Leben in Bayern

Zu tun gibt es in dem Haus mit 51 Männern immer etwas, und jeder Bewohner hilft mit – ob beim Putzen oder bei der Gartenarbeit. (Foto: Stumberger)

17.11.2017

Das Leben wieder in den Griff bekommen

Der Katholische Männerfürsorgeverein in München versucht wohnungslosen Männern bei einem Neuanfang zu helfen – mit mitunter ungewöhnlichen Methoden

Das Haus in Milbertshofen sieht aus wie ein ganz normales Münchner Wohnhaus. Normal aber ist das Leben der Bewohner ganz und gar nicht. Die 51 Menschen, die dort leben, haben eines gemeinsam: Sie sind wohnungslos. Getragen wird das Haus vom Katholischen Männerfürsorgeverein München. Und dort geht es um weit mehr, als den Männern nur einen warmen Schlafplatz zu bieten.

Es ist ein typischer Montagmorgen: Im ganzen Haus geht es geschäftig zu, überall wird geputzt und geräumt. „Wo ist denn das Spülmittel?“, fragt ein Mann quer durch den Raum. Er ist gerade dabei, im Speisesaal die Gläser zu spülen. Der Raum ist schlicht eingerichtet: mit Tischen und Stühlen. Über der Tür zur Küche hängt ein Kreuz. Am Mittag steht Putenrollbraten mit Nudeln auf dem Programm. Im kleinen Garten sind unterdessen weitere Bewohner des Männerheims damit beschäftigt, Pflanzen zu gießen. In einer Ecke sprudelt ein kleiner Brunnen. Er ist aus Ton gefertigt und zeigt ein Dutzend Menschen, die sich zusammen auf einem Boot befinden. Es erinnert an die Arche Noah.

Viele sind alkoholkrank, trinken dürfen sie trotzdem

„Die Bewohner des Hauses nehmen an allen Arbeiten teil“, erklärt Heimleiter Christian Jäger. Der 52-jährige Sozialpädagoge leitet seit 2009 die Einrichtung, in der die Bewohner noch etwas gemeinsam haben. „Man kann durch Krisensituationen wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung sehr schnell den Boden unter den Füßen verlieren“, erklärt Jäger und betont, dass wissenschaftliche Studien belegen, dass Obdachlosigkeit sehr oft mit psychischen Problemen einher geht. „Wir versuchen, die Freude am Leben wieder zu wecken“, sagt er.

Aber wie? Die Herangehensweise im Männerhaus ist recht speziell. Denn es ist ein sogenanntes nasses Haus. Das heißt: Die Bewohner dürfen, anders als in den meisten anderen Heimen, Alkohol konsumieren. Außerdem hat jeder der Männer ein eigenes Zimmer, in das er sich zurückziehen kann. Und dann wird er auch vom Personal in Ruhe gelassen – zumindest eine gewisse Zeit lang.

Für Bewohner Franz K. sind diese Auszeiten ganz wichtig, erklärt er. Das bisherige Leben des ehemaligen Kfz-Mechanikers ist durch Flucht, von Angstzuständen und Unbeständigkeit geprägt. Immer wieder verlor er seine Zuhause: „Wenn ich zu viel Panik bekommen habe, verließ ich meine Wohnung und bin durch die Gegend gereist“, erzählt er. „Ich war dann immer überall und nirgendwo.“ Seine Depressionen und Ängste bekämpfte er – wie so viele – mit Alkohol. Mehrere Entzüge hat Franz K. schon hinter sich. Lange erkannte aber niemand das eigentliche Problem von K.: seine depressive Erkrankung. Seit 2014 lebt er nun im Haus in Milbertshofen. Und zum ersten Mal hatte er nicht mehr das Gefühl, flüchten zu müssen. „Es tut mir gut, dass ich hier zur Ruhe kommen kann“, sagt er.  „Natürlich ist für manche ein Einzelzimmer nach dem Leben auf der Straße ein einziger Luxus“, ergänzt Sozialpädagoge Jäger.

