Kultur

Leo Niedermeyer hat ein feines Gehör dafür, ob ein Steinway „gestreckt“ klingen muss und noch eine „eingebaute Reserve“ braucht. (Foto: Mitsching)

29.07.2011

Wehe, wenn das Pedal quietscht

Leo Niedermeyer aus Bayreuth ist ein gefragter Klavierstimmer

Massige Akkorde, leidenschaftliche Oktavendeklamation, vibrierende Repetitionen, höchst virtuoses Prestissimo und höllischer Schrecken bis zum fünffachen Forte: es ist Liszt-Jahr. Und das bedeutet Schwerstarbeit für die Konzertflügel. Es ist aber auch Hochsaison für die Männer, die zur Pause herbeieilen, um den Zusammenbruch von Stimmung und Saiten zu verhindern.
Leo Niedermeyer aus Bayreuth gehört zur kleinen Gruppe von Spitzenstimmern. Er hatte sich, heute ist er ein bisschen über 70 Jahre alt, schon mit acht Jahren entschlossen, „Klaviermacher“ zu werden. Das hat er dann auch gelernt, hat erst repariert, dann neu gebaut – besonders Cembali mit dem Spezialgebiet „Resonanzbodenbau“. Denn der sei schließlich „die Seele des Instruments. Der beste Konzertstimmer hat immer nur die Möglichkeit, über die Intonation und Stimmung das aus dem Instrument herauszuholen, was der Resonanzboden und der Hammerkopf vom Instrument freigeben“, sagt Leo Niedermeyer, und: „Man muss angefressen sein von der Begeisterung für diesen Beruf.“
Seine erste Konzertstimmung hat er in Nürnberg gemacht. Seit den 1980er Jahren ist er selbstständig und in Bayreuth, der Sohn hat inzwischen das Geschäft übernommen. Heute wartet Leo Niedermeyer, bis er „eingeladen“ wird: von CD-Produzenten, Pianisten, Konzertveranstaltern – dieses Jahr zu besonders viel Liszt. Lange muss er nicht warten, denn trotz aller „Klassikkrise“ werden laufend neue Aufnahmen produziert. Sich dafür aber zu bewerben habe wenig Zweck, hat Leo Niedermeyer in all den Jahren erfahren, denn besonders die Pianisten wüssten genau, wem sie vertrauen können bei dieser „Symbiose von Klaviermacher und Künstler“.
Die stellt Niedermeyer in ganz Bayern, Italien oder der Schweiz her: ein Beruf, der ihn ganz fordert, auch weit jenseits der Pensionsgrenze. Er liebt „die Spannung, Extremes zu machen“. Hinsichtlich der extremen Anforderungen bei Liszt, aber auch in Bezug auf die Persönlichkeit des Partners: „Je extremer der Pianist, desto mehr spüre ich die Herausforderung.“

Farbenlehre in Tönen

Da ruft dann eine bestimmte Anschlagskultur oder das fünffache Liszt-Forte nach einer veränderten mechanischen Regulation. Das gilt erst recht, wenn Alfred Brendel in Farben hört: „Der Ton ist gelb!“ Die Erinnerung an ihn hat Niedermeyer so beeinflusst, dass er Klavierklangfarben heute immer noch über Farben beschreibt.
Aber er weiß auch, dass auf einem Flügel, der auf einen bestimmten Künstler eingestimmt ist, der nächste so einfach nicht spielen kann. Oder nach Bach nicht einfach Liszt: Für die Virtuosität des 19. Jahrhunderts mit ihrer extremen dynamischen Weite, für die Häufigkeit der Oktavsprünge stimmt Niedermeyer einen Steinway „konkav“, „gestreckter“, „mit einer eingebauten Reserve“.
Das ist dann keine Arbeit von ein paar Minuten oder in der Konzertpause. Zwei Stunden vor Konzert oder Aufnahme ist Niedermeyer vor Ort, weiß längst, was gespielt werden soll („Bei Bach ist die Stimmung natürlich nicht so gestreckt wie bei Liszt, sondern wärmer.“). Wenn dann der Pianist kommt, das Instrument anspielt, Nuancen ausprobiert, redet man erst mal über die Intonation der Hammerköpfe. Gewünschte Änderungen werden sofort umgesetzt, man gleicht Vorstellungen und nötige Maßnahmen ab: Beim Anspielen ist der Stimmer immer dabei, um Änderungen im Klang sofort zu registrieren. Oder um auf Wünsche hinsichtlich der Pedalverschiebungen einzugehen: „Die ergeben bei Brendel oder Sokolov das individuelle Farbenspiel – nicht nur die Dynamik.“
„Standby“ heißt es während der ganzen Aufnahmesession: Immer wieder sind Stimmkontrollen notwendig, auch während des Abhörens der Takes. Wie man sich dafür fit hält? „Ich habe mein ganzes Leben versucht, meine Ohren zu schonen: keine offenen Autofenster. Ich reise vor jeder Aufnahme schon einen Tag vorher an, um gut ausgeruht zu sein. Und ich muss diese Ruhe auch dem Künstler geben: Er muss sich absolut auf den Flügel verlassen können.“
Ein ungefähres „Es geht scho“ gibt es bei ihm nicht. Alle Eventualitäten müssen ausgeschlossen sein, sonst wird der Künstler nervös und kommt aus seinem Konzept. Und wenn doch? Es ist Niedermeyer in seinem Stimmerleben vielleicht drei Mal passiert, dass eine Saite riss oder ein Pedal plötzlich quietschte: ein Alptraum. Deswegen kann er auch kein Konzert, bei dem er gestimmt hat, genießen: „Ich höre bei jedem Ton, ob er so klingt, wie er klingen soll.“
Für diese Arbeit ist Leo Niedermeyer gut und gerne schon zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Natürlich zitiert er genüsslich einen Pianistenkommentar: „Ich würde Sie am liebsten in alle Konzertsäle der Welt mitnehmen!“
Und am Ende gibt es die Ehrenrettung für die Lisztschen Donnerworte: „Der ist zwar eine spezielle Herausforderung, aber das gilt für alle Komponisten: Die Stimmung muss in sich harmonisch sein, der Ton muss stehen und atmen.“ Das hat Niedermeyer bei den Vorreitern der Historischen Aufführungspraxis, der Schola Cantorum in Basel gelernt: zum Beispiel bei einem Konzert mit dem gleichen Stück auf vier historischen Instrumenten und in vier verschiedenen Stimmungen – ein Unterschied wie Tag und Nacht. (Uwe Mitsching)

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