Politik

Bayerns Staatsregierung in St. Quirin am Tegernsee: Nach den Anschlägen dreht sich die Klausur weitgehend um das Thema Sicherheit. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

28.07.2016

Deutliche Verschärfung der Sicherheitspolitik

Anti-Terror-Konzept "Sicherheit durch Stärke" der Staatsregierung beinhaltet unter anderem eine Aufstockung der Polizei

Nach den beiden Anschlägen und dem Amoklauf in Bayern hat die Staatsregierung eine Aufrüstung der Polizei und eine drastische Verschärfung ihrer Sicherheitspolitik beschlossen. Unter anderem fordern Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und sein Kabinett eine massive Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung.

Teil des Konzepts "Sicherheit durch Stärke" ist die Aufstockung der Polizei um insgesamt 2000 Kräfte von 2017 bis 2020, wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Donnerstag auf der Kabinettsklausur in St. Quirin am Tegernsee sagte. Hinzu komme neue, modernste Ausrüstung für die Beamten: ballistische Helme, neuartige Schutzwesten und gepanzerte Fahrzeuge. Spezialeinsatzkräfte und Observationsteams sollen personell verstärkt werden, zudem soll es mehr Polizisten zum Kampf gegen Cyber-Kriminalität geben. Die Videoüberwachung an Bahnhöfen, in Zügen und auf öffentlichen Plätzen soll ausgebaut werden.

CSU fordert eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung

Darüber hinaus erhob die CSU Forderungen nach massiven Verschärfungen der Sicherheitspolitik - unter anderem nach einer Ausweitung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Neben Telefonanbietern sollen auch Anbieter von E-Mail-Diensten und sozialen Medien verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern. Zudem soll die Frist zur Speicherung der Daten von zehn Wochen "deutlich" gesteigert werden.

"Der islamistische Terrorismus ist bei uns in Bayern leider angekommen", sagte Herrmann. "Wir kämpfen für mehr Befugnisse für den Rechtsstaat", damit er nicht hinter den Tätern zurückbleibe. "Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit", sagte der Innenminister.

SPD und Grüne: Datenspeicherung erhöht Sicherheit nicht

Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Markus Rinderspacher, begrüßte die beschlossene personelle Aufstockung der Polizei und die Verbesserung ihrer Ausstattung: "Wir haben in den letzten Jahren immer wieder auf die Überlastung der bayerischen Polizei hingewiesen", sagte er. Der rechtspolitische Sprecher der Landtags-SPD, Franz Schindler, kritisierte die Forderung nach einer Ausweitung der anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten. Sie sei kein geeignetes Mittel, um Anschläge wie in Würzburg und Ansbach oder einen Amoklauf wie in München zu verhindern. "Wenn die Polizei nicht weiß und nicht wissen kann, wonach sie suchen soll, hilft auch die größte Menge an Daten nicht weiter", erklärte Schindler.  "Vermeintlich einfache und schnelle Antworten wie die Einschränkung der Bürgerrechte oder die Militarisierung der Innenpolitik erhöhen unsere Sicherheit nicht", betonte auch Katharina Schulze, Vize-Chefin der Grünen im Landtag. Was sie aber – insbesondere nach der Amoktat von München – im CSU-Sicherheitskonzept vermisse, sei eine Verschärfung des Waffenrechts. "Die bislang nicht zuletzt auch von den CSU-Abgeordneten im Bundestag verschleppte Verschärfung der Waffengesetze durch Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie ist überfällig", so Schulze.

Gewerkschaft der Polizei: Andere Bundesländer müssen nachziehen

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger monierte die "Zaghaftigkeit" bei der Polizeiaufstockung. "2000 zusätzliche Stellen bis 2020 – das brauchen wir ja schon für den Schwangerschaftsersatz", betonte er. "Mindestens das Doppelte wäre nötig." Außerdem sei aus seiner Sicht jetzt höchste Zeit, zur Erhöhung der Ausbildungskapazitäten einen zusätzlichen Polizei-Ausbildungsstandort einzurichten. "Hierfür bietet sich Niederbayern an – der einzige Bezirk, in dem es bisher keinen Ausbildungsstandort gibt", so Aiwanger. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte das Sicherheitskonzept der Staatsregierung. Sie forderte, dass sich andere Länder ein Beispiel nehmen sollten. "Nicht nur Bayern ist in der Pflicht, sondern auch die anderen Bundesländer, die im Gegensatz zu Bayern bei der Polizei Personal abgebaut haben. Der Staat muss handlungsfähig sein gegenüber Gewalttätern und Extremisten." (dpa/BSZ)

Die zentralen Punkte des Konzepts der Staatsregierung im Überblick:
POLIZEI: Die Polizei soll von 2017 bis 2020 um insgesamt 2000 Stellen (oder 500 pro Jahr) aufgestockt werden. Beispielsweise wird es künftig 350 statt derzeit 300 Spezialeinsatzkräfte geben. Auch Observationsteams sollen personell verstärkt werden, und es soll mehr Polizisten zum Kampf gegen Cyber-Kriminalität geben. So soll auch das "Darknet" stärker überwacht und kontrolliert werden. Zudem wird die Ausrüstung verbessert: Es gibt schusssichere Helme, neuartige Schutzwesten, modernere Dienstwaffen und gepanzerte Fahrzeuge. Hinzu kommt: Auch die ehrenamtliche Sicherheitswacht soll aufgestockt werden, binnen vier Jahren von rund 770 auf dann 1500 Mitglieder.