Zum Team des Hauses mit 28 Mitarbeitern gehört auch eine Psychologin. 60 Prozent der Männer haben ein Suchtproblem, die meisten davon sind alkoholabhängig. Dazu kommt: Nahezu die Hälfte der Männer leidet an einer schizophrenen Erkrankung, 14 Prozent haben eine Angst- oder Zwangsstörung.  Therapeutische Hilfe ist also dringend notwendig. Oft aber geht es bei den Gesprächen erst einmal darum, über das Thema Alkohol zu reden. Zu einem Entzug gezwungen oder gedrängt wird allerdings niemand. Denn viele kennen den zermürbenden Kreislauf aus Entzug und Rückfall bereits allzu gut. Auch für die medizinische Versorgung der Männer ist gesorgt, eine Krankenschwester arbeitet ebenfalls in dem Haus. Und wer will, kann sich seelsorgerischen Beistand holen. Einmal pro Monat organisiert eine Mitarbeiterin eine Andacht im Haus, an der zehn bis 20 Bewohner teilnehmen. Es gibt Kontakte zur örtlichen Gemeinde.

Angebote für die Männer gibt es darüber hinaus vielfältige. In der Kunsttherapie beispielsweise geht es vor allem darum, eigene Fähigkeiten und verschüttete Talente ohne Angst vor negativen Rückmeldungen ausprobieren zu können. Jeder Teilnehmer hat dafür einen eigenen Arbeitsplatz. Außerdem gibt es im Haus immer etwas zu tun, sei es in der Küche oder in der Werkstatt. „Wir haben auch unsere eigenen Boten, die die Post austragen, eine beliebte Arbeit“, sagt Heimleiter Jäger. Weiterer Vorteil: „So fallen fast keine Portokosten an.“ Auch Sport können die Männer machen. So gibt es beispielsweise eine Frühsportgruppe, die regelmäßig gemeinsam „Walking“ betreibt. Sogar eine kleine Fußballmannschaft existiert.

In München leben 9000 wohnungslose Menschen

Ebenfalls besonders: Die Bewohner kümmern sich selbst um ihre eigenen Belange. Eine gewählte Bewohnervertretung aus drei Mann fungiert als Sprachrohr der Heimbewohner. Der Wunsch nach WLAN stand zum Beispiel jüngst auf dem Programm. Solche Wünsche, aber auch Probleme des Zusammenlebens werden auch bei der regelmäßigen Hausversammlung diskutiert.

Dass die Männer nicht auf der Straße sitzen, ist auch ein Stück weit Glück. Denn in München leben laut Sozialreferat mehr als 9000 wohnungs- und obdachlose Menschen. Experten gehen gar von einer noch höheren Zahl aus – Tendenz steigend. Entsprechend nimmt auch die Nachfrage nach Unterbringungsplätzen zu. Auch die Einrichtung des Katholischen Männerfürsorgevereins hat eine lange Warteliste.

In der Regel bleiben die Männer zwei Jahre im Haus, danach gehen sie wieder ihre eigenen Wege. Und die können ganz unterschiedlich sein. Manche beziehen eine eigene Wohnung, andere kommen in einer ambulant betreuten Wohnform unter. Das Männerhaus an der Milbertshofener Knorrstraße versteht sich als Übergangsstation, in der es erst einmal gilt, die eigene Lebenssituation wieder in den Griff zu bekommen. „Wir bieten Hilfe für die Neuorientierung“, sagt Jäger. „Und wir versuchen, den Bewohnern zu helfen, eine wichtige Frage zu beantworten“, ergänzt er. „Was tut mir gut?“
(Rudolf Stumberger) Foto (dpa): Ein Obdachloser, eingehüllt in Decken unter der Wittelsbacher Brücke in München. Die Zahl der Wohnungslosen in der Stadt steigt.

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