Politik

Gewaltprävention an der Schule: Mit der Rangelei unter sozialpädagogischer Aufsicht sollen die beiden Buben ihre eigenen Grenzen und die des anderen kennen lernen. (Foto: dapd)

17.02.2012

Feuerwehr für Brennpunktschulen

Die Schulsozialarbeit im Freistaat wird ausgebaut - allerdings nicht überall

Gewalt, Verwahrlosung, Armut und Sucht – die Herausforderungen an Bayerns Schulen sind heute gewaltig. „Verhaltensauffälligkeiten Heranwachsender nehmen zu“, mahnt Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Der Ruf nach mehr Schulsozialarbeit wird deshalb immer lauter. „Der Handlungsdruck ist gerade in diesem Bereich immens“, so Wenzel. „Denn immer mehr Kinder sind auf professionelle Unterstützung angewiesen.“
Das hat auch die bayerische Staatsregierung erkannt und begegnet dem Problem mit einem speziellen Förderprogramm: Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS). Die Personalkosten dieser Sozialarbeiter übernimmt zu 40 Prozent der Freistaat, den Rest die jeweilige Kommune und der Schulträger. Nun kündigte Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) Zuschüsse für 270 zusätzliche JaS-Stellen in den nächsten drei Jahren an. 450 gibt es bislang. Finanziert werden diese neuen Stellen nicht vom Freistaat. Die Mittel kommen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bunderegierung. Erst ab 2014 wird Bayern die mit Bundesmitteln geschaffenen Stellen im Rahmen und zu den bestehenden Förderbedingungen des JaS-Programms übernehmen.
„Unser Förderprogramm Jugendsozialarbeit an Schulen ist ein voller Erfolg“, sagt Haderthauer der Staatszeitung und kündigt eine qualitative und quantitative Weiterentwicklung der Maßnahme an: „Bis 2019 werden wir 1000 JaS-Stellen in Bayern fördern.“


Gymnasien bekommengrundsätzlich kein Geld


Doch in den Jubel der Sozialministerin möchte BLLV-Präsident Wenzel nicht so recht einstimmen: Aus Sicht des Verbandes greift JaS nämlich viel zu kurz. Auch weil nur bestimmte Schulformen gefördert werden. Gymnasien bekommen gar nichts, Grundschulen nur, wenn der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund über 20 Prozent liegt. Das kritisiert auch Herbert Bassarak, Sozialpädagogik-Professor an der Hochschule Nürnberg und Vorsitzender der Landesgemeinschaft Schulsozialarbeit Bayern. Er begrüßt zwar den Ausbau der JaS-Stellen, sagt aber auch: „Man darf die Schulsozialarbeit nicht nur an bestimmte Schulformen koppeln. Denn auch Kinder im Grundschulalter und Schülerinnen und Schüler an Gymnasien können soziale Probleme haben, in allen sozialen Schichten.“
An jeder Schule sollte ein Sozialpädagoge arbeiten, fordern nicht nur die beiden Experten, sondern auch Martin Güll, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion: „In der heutigen Zeit, in der den Schulen zunehmend Erziehungsaufgaben überlassen werden, gehört ein Sozialarbeiter in das pädagogische Team.“ Auch weil „Lehrerinnen und Lehrer aufgrund ihrer Ausbildung in der sozialen Arbeit, vor allem in der sozialen Beratung und Hilfegewährung, nicht zureichend qualifiziert sind“, ergänzt Bassarak.
JaS-Stellen allerdings sind vor allem als Feuerwehr für Brennpunkt-Schulen gedacht. „Anders als die Schulsozialarbeit, die die Arbeit mit den Schülern im schulischen Kontext ergänzt, richtet sich die JaS spezifisch an einzelne junge Menschen mit sozialpädagogischem Begleitungsbedarf und ihre Familie“, so die Erklärung des Sozialministeriums. Sie stellen gewissermaßen eine „Filiale des Jugendamts“ an der Schule dar.
Jugendsozialarbeit und Schulsozialarbeit sind also zwei komplett verschiedene Dinge. Während die Jugendsozialarbeit vor allem auf bereits bestehende Probleme reagiert, ist die Schulsozialarbeit in viel stärkerem Maß auf Prävention und Förderung sozialer Kompetenzen gerichtet. Dafür allerdings gibt es vom Freistaat kein Geld.
Schulsozialpolitik ist in Bayern grundsätzlich Sache der Kommunen. Sie dürfe aber nicht von deren Zahlungskräftigkeit abhängen, sondern müsse genau so wie die ausreichende Versorgung der Schulen mit Lehrern „als genuine Aufgabe des Kultusministeriums betrachtet werden“, kritisiert Günther Felbinger, bildungspolitischer Sprecher der Freien Wähler. So sieht das auch der SPD-Abgeordnete Güll. Er fordert vom Kultusministerium Planstellen für Sozialpädagogen. „Einen Topf für Sozialarbeit“, verlangt auch Thomas Gehring, schulpolitischer Sprecher der Grünen.

SPD fordert: Planstellen für Sozialarbeiter


Doch Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) will davon nichts wissen, er verweist auf die grundsätzliche Zuständigkeit der Kommunen. Lieber lobt er das Engagement von Haderthauer, „die mit der JaS die Gemeinden unterstützt“. Spaenle sagt der BSZ: „Der Freistaat ist hier auf dem Weg.“
„Die Schulsozialarbeit ist bei den Kommunen richtig aufgehoben“, glaubt auch die Landtagsabgeordnete  Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU). Sie könnten besser als der Freistaat entscheiden, „welche Maßnahme passgenau ist“. Nicht jede Schule habe schließlich die gleichen Probleme, so die Bildungspolitikerin. „Und Mittel mit der Gießkanne auszuschütten, hat uns noch nie weitergebracht.“
Auch Renate Will, Bildungsexpertin der Landtags-FDP möchte den Schulen die Entscheidung überlassen. Sie sagt aber auch: „Ihnen muss viel stärker geholfen werden.“ Will fordert für jede Schule ein festes Personalbudget. „Daraus können Sozialarbeiter, Musikpädagogen oder  Lehrer bezahlt werden – je nach Bedarf.“
Professor Bassarak würde es ebenfalls begrüßen, engagierte sich das Kultusministerium in dieser Richtung stärker finanziell. In einigen anderen Ländern geschehe das längst, berichtet er. „In Nordrhein-Westfalen beispielsweise können Planstellen für Lehrer zu Planstellen für Sozialarbeiterstellen umgewidmet werden.“
„Investitionen in Erziehung und Bildung zahlen sich immer aus“, sagt Bassarak. „Ich muss nicht betonen, welcher Wert heute der schulische Erfolg für das ganze Leben eines Menschen hat.“ Es gehe um „unsere Schülerinnen und Schüler. Und damit auch um unsere gesellschaftliche Zukunft und die des Freistaates Bayern“, erklärt er. „Parteipolitische Interessen sollten deshalb außen vor bleiben.“ (Angelika Kahl)

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