Die Rechnung ist nicht aufgegangen“, sagt Rolf Lauer. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken spricht über die Reform der Handwerksordnung im Jahr 2004. Die damalige rot-rüne Bundesregierung hatte im Zuge der Hartz-Reformen für 53 Handwerksberufe den Meisterbrief abgeschafft. Das sollte es Handwerkern erleichtern, ein Unternehmen zu gründen. „Ziel der Reform war es, Existenzgründungen zu erleichtern, Arbeitsplätze zu schaffen und Marktzugang für EU-Bürger zu erleichtern“, erläutert Lauer.
Erhalten blieb der Zwang zum Meisterbrief in 41 Berufen, bei deren Ausübung „Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter“ entstehen können. Dazu zählen zum Beispiel Bäcker, Bootsbauer, Dachdecker, Elektrotechniker, Metzger, Friseure, Maler, Maurer, Straßenbauer und Zweiradmechaniker. Ohne Meisterbrief gründen dürfen hingegen beispielsweise Estrichleger, Fliesenleger, Parkettleger, Damen- und Herrenschneider, Schuhmacher, Müller, Graveure, Geigenbauer und Fotografen.
Der Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach (CSU) würde den Meisterbrief am liebsten wieder für alle Handwerksberufe einführen. Er sorgt sich um Nachhaltigkeit und Qualität: „Wenn niemand mehr lernt, wie etwas ordentlich gemacht wird, ist Schlamperei bald der Normalzustand“, so Michelbach (Lesen Sie dazu auf dieser Seite auch „Die Frage der Woche“).
Auch für Annette Karl, wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, hat sich die rot-grüne Reform „nicht bewährt“. Die Reform habe zu überproportional vielen Gründungen geführt „und zwar über den Bedarf hinaus, in vielen Fällen ohne jede betriebswirtschaftliche Darstellbarkeit“. Dies habe bei vielen Jungunternehmern zu Selbstausbeutung und zu einem massiven Druck auf die Löhne geführt, kritisiert Karl. Versuche, das Rad zurückzudrehen, hält sie aber nicht für zielführend. „Auch die EU würde sich massiv dagegen sträuben, den Meisterzwang wieder einzuführen“, so Karl, „aber ich bin gegen eine weitere Lockerung oder Abschaffung für mehr Berufe.“
Meisterbetriebe behaupten sich besser am Markt
Ähnlich sieht es der handwerkspolitische Fraktionssprecher der Freien Wähler, Johann Häusler: „Wir setzen uns für den Erhalt der Meisterpflicht in jenen Handwerkszweigen ein, in denen sie noch besteht.“ Häusler macht dies auch an der Ausbildungssituation fest. Falle die Meisterpflicht in einem Gewerbe, „schnellen meist die Gewerbeanmeldungen in die Höhe. In der Mehrzahl sind dies aber Einmannbetriebe, die keine Auszubildenden beschäftigen.“
Bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern nennt man hierfür als Beispiel die Fliesenlegerbetriebe. Deren Zahl hat sich in Bayern seit dem 31. Dezember 2003 um stolze 442 Prozent von 2203 auf 11 950 Ende des Jahres 2015 vervielfacht. Die Zahl der Fliesenlegerlehrlinge ist im selben Zeitraum um 30 Prozent gesunken: von 648 im Jahr auf 453. In diesen sogenannten B1-Berufen, heißt es bei der Handwerkskammer Oberbayern, sei „überhaupt keine Qualifikation mehr erforderlich, um sich selbständig zu machen, auch kein Gesellenbrief“.
Unterfranke Lauer verweist auf die Nachhaltigkeit. Betriebe mit Meister seien schlicht „marktfähiger“. Sie hielten sich besser am Markt, hätten fundiertere Geschäftsideen und seien expansionsfreudiger. „Ein Betrieb, der von einem Meister gegründet worden ist“, so Lauer, „hat im Schnitt eine höhere Lebensdauer als ein Betrieb aus einem zulassungsfreien Gewerk.“ In den zulassungsfreien Berufen machten viele Kleinstbetriebe schnell wieder dicht. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) sind 60 Prozent der Betriebe, die sich nach der Reform 2004 gegründet hatten, nach fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden.
Gibt es also nur gute Gründe für den Meister in Deutschland? Etwas differenzierter sieht es Kerstin Celina, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen. Der Meisterzwang werde auf Dauer keinen Bestand haben „in einer immer enger vernetzten Welt, in der Produkte und Dienstleistungen weltweit transparent gehandelt werden“. Celina glaubt auch nicht, dass es zu einem ruinösen Wettbewerb kommt, sollte der Meisterzwang für alle Berufe fallen. „Der Markt ist doch schon jetzt geteilt. Zwischen Kunden, die hochwertige Meisterleistungen bereit sind zu vergüten und denen, die so billig wie möglich einkaufen möchten und dafür Risiken in Kauf nehmen.“
Dennoch sei „die Angst begründet“, dass ohne Meister die Qualität bei Geschäftsgründungen und Ausübung von Gewerken im Durchschnitt sinke. Die Lösung sieht Celina indes nicht darin, den Meisterzwang zu verteidigen, „sondern grenzüberschreitende, europäische kundenfreundliche Regelungen für Reklamationen und Klagemöglichkeiten zu schaffen, um gegen Schlechtleistungen vorgehen zu können“. Hierfür sollten die zuständigen Kammern Qualitätssiegel entwickeln, die im gesamten Binnenmarkt gelten. Celina prognostiziert, dass zum Beispiel freiwillige zusätzliche Leistungen oder die Garantie besonders hochwertiger Produkte von den Kunden mit höheren Preisen honoriert würden und die Qualitätsstandards positiv beeinflussten – „wie in anderen Branchen auch.“ (Jan Dermietzel)
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