ÜBERWACHUNG: Die Videoüberwachung an Bahnhöfen, in Zügen und auf öffentlichen Plätzen soll ausgebaut werden. Vor allem aber fordert die CSU eine deutliche Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung: Wie Telefonunternehmen sollen auch Anbieter von E-Mail-Diensten und sozialen Medien verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern. Zudem soll die Frist zur Speicherung der Daten von zehn Wochen "deutlich" gesteigert werden - und der Straftaten-Katalog für den Zugriff auf die Daten soll erweitert werden. Als Beispiel nannten die zuständigen Minister den Tatbestand der Terrorismusfinanzierung.

JUSTIZ: Auch die Justiz bekommt mehr Personal, es gibt rund 270 neue Stellen. Beispielsweise soll es bei der Generalstaatsanwaltschaft München eine "Zentralstelle Extremismus" geben. Staatsanwaltschaften und Gerichte werden gestärkt, unter anderem soll das Münchner Oberlandesgericht einen weiteren Staatsschutzsenat bekommen.

BUNDESWEHR: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr von Terrorgefahren und zur Grenzsicherung soll nach dem Willen der CSU auch über bereits bestehende Möglichkeiten hinaus erleichtert werden. Um das klarzustellen, fordert die CSU eine Grundgesetzänderung.

ZUWANDERUNG: Die Staatsregierung erneuert ihre Forderung nach einer Obergrenze für neue Flüchtlinge von 200 000 pro Jahr. Eine weiterer zentraler Punkt lautet: Wer ohne Papiere einreist oder seine Identität nicht belegen kann, soll an den Grenzen "zunächst festgehalten werden und gegebenenfalls zurückgewiesen werden". In dem Zusammenhang erneuert das Kabinett die Forderung nach "Transitzentren" für solche Flüchtlinge. Überschreitet die Zahl neuer Flüchtlinge die von der CSU geforderte Obergrenze, sollen weitere Flüchtlinge, die aus einem sicheren Nachbarland einreisen wollen, abgewiesen werden. Grundsätzlich soll es keine unkontrollierten Einreisen mehr geben.

ABSCHIEBUNGEN: Ausländische Straftäter sollen nach dem Willen der Staatsregierung schneller abgeschoben werden - auch in Krisengebiete. Die Argumentation lautet: Auch in einem Land wie Afghanistan gebe es Gegenden, in die man abgelehnte Asylbewerber zurückschicken könne.

ASYLBEWERBER: Asyl sollte nach dem Willen Bayerns nur gewährt werden, wenn es vorher eine mündliche Anhörung gab. "Bloße schriftliche Anhörungen dürfen nicht mehr genügen." Anerkannte Asylbewerber, bei denen es keine mündliche Anhörung gab, sollen - so die Forderung - "nachträglich unter Sicherheitsgesichtspunkten überprüft werden".

EXTREMISTEN: Verurteilte Extremisten, von denen weiter eine Gefahr ausgeht, sollen mit elektronischen Fußfesseln überwacht werden. Die Sympathiewerbung für terroristische und kriminelle Vereinigungen soll nach dem Willen der CSU wieder unter Strafe gestellt werden.

INTEGRATION/PRÄVENTION: Die Staatsregierung schafft einen "Krisendienst" für Menschen in psychischen Notlagen. Hoch spezialisierte Berater sollen Betroffenen und deren Angehörigen bayernweit und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollen bayernweit "Präventionsstrukturen" aufgebaut werden, um das Umfeld von "Gefährdern" zu stabilisieren. Auch im Internet soll versucht werden, der Radikalisierung von Jugendlichen vorzubeugen.

STRAFRECHT: Die CSU fordert, dass gewalttätige Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte härter bestraft werden: Das Strafmaß soll auf mindestens sechs Monate bis hin zu fünf Jahren steigen. Wohnungseinbruchdiebstähle sollen durchweg hart bestraft werden, es soll dabei strafrechtlich keine minder schweren Fälle mehr geben.

TÜRKEI: Die Staatsregierung fordert angesichts der Entwicklungen in der Türkei den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land.

FLUCHTURSACHEN: Das Kabinett will sich bei der Bekämpfung von Fluchtursachen stärker engagieren. Summen blieben zunächst offen. (dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.