Kultur

Grazile Rückansicht: Am Odeonsplatz in München (1911). (Foto: Sparkasse Fürstenfeldbruck)

08.03.2013

Zig Männer an jedem Finger

Brynolf Wennerberg wird wiederentdeckt: Nach dem Kauf mehrerer Bilder plant Fürstenfeldbruck eine Ausstellung

Mit dem Kauf von fünf Bildern hat die Stadtstiftung Fürstenfeldbruck sicher eine gute Hand bewiesen: Sie stammen von Brynolf Wennerberg, dem in Schweden geborenen Maler, Grafiker, Zeichner, der von 1901 bis 1905 mit seiner Familie im Fürstenfeldbrucker Villenvorort Emmering gelebt hat, einem früh gelobten Münchner Naherholungs- und gehobenen Wohngebiet. Dort wohnten Künstler: der Theatermann Otto Falckenberg ebenso wie der Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten Karl Eugen Müller.
Wennerberg: Wer ist das? Postkartensammler kennen ihn, in der Szene ist der Künstler (1866 bis 1950) ganz groß gefragt. Auch Plakatsammler haben ihn im Visier: Seine Plakatmotive werden für einige Tausend Euro gehandelt. Und auch in Auktionshäusern schätzt man ihn: sein Pierrot wurde im vergangenen Jahr in Bamberg für 23 000 Euro versteigert.
Man kann Wennerberg inzwischen auch durch einen repräsentativen Band kennenlernen, den Ruth Negendanck aus Nürnberg, sonst Spezialistin für Künstlerkolonien, veröffentlicht hat – auf Betreiben und mit erheblicher finanzieller Unterstützung durch die Wennerberg-Enkelin Karin Ensmann, die ihren Großvater so kennzeichnet: „Freude an der Arbeit, ungeheurer Fleiß, Experimente mit Farben und Licht in natürlicher Umgebung.“
Ein halbes Jahrhundert war „Sendepause beim Thema Wennerberg“, sagt Ruth Negendanck, „er war aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Seine Bilder waren verstreut.“ Jetzt erinnert sich nicht nur Fürstenfeldbruck mit dem Ankauf und einer Ausstellung im nächsten November an ihn, im Jahr darauf sieht man Wennerberg dann auch noch einmal in der Galerie im Alten Rathaus von Prien.
Ruth Negendanck weiß auch den Grund für dieses neue Interesse: Wennerberg ist nicht nur ein kunst- sondern ein kulturgeschichtliches Phänomen. Seine Qualität als Maler des Spätimpressionismus beweisen seine Bilder, die er im ehemaligen Atelier von Wilhelm Leibl in Bad Aibling, seinem Wohnort seit 1915/16, geschaffen hat.

Gruß aus dem Feld

Richtig berühmt wurde er allerdings durch seine Werbeplakate für Maggi, 4711, den Scheinwerfer-Hersteller Goerz und mit seinen Postkarten im Ersten Weltkrieg. Er war mittendrin im Zeitgeist seit der Jahrhundertwende, hielt sich deutlich fern vom Ungeist des Dritten Reichs. Das alles lässt sich auch an dem von ihm wesentlich mitgeprägten Frauenbild dieser Jahrzehnte ablesen: Das ist – so Ruth Negendancks Nürnberger Kollege Claus Pese – durchaus mit Arthur Schnitzler vergleichbar und seinem „Süßen Mädel“, das ist in Frisuren, Kleidung, Selbstbewusstsein prägend für die emanzipierte Frau der Zwanzigerjahre.
Im Ersten Weltkrieg wandeln sich seine vielverkauften Postkarten schnell vom internationalen Hurra-Patriotismus zum melancholisch verschatteten Gruß ins Feld. Verlegt wurden die Karten bei Albert Langen in München: Und damit ist Ruth Negendanck bei der Rolle, die Wennerberg für das dortige künstlerisch-literarische Leben spielte.
Denn 1909 wird er als Nachfolger des erfolgreichen Ferdinand von Reznicek (dessen Witwe er später heiratete) Zeichner bei der Zeitschrift Simplicissimus (bis 1919): „Er kreierte das Mädchen mit dem Wennerberglächeln“, schreibt Ruth Negendanck. Und porträtierte das ausgelassene Münchner Faschingsleben, Bälle, auch unbeschwerte Badetage an Boden- und Chiemsee.
Es sind die vor Lebenslust überbordenden, ein wenig karikierenden, frivolen Simplicissimus-Bilder und -Titelseiten vom Fasching, die das Bild jener Zeit bis heute prägen: Bal paré von 1910 zum Beispiel. Diese Linie setzt Wennerberg auch in den Berliner Lustigen Blättern fort: elegant, spritzig, leicht ironisch auf vielen Titelseiten der 60 000er Auflage.
Schnell war man auch im Ausland auf Wennerberg aufmerksam geworden. Schon 1910 entwarf er die Titelseite für Pictoral Review, dann für die Satirezeitschrift Puck in Millionenauflage. Und immer begegnet man seinem typischen Frauenbild: Zig Männer haben sie an jedem Finger. Sicher, beim späten Wennerberg, bei seinen Akten und Tänzerinnen mag auch aus geschäftlichen Gründen einiges arg Geschmäcklerische dazukommen (was sich bis heute gut verkauft) und die Frische seines Anfangs verloren gehen. Aber seiner neuen Heimat nahe dem Chiemsee hat er bis zu seinem Tod 1950 schöne, intime Porträts gewidmet.
Ruth Negendanck lässt davon keinen Aspekt aus, auch nicht den melancholischen Pierrot, „der im Grunde er selber ist“ und der ihn mit den Opern von Korngold oder Schreker verbindet. (Uwe Mitsching) Ruth Negendanck, Brynold Wennerberg. Maler, Zeichner, Gebrauchsgrafiker, edition Fischerhuder Kunstbuch, 288 Seiten, 29,95 Euro.
ISBN 978-3-88132-366-6

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