Leben in Bayern

Enthüllten den Gedenkstein: Journalist Thomas Muggenthaler, Zeitzeugin Maria Engl, Pfarrer Helmut Meier und Bürgermeister Michael Dachs. (Foto: Jädicke)

18.05.2012

Das Ende des Schweigens

Zachenberg am Rande des Bayerischen Waldes – 70 Jahre nach dem Verbrechen setzt das Dorf einem hingerichteten polnischen Zwangsarbeiter einen Gedenkstein.

Der polnische Zwangsarbeiter Josef Trzeciak wurde 1942 aufgehängt. Sein Verbrechen: Der 31-Jährige liebte eine Zachenbergerin. Die junge Frau war im dritten Monat schwanger und landete nach der Entbindung im KZ. Jahrzehntelang hatte das bayerische Dorf über seine dunkle Vergangenheit geschwiegen, selbst Trzeciaks Tochter kannte sie nicht. Doch jetzt legt das Dorf seine Last ab. Zachenberg ist ein hübscher Ort am Rande des Bayerischen Waldes. Es ist ein warmer Mai-Tag im Jahr 2012. Die Sonne hängt tief über dem Horizont. Vögel zwitschern. Und auf dem Hof nebenan blökt ein Schaf. Der schwere Duft der Felder steigt auf in die nahende Dämmerung. Und nichts in diesem schönen Idyll erinnert an das Grausame, das auch ihn ihm steckt.
Doch der Ort hat ein lange streng gehütetes Geheimnis. 70 Jahre ruhten die dunklen Schatten der Vergangenheit. Bis zu diesem Tag, an dem die bayerische Gemeinde Zachenberg dem Polen Josef Trzeciak einen Gedenkstein setzt. Nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem er am 8. Mai 1942 erhängt wurde.
Als Josef Trzeciak 300 Meter außerhalb des Dorfes Zachenberg ermordet wurde, ist er 31 Jahre alt und seine junge Freundin im dritten Monat schwanger. Er wurde erhängt an einem transportablen Galgen. Polnische Zwangsarbeiter aus der Umgebung mussten der Hinrichtung beiwohnen – zur Abschreckung. Häftlinge des KZ Flossenbürg wurden zu Henkern gemacht und ein ganzes Dorf war über Jahrzehnte nicht fähig oder willens über das Geschehene zu sprechen.
Ihre Last wollen die Zachenberger aber nun ablegen. Die Kapelle ist zu klein für diese Messe. Pfarrer Helmut Meier predigt in vollem Ornat. „Ich bin überglücklich, dass wir heute, am siebzigsten Jahrestag dieses Verbrechens, eines unschuldigen Mannes gedenken können, den Hass und Bosheit zu Tode gebracht haben.“ Für den Pfarrer und rund 60 Zachenberger ist das öffentliche Gedenken keineswegs Routine. Denn 70 Jahre hat das Schweigen Schuld, Schmach und den Schmerz verdrängt.
Oft wussten nicht einmal die nächsten Angehörigen von den Hinrichtungen. So auch die Tochter von Josef Trzeciak. Obwohl sie im Ort aufgewachsen ist, erfährt sie lange nichts. Die Mutter war nicht fähig, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Sie starb 2002. Ihre Liebe zu dem Polen hatte sie mit dem Konzentrationslager bezahlt.
Im Herbst 1942 wurde sie ins KZ Ravensbrück deportiert – nur wenige Monate nach der Entbindung im Januar. „Die Schürze hat sie umgebunden gehabt und die Holzschuhe an, grad so, wie sie war, hat sie mit müssen, und geweint hat sie!“, erinnert sich die Zeitzeugin Maria Engl am Gedenkstein. Engl kam gerade von der Schule, als die Polizei die junge Frau durch den Ort abführte. Das Nebenlager Uckermark überlebt die Mutter zwar. Das Schandmal „Polenhure“ aber hatte sich ihr tief ins Gedächtnis gegraben. Noch heute leidet die Tochter darunter. Wie viele andere erfährt sie die näheren Umstände der schrecklichen Ereignisse erst spät – durch den BR-Journalisten Thomas Muggenthaler.


„Bei der eisernen Bruck ham’s an Polen aufhängt“


Seine Recherchen brachten ans Licht, was viele gerne im Dunklen gelassen hätten. Im Staatsarchiv Amberg stieß Muggenthaler auf den Akt „Staatsanwaltschaft Regensburg 147“. Er dokumentiert die Ermittlungen der Justiz aus den 50er-Jahren wegen „Beihilfe zum Mord“. Ermittelt wurde gegen drei führende Gestapo-Beamte aus Regensburg. Fritz Popp, Luitpold Kuhn und Sebastian Ranner. Zahlreiche weitere Akten belegen: Zwischen April 1941 und April 1943 wurden alleine in Niederbayern und der Oberpfalz 22 polnische Zwangsarbeiter hingerichtet wegen verbotener Beziehungen – ohne Prozess und Urteil. Seit 1940 bedrohten die „Polenerlasse“ Beziehungen zwischen polnischen Männern und deutschen Frauen mit dem Tode. Muggenthaler befragte zahlreiche Zeitzeugen und veröffentlichte die Ergebnisse erstmals 2003 in der Hörfunk Sendung „Verbrechen Liebe“. 2010 erschien ein Buch unter gleichem Titel in der Edition Lichtung.
Die Leute kannten die Geschichte, sagt Pfarrer Helmut Meier. Als er vor Jahren seinen Dienst in der Gemeinde Ruhmannsfelden (Landkreis Regen), zu der Zachenberg gehört, antrat, hörte er von dem Verbrechen. „Damals ham’s bei der Eisernen Bruck an Polen aufghängt.“ Und doch blieben Einzelheiten lange verborgen und viele Fragen bis heute offen.
Das mache das Gedenken in einigen Orten so schwer, glaubt Pfarrer Meier. Zachenberg ist die Ausnahme. Aber auch in der Pfarrei Ruhmannsfelden, zu der Zachenberg gehört, schlug dem Pfarrer oft schroffe Ablehnung entgegen. „Der wenn nicht aufhört mit seinem Scheiß, dann geh ich ihm nicht mehr in seine Kirche.“ Warnungen, die weder ihn noch Bürgermeister Michael Dachs aufhalten konnten. „Wir wollen heute ein Zeichen setzen gegen Gewaltherrschaft und Rassismus“, sagt Dachs.
Wenn Maria Engl an diesem Maitag 2012 auf den Findling mit der Gedenktafel sieht, dann „geht mir das noch immer nach“, sagt sie. Nur schweigen will sie nicht mehr. (Flora Jädicke)

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