Kultur

Wissenschaftliche Analyse und Experiment - dafür steht das MozartLabor. (Foto/Ausschnitt aus dem Logo: Mozartfest)

15.06.2016

Wort und Note

Das Mozartfest Würzburg beschäftigt sich mit dem Kunstlied einst und heute

„Das Kunstlied lebt weiter!“ - so positiv blickte der 80-jährige Komponist Aribert Reimann in die Zukunft beim MozartLabor des Mozartfestes Würzburg. Unterstützt wurde er in seiner Meinung von Professor Axel Bauni (Berlin) und einer ganzen Reihe junger Studierender in den Podiumsgesprächen und praktisch bei einem außergewöhnlichen Konzert der Interpretationsklasse Baunis mit zeitgenössischen Liedern, zwischen die immer wieder neckisch Mozartlieder eingestreut waren. Auch wenn Liederabende meist nur von einem speziellen Publikum besucht werden: Es gibt heute immer mehr junge Interpreten und Komponisten für Lyrikvertonungen. Das lässt hoffen.

Reflektierende Gedankenlyrik

Ursprünglich, in der Antike, wurden Gedichte meist zur Lyra, also musikalisch, vorgetragen, woher der Begriff Lyrik sich auch herleitet. Heute sind Produkte der Poesie meist von Reflexion geprägte Gedankenlyrik. Im 18. Jahrhundert, zu Mozarts Zeiten, war das anders. Da standen Gefühle im Vordergrund. Und Musik dazu unterstreicht solche Stimmungsgehalte. Zwar gibt es die These, wie Professor Ulrich Konrad (Würzburg) schmunzelnd anmerkte, dass das eigentliche Kunstlied erst mit Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ 1814 begonnen habe; von dort sei es als Salonkunst schnell in private, „gehobene“ bürgerliche Zirkel eingewandert und habe sich so verbreitet. Doch, wie der junge Pianist Kit Armstrong und kosmopolitischer „artiste étoile“ des Festivals anmerkte, schon in der Renaissance habe es autonome Musik gegeben, bei der die Singstimme mit dem Text ein bestimmender Teil des Ganzen gewesen sei. Mit einem Vorurteil räumte er auch gleich auf: Das Klavier ist bei einer Liedkomposition keineswegs „nur“ ein Begleiter und somit der Singstimme untergeordnet; der Pianist hat vielmehr gerade bei Liedvertonungen eine sehr komplexe Rolle und vielfältige Aufgaben, angefangen von der Einstudierung über die interpretierende Illustration bis hin zu Tempo und Färbung.

Banale Texte

An Weiteres erinnerte Armstrong: Viele der Gedichte hätten ohne eine Vertonung den Zeitgeschmack ihrer Entstehung nicht überlebt. Sie wirken heute banal, oft sogar kitschig, und manche Anspielungen verstehen wir einfach nicht mehr. Gerade bei den 30 bis 40 Liedern Mozarts ist dies zu beobachten. Wie Professor Wolfgang Riedel (Würzburg) in einem interessanten Einführungsvortrag an Beispielen darlegte, vertonte Mozart äußerst konventionelle Vorlagen von zweifelhaftem literarischen Wert und oft „abgedroschener Empfindsamkeit“ mit Themen wie „Einsamkeit“, was der damaligen „Mode“ der Nachtgedanken und der Melancholie angesichts des Grabes entsprach, oder wie Liebe mit der Anbetung der Geliebten als Heilige und dem Kuss als Sakrament, etwa im „Lied der Trennung“, mit der Androhung schauerlicher Konsequenzen, oder mit besitzergreifender Liebe wie bei „An Chloe“.

Portion Ironie

Das beliebte anakreontische Rollengedicht Goethes „Das Veilchen“ – Gegenstück zum „Heidenröslein“ – wird meist von einer Sängerin vorgetragen, gemeint aber ist ein Mann als bescheidenes Blümlein, das von einer hartherzigen Schäferin achtlos zertreten wird. Da könnte heutzutage beim Vortrag schon eine gewisse Portion Ironie mitschwingen. Eines steht aber fest: Gute Kunstlieder sind nicht unbedingt vom Text abhängig; schwächere Texte gewinnen erst durch die Komposition. Als Beispiel wurde auch Brahms angeführt. Beim Podiumsgespräch unter den Experten wurde deutlich: Durch die Musik entstehen Stimmungen im Kopf, ein neuer Raum; auch Wiederholungen, bei Dichtung oft ein Fehler, erschließen im Lied unterschiedliche Bedeutung, verstärken die Aussage. Reimann meinte, Wörter seien im Gedicht eine Hülle, „in die Musik hineingeblasen wird“. Zu manchen Gedichten allerdings höre er nichts. So bei Goethes in sich abgeschlossenen Gedichten; dazu falle ihm nichts ein. Insgesamt solle der Text etwas auslösen, wobei unwichtig ist, aus welcher Zeit er stammt. Dagegen kann dasselbe Wort in verschiedenen Sprachen eine jeweils andere Reaktion beim Komponisten hervorrufen.

