Landtag

"Königreich Deutschland" steht auf einem Briefkopf eines so genannten Reichsbürgers und selbst ernannten "Königs von Deutschland". (Foto: dpa)

21.10.2016

"Bürger im Kampf gegen rechts mehr unterstützen"

Der Innenausschuss diskutiert, wie das Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus weiterentwickelt werden kann

Die rechte Gewalt in Bayern nimmt zu. Allein die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind im Vergleich zum ersten Halbjahr 2015 um 261 Prozent gestiegen. So verwundert es nicht, wenn der Innenausschuss das 2009 entworfene Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus mit Hilfe von Experten weiterentwickeln möchte. Besonders makaber: „dass fast zeitgleich zur Anhörung im Landtag die Politik von der Wirklichkeit eingeholt wird“, wie es Ausschussvize Eva Gottstein (Freie Wähler) ausdrückte. Am Morgen schoss ein rechter „Reichsbürger“ bei einer Kontrolle auf vier Polizisten – ein Schuss war tödlich.

Alle geladenen Experten befürworteten eine Neuausrichtung des Konzepts. Für Martin Becher, den Geschäftsführer des Bayerischen Bündnis für Toleranz, ist vor allem das sogenannte Übergangsfeld ein Problem. Damit sind gewaltbereite Personen gemeint, die nicht dem organisierten Rechtsextremismus zuzuordnen sind. „Diese haben sich in den letzten Jahren institutionalisiert, was zu einem erhöhten Selbstbewusstsein geführt hat“, erklärte er. Becher forderte die Staatsregierung auf, für umfassendere Konsultations- und Beteiligungsprozesse zwischen den Akteuren gegen rechte Gewalt zu sorgen – und sich selbst bei den Gesprächen mehr zurückzunehmen.

Gleiches verlangte auch die Leiterin der Fachstelle für Demokratie der Stadt München, Miriam Heigl. Zur besseren Koordination müssten wie beim Präventionsprogramm gegen Salafismus alle Ministerien einbezogen oder eine Stelle mit Querschnittscharakter in der Staatskanzlei geschaffen werden. Und natürlich braucht es ihrer Meinung nach mehr Geld: „Momentan investiert die Staatsregierung alles ins Innenministerium, zivilgesellschaftliche Initiativen sind dagegen unterfinanziert“, schimpfte sie. Andere Bundesländer gäben dafür pro Bürger zwischen 50 Cent und 1 Euro aus.

„Bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus in Bayern sind Kompetenz- und Finanzierungslücken sichtbar“, bestätigte die Politologin Britta Schellenberg von Uni München. So würden einerseits aktuelle Forschungsergebnisse kaum berücksichtigt, andererseits fehle es unabhängigen Opferberatungen oder Aussteigerhilfen an finanzieller Unterstützung. Insbesondere aber kritisierte sie, dass die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) politische Bildungsarbeit an Schulen mache. Dem Personal aus Polizisten und Verfassungsschützern fehle dazu laut Schellenberg die „pädagogische Kompetenz“.

"Kompetenz- und Finanzierungslücken"

Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund lobte zwar die repressive Arbeit der bayerischen Polizei. „Die Schwäche des Handlungskonzepts liegt im Bereich der Integration“, erklärte er. Damit meinte er die Integration der entfremdeten Mitte der Gesellschaft. Diese ließe sich wie die Rechtsradikalen immer öfter zu Gewalt verleiten. „Doppelte Radikalisierung“ nannte er das Phänomen. Bayern müsse daher der Bürgergesellschaft mehr Vertrauen und eine größere Verantwortung im Kampf gegen rechts zukommen lassen –  zum Beispiel in Form eines Aussteigerprogramms für Jugendliche, bei denen die Radikalisierung gerade erst begonnen hat.

In eine ähnliche Richtung ging der Vorschlag des ehemaligen Landrats von Neustadt an der Waldnaab, Simon Wittmann (CSU). Er forderte die Staatsregierung auf, stärker auf die Kommunen zuzugehen: „Gerade in Vereinen können noch rechtzeitig rechtsextreme Tendenzen erkannt werden.“ Durch ein Monitoring sollten die Maßnahmen geprüft und der beste Weg gefunden werden. Außerdem verlangte Wittmann verpflichtend einen Sozialpädagogen in jeder Schule – der vom Freistaat bezahlt wird. „Durch die Freiwilligkeit habe ich mir ehrlich gesagt immer überlegt, ob ich sie im Haushalt einplanen muss.“

Ausschusschef Florian Herrmann (CSU) versprach, sich für den Ausbau der Jugendhilfe, des Opferschutzes, der Präventionsarbeit und der Polizeipräsenz einzusetzen – auch in den sozialen Netzwerken. Ausschussvize Gottstein verlangte eine Sensibilisierung von Vorbildern – speziell Trainern, Lehrern und Eltern. Laut Florian Ritter (SPD) müssten vor allem Maßnahmen ergriffen werden, solange sich Menschen noch im Stadium der Radikalisierung befinden. Katharina Schulze (Grüne) kritisierte die zu starke Fokussierung auf Sicherheitsbehörden und die „Planlosigkeit“ bei der Prävention. „Das darf so nicht bleiben.“ (David Lohmann)

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