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Mit Infobroschüren zum Thema Salafismus will das Innenministerium zur Prävention und Deradikalisierung von islamistischen Radikalen beitragen. (Foto: dpa)

20.05.2016

Sorge vor radikalisierten Hit-Teams

Schriftliche Anfrage: Obwohl immer mehr bayerische Dschihadisten nach Syrien ausreisen, kommt der Aufbau einer Deradikalisierungsstelle nur langsam voran

Die Zahl der Menschen, die sich zur Unterstützung des so genannten Islamischen Staats (IS) auf den Weg nach Syrien und Irak gemacht haben, ist in Bayern 2015 auf ein Rekordniveau gestiegen (siehe Info). Zu Beginn dieses Jahres waren der Staatsregierung 23 bayerische Islamisten bekannt, die wieder in den Freistaat zurückgekehrt sind – drei davon haben derzeit eine außerbayerische Meldeanschrift. Laut den Sicherheitsbehörden liegen bei vier Personen Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv am bewaffneten Widerstand in Syrien oder Irak beteiligt haben beziehungsweise beteiligt haben könnten – zwei davon befinden sich bereits in Haft. Peter Paul Gantzer, sicherheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, wollte daher jetzt von der Staatsregierung wissen, wie die Rückkehrer überwacht werden, ob Erkenntnisse zur eigens für Anschläge in Europa ausgebildete „Hit-Teams“ vorliegen und welche bayerischen Deradikalisierungsprogramme es gibt.

Das Innenministerium betont in seiner Antwort, zur Mehrzahl der Rückkehrer lägen „keine eindeutig belegbaren Informationen“ vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt hätten. Für alle anderen gelte das seit 2009 bestehende Handlungskonzept des Landeskriminalamts, des Landesamts für Verfassungsschutz und der jeweils betroffenen Staatsschutz-Dienststellen der Polizeipräsidien. Dabei werde „möglichst frühzeitig“ vor der geplanten Wiedereinreise ein behördenübergreifendes Maßnahmenkonzept eingeleitet – zum Teil gemeinsam mit Vertretern der AG BIRGiT (siehe Info). Obwohl die Überwachung laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) „ein hohes Maß an Ressourcen“ binde – Experten zufolge 20 bis 25 Beamte pro Rückkehrer – ist keine Personalaufstockung geplant: „Den erhöhten Anforderungen bei der Bekämpfung des islamischen Terrorismus wurde bereits durch zusätzliche Stellen für Polizei und Verfassungsschutz Rechnung getragen.“

Hinweise auf so genannte Hit-Teams liegen dem Ministerium nach eigenen Angaben nicht vor. Allerdings lieferten ausländische Nachrichtendienste unter anderem Meldungen über Personen, die an „Dschihad-Schauplätzen“ ausgebildet wurden und Anschläge in Europa verüben wollten. In solchen Fälle versuchen Verfassungsschutzbehörden, durch Telefonanbieter, Netzagenturen und Internetdienstanbieter verifizierende oder identifizierende Daten zu erhalten. Rückkehrer können nicht selten dabei helfen, detaillierte Einblicke in die Struktur und Organisation der Islamistenszene zu geben. „Konkrete Sachverhaltsschilderungen und die Nennung von Personen mit Bezug nach Bayern können einen großen Mehrwert für Polizei und Verfassungsschutz darstellen“, heißt es in der Antwort auf die Anfrage.

Informationen durch Deradikalisierung

Um an die Informationen zu gelangen, sind nach Aussage des Herrmann-Ressorts Deradikalisierungsprogramme speziell für Rückkehrer entscheidend. 2014 wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet, um die bestehenden Präventionsmaßnahmen und Projekte zu bündeln. Daraus entstand das bayerische Präventions- und Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus, das im Juli 2015 gegründet wurde. Das Beratungsangebot soll insbesondere Ausstiegshilfen für Rückkehrer anbieten. Ein per Ministerratsbeschluss vorgesehener zivilgesellschaftlicher Träger fehlt allerdings noch: „Das Landeskriminalamt führt derzeit ein Vergabeverfahren zur Gewinnung eines geeigneten Trägers in Bayern durch.“

SPD-Mann Gantzer beunruhigt die hohe Zahl der Ausreisenden: „Damit ist auch die Gefahr gestiegen, dass entsprechend radikalisierte Hit-Teams zurückkehren“, sagte er der Staatszeitung. Obwohl es keine konkrete Gefährdung gebe, müssten alle Maßnahmen ergriffen werden, um mögliche Anschläge bereits im Vorfeld zu verhindern. (David Lohmann)

INFO: Islamisten, Gefährder und BIRGiT
Bayerische Ausreisende zur Unterstützung des so genannten Islamischen Staats wurden laut Staatsregierung zum ersten Mal im Oktober 2013 gezählt. Bis zum Dezember 2015 verdreifachte sich die Zahl auf zirka 80 bayerische Islamisten. Allerdings zählt das Innenministerium dazu ebenso Personen, die ihre Ausreise zu Kampfhandlungen „in nächster Zeit“ planen. Auch lägen nicht in allen Fällen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in den von der Terrormiliz kontrollierten Gebieten aufhalten.

Bundesweit stieg die Zahl der in Richtung Syrien beziehungsweise Irak ausgereisten Islamisten von 50 im Mai 2013 auf 780 im Dezember 2015. Inzwischen gibt es laut Bundeskriminalamt mehr als 400 so genannte Gefährder – allerdings waren nicht alle davon in den Kampfgebieten. Nur 70 Rückkehrern konnte nachgewiesen werden, dass sie in islamistisch-dschihadistischen Gruppierungen gedient haben. Die gute Nachricht: Die Zahl der Menschen, die von Deutschland in die Kampfgebiete ausreist, nahm Anfang des Jahres ab.

Die bayerische AG BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus beziehungsweise Extremismus) konnte seit ihrer Gründung 2004 in über 100 Fällen den Aufenthalt von Gefährdern beenden und eine Wiedereinreise untersagen. In anderen Fällen wurden die Betroffenen überwacht und strengen Meldepflichten unterworfen. Inzwischen haben viele andere Bundesländer und auch der Bund ähnliche Institutionen eingerichtet. (LOH)

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