Kultur

Eine Choreografie, die zwar Anleihen am Showbiz nimmt, aber uninspiriert bleibt, ist "Frankfurt Diaries". (Foto: Marie-Laure Briane)

27.11.2015

Zirkusnummer mit Hindernissen

Das Ballettensemble des Gärtnerplatztheaters liefert mit "Frankfurt Diaries" einen zwiespältigen Tanzabend

Mit "Frankfurt Diaries" verneigt sich das Tanzensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters vor dem Balletterneuerer William Forsythe, der von 1984 bis 2004 das Ballett Frankfurt leitete. Die Premiere in der Reithalle umfasste die Münchner Erstaufführung von Forsythes One flat thing, reproduced (2000) und eine Einführung in Forsythes demokratische, seine Tänzer kreativ mitbeteiligende Arbeitsweise. Dafür zeichneten die ehemaligen Forsythe-Tänzer Antony Rizzi, Georg Reischl, Christopher Roman, Michael Schumacher und Allison Brown verantwortlich. Der Premierenjubel war euphorisch. Mancher war jedoch enttäuscht. Es stimmte nämlich schon die Balance nicht zwischen dem am Ende gezeigten nur 17 Minuten langen One flat thing, reproduced – einer hochkomplizierten Versuchsanordnung mit 20 Tischen – und der eineinviertelstündigen vorgeschalteten Lecture-Demonstration.

Unendlich elastisch

Aus den Frankfurter Tagebüchern, also aus Erinnerungen heraus wird nachskizziert, wie durch Andeutungen des Masterminds (etwa: „mach mal eine flache Bewegung“) die Tänzer Bewegungen finden. Tänzer demonstrieren einzeln oder in der Gruppen die bis zur Unkenntlichkeit postmodern dekonstruierten Klassik-Vokabeln. Permanent winden, krümmen, verbiegen, verschrauben, verklammern sich Körper. Schreiners Tänzer können das alles: kippend, drehend, fallend, solo oder mit Partner(n) – und zwar so, als seien sie aus einem unendlich widerstandsfähigen Elasto-Kunststoff. Eine derartige Tanz-Virtuosität ist jedoch heute schon Norm – und macht allein kein Stück. Dieser Gemeinschaftsarbeit fehlt, was Forsythes gute Stücke so interessant machte: eine spannende Struktur. Hier haben zu viele Köche eine übersättigende Menge an Werkstattmaterial zusammengerührt – ohne Inspiration. Mitreißen konnte nicht einmal die schachbrettartige Showbiz-Choreografie für die ganze Truppe in hinten weißer, vorne roter Froschmontur – eine Anspielung wohl auf Forsythes gelegentliche Ausflüge in reines (Musical-)Entertainment. Dann endlich "One flat thing". Durch das Mehrfach-Hindernis von fünf Reihen zu je vier Tischen ist ein ganz eigenwilliger „Table Dance“ entstanden. Was Forsythe und seine Tänzer im Jahre 2000 in Improvisations-Verfahren alles ausgeklügelt haben, muss man nicht wissen. Was man sieht, sind 14 Tänzer, die sich, umdröhnt von Tom Willems’ Klang-Geräusch-Kulisse, in rasendem Tempo zwischen den Tischen, darauf, darüber und darunter bewegen: springend, kreiselnd, rutschend, sich gegenseitig schleifend. Fürs Auge ein Perpetuum mobile aus behänden Körpern, mit super Sensoren zur Vermeidung von Kollisionen mit den Kollegen und den weit härteren Tischkanten. Für Forsythe war diese Hindernis-Choreografie sicher ein fruchtbares Experiment, für Tänzer ist sie eine hochgradige Präzisionsschule, für den Zuschauer eine nervenkitzelnde Show. Aber Tanz? Zirzensische Trigonometrie dürfte als Bezeichnung eher passen. (Katrin Stegmeier)

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