Politik

Fähnchen schwenken - das dürfen Frauen auch in der CSU. Bei der Kandidatenaufstellung aber haben sie allzu oft das Nachsehen. (Foto: dpa)

09.12.2016

"Die ganze Republik schaut auf Bayern"

Staatsrechtlerin Silke Ruth Laskowski über ihre Verfassungsklage gegen das bayerische Wahlrecht, die Forderung nach paritätischen Kandidatenlisten und das Beispiel Frankreich

51 Prozent der Wahlberechtigten sind Frauen. Im Landtag aber haben sie nicht einmal ein Drittel der Sitze. Auf kommunaler Ebene sieht es noch düsterer aus: Nur 8,7 Prozent der Bürgermeister sind weiblich. Das Aktionsbündnis Parité in den Parlamenten, zu dem auch der Landesfrauenrat, Katholischer Frauenbund und die Grünen gehören, klagt deshalb vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof. Das Ziel: eine Verpflichtung der Parteien, genauso viele Frauen wie Männer aufzustellen. Silke Ruth Laskowski vertritt das Bündnis vor Gericht. BSZ: Frau Laskowski, warum starten Sie Ihre Klage ausgerechnet im konservativen Bayern?
Silke Ruth Laskowski: Weil es hier die progressivsten Frauen gibt. Und weil es nur in Bayern das Instrument der Popularklage gibt: Jede und jeder kann sie einlegen, damit der bayerische Verfassungsgerichtshof im Interesse der Allgemeinheit prüft, ob bayerisches Recht –  in diesem Fall das Wahlrecht – mit der bayerischen Verfassung übereinstimmt.

BSZ: Das tut es in Ihren Augen nicht?
Laskowski: Nein. In Artikel 118 der bayerischen Verfassung findet sich die staatliche Verpflichtung, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Das bayerische Wahlrecht aber diskriminiert Frauen strukturell und mittelbar, wenn es keine Chancengleichheit bei der Nominierung von Kandidatinnen und Kandidaten gewährleistet. Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen. Aber nur mit einer ausreichenden Anzahl an Parlamentarierinnen, die ihre Interessen vertreten, haben sie die Möglichkeit, effektiv auf die Staatsorgane einzuwirken.

BSZ: Männer können diese Interessen nicht vertreten?
Laskowski: Nein. Männer und Frauen haben durch ihre Sozialisation einen unterschiedlichen Blick auf die Realität. Männer wollen weibliche Diskriminierungserfahrungen auch gar nicht zur Kenntnis nehmen. Bedauerlicherweise geht ja von ihnen die Diskriminierung aus.

"Es geht um Macht, Geld und Einfluss.
Und das gibt keiner freiwillig her"

BSZ: Und die Gleichberechtigung bleibt auf der Strecke?
Laskowski: Ja, Sie haben in Bayern ein unerhört modernes Verfassungsrecht. In Artikel 168 ist das Grundrecht der Entgeltgleichheit ausdrücklich geregelt – seit 70 Jahren! Doch das hat offenbar noch niemand zur Kenntnis genommen. Der bayerische Gesetzgeber hat bis heute nichts für die Umsetzung dieses Grundrechtes getan: Die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen liegt in Bayern bei 25 Prozent. Oder denken Sie an den Platzmangel und die chronische Unterfinanzierung von Frauenhäusern. Ohne gleichberechtigte Parlamente keine gleichberechtigten Gesetze und keine gleichberechtigte Gesellschaft.

BSZ: Das Standardargument gegen Quoten: Es gibt gar nicht genügend Frauen, die wollen.
Laskowski: Das ist eine reine Schutzbehauptung. Auch in Frankreich, das bereits vor 15 Jahren gesetzliche Paritäts-Regelungen eingeführt hat, gab es dieses Gejammer. Und was ist passiert: Natürlich haben die Parteien Frauen gefunden. Frauen, die man vorher gar nicht finden wollte. Es geht um Macht, Geld und Einfluss. Und das gibt keiner freiwillig her.

BSZ: Welche Auswirkungen hatte in Frankreich das Paritégesetz?
Laskowski: Die Kommunalparlamente, die über Listen gewählt werden, sind heute nahezu paritätisch besetzt. Denn nicht paritätisch aufgestellte Listen werden erst gar nicht zur Wahl zugelassen. Auch in den Departementräten gibt es paritätische Verhältnisse, da die Parteien 2013 verpflichtet wurden, Kandidatenduos, Binome bestehend aus einer Frau und einem Mann, aufzustellen, die dann auch gemeinsam in die Räte gewählt werden. Für die Nationalversammlung allerdings schicken die Parteien immer noch mehr Männer ins Rennen. Als Sanktion droht ihnen nämlich lediglich der Entzug finanzieller Zuwendung, und den nehmen sie in Kauf. Das will man aber verschärfen.