Die Stimmlage macht's

Dabei ist nicht ganz unwichtig, in welcher Stimmlage gesungen wird; so ist etwa bei der „Dichterliebe“ der Tenor näher an einer ironischen Interpretation als der schwerere Bariton. Ein Problem ist bei „Klassikern“ des tradierten Liedes - wie etwa solchen von Schubert - die vermeintliche „Zeitlosigkeit“, so, als ob ein heutiger Hörer dasselbe empfände wie zu Zeiten Schuberts. Deshalb bricht auch Axel Bauni eine Lanze für das zeitgenössische Kunstlied, das allerdings vom Hörer verstärkte Aufmerksamkeit erfordert. Junge Interpreten begeistern sich mehr und mehr für das stilistisch sehr reiche Kunstlied des 20./21. Jahrhunderts, wie beim Konzert „Auf Mozarts Spuren“ in Kloster Himmelspforten zu hören war; wünschenswert sei aber auf jeden Fall, vermehrt jungen Komponisten dafür Aufträge zu erteilen.

Mozart, neu vertont

Genau dies fand nun statt beim Mozartfest, denn Kit Armstrong ersann sich für vier bekannte Mozartlieder „neue“ Vertonungen, so dass nun bei einem ausverkauften und lange bejubelten Stipendiatenkonzert des MozartLabors in der Residenz  die Originalkomposition Mozarts und das neue tonale Gewand derselben Gedichte zu vergleichen waren. Ähnliches geschah bei Acht Liedern auf Texte von Heinrich Heine, vertont von Felix Mendelssohn Bartholdy. Zuerst erklangen sie, angeführt von dem wunderbaren „Gruß“ op. 19a Nr. 5 mit den Anfangsworten „Leise zieht durch mein Gemüt Liebliches Geläute…“ sozusagen als Einstimmung in die Materie, interpretiert inspirierend am Klavier von der sehr differenziert und sicher gestaltenden Pianistin Melissa Gore und gesungen von dem klaren, großen, mit glänzenden Höhen prunkenden Mezzosopran von Kimberley Boettger-Soller. Dann folgte die 1996 entstandene Version derselben Gedichte von Aribert Reimann, auf der Klang-Basis des ausgezeichneten Mucha-Quartetts aus Bratislava, bei dem besonders das Cello herausstach; die vier Streicher schoben nun sechs Intermezzi ein zwischen einzelne Lieder, einmal wie ein unüberwindlicher Gegensatz zu den meist träumerischen oder sehnsuchtsvollen Liedern, sich verdichtende negative Ahnungen  mit harschen Geräuschen, oder auch unwirkliche, geheimnisvolle Visionen etwa mit hohem sirrenden Flageolett . Die Griechin Danae Kontora sang die Texte mit hellem, elanvollen Koloratursopran. Diese ausgewählten Lieder spiegelten nun in der modernen Version eine innere Zerrissenheit, wie sie zu Mendelssohns Zeiten wohl nicht spürbar war.

Mal träumerisch, mal aufbegehrend

Auch Mozarts Lieder wurden zuerst in der „normalen“ Fassung gegeben; Den Klavierpart hatte Kit Armstrong übernommen, und die polnische Sängerin Martyna Cymerman ließ dazu ihren starken, brillanten Sopran vor allem in den Höhen nachdrücklich erstrahlen. Sehr expressiv dann die Uraufführung von Kit Armstrongs Version der vier Lieder, die auch Mozart vertont hatte. Madarys Morgan aus Kuba zeigte am Klavier Außerordentliches in Tempo, Technik und Ausdrucksreichtum, so etwa Heftiges, fein Fantasierendes oder Verspieltes; Maria Isabel Segarra aus Spanien gestaltete mit ihrem leicht metallisch unterlegten Sopran die verschiedensten Stimmungen von träumerisch bis aufbegehrend. Der Abschluss des Abends war wieder Mozart gewidmet; das weibliche Darian-Trio aus Wien gefiel hier sehr durch seine warme, fein abgestufte Tongebung im Divertimento Es-Dur KV 563. (Renate Freyeisen) Abbildungen (von oben):
Aribert Reimann ist sich sicher: "Das Kunstlied lebt!" (Foto: Schott Music/Gaby Gerster) Kit Armstrong hat Lieder vertont, zu denen auch schon Mozart Musik komponiert hatte. (Foto: Jason Alden) Wolfgang Riedel: Mozart vertonte Texte von zweifelhaftem literarischen Wert. (Foto: Daniel Peter)

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