Politik

Viele Fahrpläne in Bayern orientieren sich noch an den Ladenschlusszeiten der 90er-Jahre. (Foto: dpa)

05.01.2018

Bayerischer Tarifdschungel

Während andere Bundesländer einheitliche Tickets haben, herrscht im Freistaat noch ein großes Fahrkartenwirrwarr

Wer in Bayern mit Bus und Bahn unterwegs ist, verzweifelt häufig. Denn Fahrpläne sind oft nicht aufeinander abgestimmt. Obwohl beispielsweise Viechtach im Bayerischen Wald und Cham in der Oberpfalz nur eine halbe Autostunde voneinander entfernt sind, brauchen Pendler mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis zu drei Stunden. Der Grund ist simpel wie ärgerlich: Die Verbindung geht nicht nur über eine Landkreisgrenze, sondern auch über eine Regierungsgrenze hinweg. Außerdem gehören die betroffenen Landkreise keinem gemeinsamen Verkehrsverbund an.

Hinzu kommt: In vielen Landkreisen fährt am Wochenende der letzte Bus am Samstagmittag. Diese Erfahrung hat auch der SPD-Landtagsabgeordnete Bernhard Roos gemacht: „Ich stand im Stadtzentrum von Grafenau, wo um 16.30 Uhr mein Erstaunen groß war, dass kein Bus mehr in Richtung meiner Heimatstadt Passau fuhr“, berichtet er der Staatszeitung. Der Grund dafür sind veraltete Nahverkehrspläne, die sich noch an den Ladenschlusszeiten der 90er-Jahre orientieren.

Selbst wenn es neue Verbindungen gibt, sind diese häufig nicht in der Fahrplanauskunft zu finden. Obwohl zum Beispiel die Schnellbuslinie von Freyung nach Passau seit Monaten in Betrieb ist, ist sie weder in der digitalen Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn (DB) noch der Bayerischen Eisenbahngesellschaft zu finden. Das ärgert den grünen Landtagsabgeordneten Markus Ganserer: „Wir schwärmen von autonom fahrenden Bussen und kriegen es nicht gebacken, die Fahrplanauskunft zuverlässig und fehlerfrei mit allen Daten zu füttern.“

Seine Fraktion fordert, das Taktangebot zu erhöhen, das Tarifsystem zu vereinfachen und die Fahrpläne besser aufeinander abzustimmen. Ganserer ärgert sich über die „Kleinstaaterei“, SPD-Mann Roos spricht gar von „der Eitelkeit mancher Bezirksfürsten“ in Bayern. Tatsächlich gibt es in Hessen bereits landesweit gültige Job- und Schülertickets. Auch Baden-Württemberg hat einen Landestarif für Fahrten über Verbundgrenzen auf den Weg gebracht. Die Landtags-CSU hat die Anträge der Grünen im Dezember dennoch abgelehnt.

Digitalisierung als Chance

Grundsätzlich begrüßt die CSU-Fraktion im Maximilianeum zwar einen bayernweit einheitlichen Tarif. Deren verkehrspolitischer Sprecher Eberhard Rotter erklärt: „Ein System mit rund 900 privaten Verkehrsunternehmen im ÖPNV und 131 kommunalen Aufgabenträgern kann man aber nur schrittweise vereinheitlichen.“ Erst müssten Fahrpläne aufeinander abgestimmt, dann ein einheitliches Ticket eingeführt und einheitliche Vertriebssysteme auf den Weg gebracht werden. Derzeit werde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, so Rotter.

Zur Verbesserung der Mobilität im ländlichen Raum hat der Landtag bereits 2012 ein Förderprogramm bewilligt. Es startete mit jährlich 2,25 Millionen Euro und wird im diesjährigen Nachtragshaushalt 3,5 Millionen Euro umfassen. Zum ersten Mal seit Jahren steigen heuer auch wieder die ÖPNV-Zuweisungen an Kommunen – von 51 auf 75 Millionen Euro. Die Freien Wähler verweisen aber darauf, dass ÖPNV-Mittel jahrelang zusammengestrichen wurden. „Von 2003 bis 2017 beliefen sich die Kürzungen auf insgesamt 884 Millionen Euro“, betont FW-Vizechef Thorsten Glauber.

Derzeit haben nur 37 von 71 Landkreisen aktuelle Nahverkehrspläne. Das Verkehrsministerium sieht dennoch keinen Grund, den Druck auf die restlichen 34 zu erhöhen. Auch die Freien Wähler halten das nicht für zielführend. Grund für die mangelnde Abstimmung beim ÖPNV sei vielmehr der jährliche Fahrplanwechsel der DB. „Die Kommunikation seitens der Bahn ist sehr spärlich, und wenn plötzlich Züge entfallen und sich Fahrzeiten ändern, schauen viele Kunden in die Röhre“, unterstreicht FW-Mann Glauber.

Kurt Bayer vom Verkehrsclub Deutschland in Bayern klagt: „Wenn wir mit Politikern sprechen und auf die Mängel im ÖPNV aufmerksam machen, wird immer auf die Selbstverwaltung der Landkreise hingewiesen.“ Der bayerische Landkreistag weist aber alle Schuld von sich. „Die Entscheidungen liegen meistens außerhalb der Entscheidungskompetenz der Landkreise“, sagt deren Präsident Christian Bernreiter (CSU) der BSZ. Er sieht das Problem darin, dass die Förderkriterien für Ballungszentren und den ländlichen Raum dieselben sind. Aufgrund der Bevölkerungszahl auf dem Land sei es aber schwierig, Linienverkehre wie in der Stadt eigenwirtschaftlich zu betreiben. „Deswegen wäre ein gesetzlicher Förderanspruch ohne zeitliche Begrenzung zu begrüßen“, sagt Bernreiter.

Der bayerische Gemeindetag wünscht sich eine Reform des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Viele Kommunen bieten trotz hoher Zuschüsse Anrufsammeltaxis und Bürgerbusse an. Als Dank bekämen sie von den Bezirksregierungen aber nur Steine in den Weg gelegt, kritisiert Direktorin Cornelia Hesse. „In der Vergangenheit haben sich immer wieder Gemeinden beklagt, dass seitens der Behörden keine Genehmigungsfreiheit nach dem PBefG, sondern eine Genehmigungspflicht nach dem PBefG gesehen wurde.“ Hier sei eine Klarstellung wünschenswert. Die SPD wünscht sich zusätzlich, das Taxigewerbe stärker in die kommunale Nahverkehrsversorgung einzubinden.

Wie die Zukunft der Mobilität im ländlichen Raum aussehen kann, zeigt der Landkreis Freyung-Grafenau. Bei dem Projekt „iMONA“ werden Personentransport und Warenverkehr miteinander verbunden, öffentlicher Nahverkehr und privat-gemeinschaftliche Mobilität ergänzen sich. Die Haltestellen in den Kommunen sind also einerseits für Reisende, andererseits Lieferpunkte für Waren, die via Telefon oder Internet bestellt werden.

Wolfgang Inninger vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Prien am Chiemsee lobt vor allem das Projekt des Landkreises Passau. Die Mobilitätszentrale „immerMOBIL“ kombiniert online und als App ÖPNV, Bedarfsverkehr, Taxen und Sharing-Angebote. Die Digitalisierung ist für Inninger einerseits die größte Herausforderung für die Landkreise – andererseits die einfachste Möglichkeit für eine bessere Mobilität auf dem Land. (David Lohmann)

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