Millionen Menschen, Metropolregion München 5,7 Millionen), macht zum Beispiel nur 16 Milliarden Umsatz.

Akt und Prozess

Es ist quasi eine Herz- und Nierenschau in Zahlen und Relationen, die man in dem 135-seitigen Bericht studieren kann. Dabei muss man sich klarmachen, dass zur Kunst- und Kulturwirtschaft nicht nur die Künstler im klassischen Verständnis gehören. Es ist vielmehr eine recht inhomogene Querschnittbranche mit folgenden elf Teilmärkten, in Klammern der prozentuale Anteil am Branchenumsatz: Musik (3), Buch (9), Kunstmarkt (1), Film (10), Rundfunk (19), darstellende Künste (1), Design (8), Architektur (4), Presse (12), Werbung (11), Software-/Games (21), Sonstige (1). Was diese Bereiche unter der Dachmarke Kultur- und Kreativwirtschaft verbindet, sei der „schöpferische Akt“, hat die Wirtschaftsministerkonferenz definiert. Will man die Branche in den Kategorien einer genormten Leistungsschau messen: Wie lässt sich ein schöpferischer Akt in Euro wertschätzen, ist es nicht das Produkt, sein Ergebnis was den Marktparametern entspricht? Vor allem: Kreativität ist in der Regel nicht von einem einmaligen Akt, sondern von Prozessen bestimmt. Den Verantwortlichen der Metropolregion München bereitete das schon länger Unbehagen – man vermutete eine große Dunkelziffer in der Bilanz. Der neue Bericht holt sie ins Licht, fasst sie betriebswirtschaftlich – übrigens erstmals in einer solchen Analyse der Kultur- und Kreativwirtschaft: Es geht um den so titulierten „Minibereich“ mit ungefähr 48 500 Beschäftigten, davon sind etwas mehr as 24 000 selbstständig, die anderen sind geringfügig beschäftigt („Mini-Jobber“). Ihr Anteil von den etwa 189 000 Beschäftigten der Branche ist keineswegs „mini“, wohl aber ihr Beitrag zur Wertschöpfung: Alle Mini-Selbstständigen zusammen bringen es in der Statistik gerade mal auf ein wenig mehr als 150 000 Euro. Bislang wurde in der Statistik niemand unter 17000 Euro Jahresumsatz berücksichtigt. Wenig Verdienst – viel Kreativität: Die Ideenproduktion der Kultur- und Kreativwirtschaft ist geprägt von einer Mikrostruktur; sie steht am Anfang einer Wertschöpfungskette – die Profiteure stehen am Ende. Der Minibereich ist im Prinzip „die nichtfinanzierte Forschungsabteilung der Branche“, definierte Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers, „die Unternehmen profitieren vom Experimentieren dort, wo ein Fehlschlag nicht falsch ist, sondern eine Entwicklungsstufe markiert.“

Lobbyarbeit für die Minis

Es ist, als habe man diesen Minibereich der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht nur in der Statistik, sondern auch gleich auf einer imaginären Roten Liste dingfest gemacht: Weniger als 17 000 Euro Umsatz – wie soll man davon leben, vor allem in München? Angesichts des stolz präsentierten Zahlenspiegels der Branche warnte Hans-Georg Küppers: „Auf der Überholspur dürfen wir die Kleinen nicht auf der Standspur zurücklassen.“ Und das wird wohl die unausgesprochene Aufgabe sein bis zur nächsten Bilanz der Branche: Der Minibereich braucht ein Lobby. Einen Mindestlohn fordert (noch) niemand – die Auftraggeber der Studie (siehe unten) setzen vor allem darauf, Ursprung und Spitze der Branche mehr zusammenzubringen, Veranstaltungen nach dem Modell der Startup-Veranstaltung „Bits & Pretzels“ durchzuführen. Dass der neue Bericht der Metropolregion München den „Mini-Bereich“ explizit ins Scheinwerferlicht stellt, ist ein wichtiger Schritt zur Bewusstseinsschärfung – vor allem bei Unternehmen. So, wie der Bericht aufgestellt und verfasst ist, ist er eine neue Lektion in Sachen Betriebswirtschaftslehre. (Karin Dütsch) Information:
Auftraggeber des Berichts: Europäische Metropolregion München e.V., Kulturreferat sowie Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München, FilmFernsehFonds Bayern, IHK für München und Oberbayern, Handwerkskammer für München und Oberbayern. Erstellt vom Büro für Kulturwirtschaftsforschung, Köln.
Studie unter: www.metropolregion-muenchen.eu/allgemein/infothek

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