Politik

Plenarsaal des Landtags: Nicht immer geht’s hier zivilisiert zu. In Zukunft können verbale Entgleisungen teuer werden. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

28.03.2024

"Feiglinge", "Lackl" und "Irre"

Weil die Debatten im Landtag rauer werden, wird ein Ordnungsgeld eingeführt – doch war früher wirklich alles besser?

Wenn alles den erwartbaren Gang geht, dann müssen bayerische Abgeordnete schon bald für ungebührliches Verhalten sowie beleidigende und hetzerische Wortwahl zahlen. Bis zu 4000 Euro Ordnungsgeld will Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bei schweren oder wiederholten Vergehen verhängen. Sie begründet das damit, dass die Debattenkultur im Hohen Haus immer mehr zu wünschen übrig lässt. Aber stimmt das überhaupt? War früher wirklich alles besser und gediegener?

Ein Blick auf die nackten Zahlen lässt diesen Schluss nicht zu. Zwar gab es zwischen 1994 und 2018 gerade einmal vier Rügen und eine Abmahnung – im Vergleich zu 27 in der vergangenen Legislatur. Aber davor hagelte es in manchen Sitzungen regelrecht Rügen und Ordnungsrufe. Von 1990 bis 1994 waren es 47, von 1986 bis 1990 immerhin 43. Mitunter gab es sechs oder sieben Rügen an einem Plenartag. Allerdings: Während sich die Ordnungsmaßnahmen früher recht gleichmäßig auf alle Fraktionen verteilten, betrafen sie zuletzt fast ausschließlich Abgeordnete der AfD.

Die Vorfälle sind provokanter geworden. Und verletzender.

Und die Vorfälle sind in der Wahrnehmung des ehemaligen Landtagsvizepräsidenten Karl Freller (CSU) provokanter und verletzender geworden. Freller gehört dem Landtag seit 1982 an. Er hat wortgewaltige Debattenredner wie den Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU), seinen SPD-Gegenspieler Karl-Heinz Hiersemann und später den wegen seiner Zwischenrufe berüchtigten Grünen Sepp Dürr erlebt.

Blickt man zurück in die Historie, lässt sich Frellers Einschätzung nachvollziehen. Ein paar Beispiele: Am 12. Oktober 1989 gab es vier Rügen in kurzer Folge. Zuerst arbeiteten sich Konrad Breitrainer und Otto Zeitler (beide CSU) am Grünen Sepp Daxenberger ab, den sie „Verleumder“ und „Lackl“ nannten. Kurze Zeit darauf erhielt Hiersemann eine Doppelrüge, nachdem er Erwin Huber (CSU) nacheinander als „Dampfplauderer“ und die „so ziemlich größte Giftspritze der CSU“ tituliert hatte. Am 12. Dezember 1991 wurde Dietmar Franzke (SPD) für den Zuruf „Feigling“ gerügt.

Die allererste Rüge im Hohen Haus gab es übrigens am 30. Januar 1947. Da wurde Fritz Linnert (FDP) für die Aufforderung zum „Schnabelhalten“ gemaßregelt. Zum Vergleich: AfD-Abgeordnete warfen in der vergangenen Periode Kolleg*innen Begriffe wie „Irrer“, „Kindsmörder“ oder „Lügendemokraten“ an den Kopf, die Grüne Gisela Sengl wurde mit dem Anwurf an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) aktenkundig, der habe „nur Stroh im Kopf“. Es nimmt also nicht unbedingt die Quantität, aber die Qualität der verbalen Missgriffe zu.

Früher hat man gestritten und dann ein Bier getrunken

Eine ähnliche Entwicklung bei den Störungen. 1990 sorgte die Grüne Ruth Paulig für Aufregung, als sie auf dem Höhepunkt der CSU-„Amigo-Affäre“ das Rednerpult mit schwarzem Filz bedeckte. Ein Jahr später wedelte sie mit Knecht-Ruprecht-Ruten in Richtung der CSU, was sogar in einem Sitzungsausschluss endete. Aber mit Gasmaske ans Rednerpult zu treten wie 2020 Stefan Löw (AfD) oder eine Rednerin direkt am Pult mit einer Plakataktion zu bedrängen und die darauf- folgende Rüge in Siegerpose zu feiern wie 2023 Löws Kollege Ralf Stadler, auf solche wenig subtilen Provokationen ist damals niemand gekommen.

Freller berichtet, dass es früher im Landtag trotz manchmal derber Wortwahl kollegialer und freundschaftlicher zugegangen sei. Nach hitzigen Debatten habe man sich „zusammengesetzt und ein Bier miteinander getrunken“. Alles irgendwie halb so wild also. Und die vielen Rügen? Da meint Freller, dass diese damals nicht die große Bedeutung gehabt hätten wie heute, wo jede Plenarsitzung live im Internet verfolgt werden könne. Außerdem habe die Unversöhnlichkeit zugenommen, und auch die Empfindlichkeit. Worte würden heute „schneller auf die Goldwaage gelegt“.

Dass nun bald gegen Störende und Hetzende ein Ordnungsgeld verhängt werden kann, begrüßt Freller trotzdem. Denn zuletzt seien von manchen Abgeordneten – siehe Stadler – selbst absolut berechtigte Rügen nicht ernst genommen worden. Nach dem nun im Landtag vorliegenden Entwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes soll das Ordnungsgeld automatisch von den monatlichen Diäten abgezogen und dem allgemeinen Staatshaushalt zugeführt werden. (Jürgen Umlauft)

 

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