"Mit der Änderung der Rahmenbedingungen,
erhöht sich auch der Frauenanteil in den Parteien"

BSZ: Hatte der Zuwachs an Frauen auch politische Auswirkungen?
Laskowski: Ja, es kamen im Anschluss weitere gesetzliche Regelungen hinzu: 2006 ein Entgeltgleichheitsgesetz, 2008 eine Verfassungsänderung für paritätische Verhältnisse in der Privatwirtschaft und im sozialen Bereich und infolgedessen 2011 ein Gesetz zur Einführung von Frauenquoten in Führungsetagen: Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die öffentliche Verwaltung müssen ab 2017 eine Quote von mindestens 40 Prozent erreicht haben. Und das Gleichberechtigungsdurchsetzungsgesetz von 2014 verschärft Regelungen in verschiedenen Bereichen, etwa zum Schutz der Frauen vor Gewalt und für die Umsetzung des Verfassungsziels der Gleichstellung.

BSZ: In der CSU sind nur 20 Prozent Frauen. Müsste sie 50 Prozent Kandidatinnen aufstellen, wären diese dann nicht überrepräsentiert?
Laskowski: Darauf kommt es nicht an. Der Frauen- oder Männeranteil ist nicht entscheidend, sondern das Zugangsrecht der weiblichen und männlichen Bevölkerung zu demokratischer Teilhabe, das nicht durch eine Parteimitgliedschaft erkauft werden muss. Maßgeblich ist und bleibt das Volk, also der jeweils hälftige Anteil der wahlberechtigten Frauen und Männer. Mit einer Änderung der Rahmenbedingungen in den Parteien würde sich aber sicherlich auch die Zahl der Frauen erhöhen, auch der CSU-Frauen. Bei Grünen, SPD und Linken, in denen Männer und Frauen in nahezu paritätischer Weise aufgestellt werden, ist der Frauenanteil höher.

BSZ: Was sagen Sie einem CSU-Mann, der wegen seines Geschlechts leer ausgeht und sich diskriminiert fühlt?
Laskowski: Dass es ihm damit nicht anders geht als Frauen, die auf Männer-Plätzen nicht zum Zuge kommen. Und ich verweise auf die Förderverpflichtung in der Bayerischen Verfassung und im Grundgesetz.

"Klappt es nicht vor Gericht, besteht auch
die Möglichkeit, die Bundestagswahl anzufechten"

BSZ: Im Grundgesetz steht auch die Parteienfreiheit – dazu gehört die freie Entscheidung, Kandidaten aufzustellen. Wäre ein Paritätsgesetz nicht ein Eingriff in diese Freiheit?
Laskowski: Die Parteien sollen als Transmitter fungieren, um die gesellschaftlichen Interessen im Parlament abzubilden – nur deshalb haben sie diesen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Man hat sie aber keineswegs freigestellt von demokratischen Strukturen. Meiner Ansicht nach geht es um keinen Eingriff in die Parteienfreiheit, sondern um eine Ausgestaltung der innerparteilichen Demokratie, zu der die Gleichberechtigung gehört. Aber selbst wenn man in einem Paritätsgesetz einen Eingriff sähe, wäre dieser gerechtfertigt. Denn wie gesagt: Fehlt effektive Einflussnahme von 51 Prozent des Volkes – den Frauen –, besteht ein verfassungsrechtliches Problem.

BSZ: Wie erwarten Sie, wird der Verfassungsgerichtshof die Klage aufnehmen?
Laskowski: Mit Interesse! Denn klar ist: Die ganze Republik schaut auf Bayern. Wenn Bayern der Meinung ist, dass der Gesetzgeber hier nachbessern muss, wäre das der Durchbruch für das paritätische Wahlrecht in allen Ländern und auch im Bund.

BSZ: Auch der Verfassungsgerichtshof ist allerdings männerdominiert.
Laskowski: Ja, dass der bayerische Verfassungsgerichtshof zu 80 Prozent mit Männern besetzt ist, ist natürlich nicht ganz unproblematisch.

BSZ: Wenn das Gericht Ihrer Argumentation nicht folgt, wie geht es dann weiter?
Laskowski: Sollten wir wider Erwarten nicht erfolgreich sein, wäre eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. Daneben besteht die Möglichkeit, die Bundestagswahl anzufechten. Unter den Klägerinnen der Popularklage sind viele Juristinnen – die juristische Diskussion ist bereits im Gange.
(Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.