Politik

Einkaufen auf Vorrat: Die Behörden empfehlen seit langem, dass private Haushalte für den Krisenfall Vorräte für bis zu zwei Wochen anlegen sollten. (Foto: dpa)

23.08.2016

Hamstern für den Ernstfall

Der aktuelle Notfallplan für den Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegerischen Attacken ist mehr als 20 Jahre alt. Jetzt stellt die Regierung Deutschland auf neue Bedrohungen ein. Die Fakten zum neuen Zivilschutzkonzept

Die Bundesregierung passt den Notfallplan für den Zivilschutz der veränderten Bedrohungslage durch Terrorangriffe, Cyberattacken und sogenannte hybride Angriffe an. Bei hybriden Bedrohungen kann es um eine Mischung aus offenen und verdeckten sowie militärischen und zivilen Mitteln gehen. Fragen und Antworten zu dem Konzept der Bundesregierung, das am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden soll:

Um welche Arten von Krisenfällen geht es?
Es geht unter anderem um Situationen, in denen die öffentliche Versorgung lahmgelegt ist. In denen etwa auf einmal kein Trinkwasser mehr da ist, es keine Elektrizität gibt, Menschen nicht mehr an Lebensmittel kommen, ihre Häuser nicht verlassen dürfen oder Krankenhäuser in kürzester Zeit viele Verletzte aufnehmen müssen. Hintergrund können gezielte Angriffe auf Deutschland sein - militärische Attacken, Terroranschläge oder Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen wie Energie- oder Kommunikationsnetze. Eine solche Lage kann aber auch nach Naturkatastrophen vorkommen.

Von welchen Bedrohungen geht die Bundesregierung aus?
Die zuständigen Ministerien richten ihre Planungen unter anderem auf mögliche Angriffe mit chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Stoffen, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, Cyberangriffe, den Einsatz von konventionellen Waffen sowie die Störung von kritischen Infrastrukturen wie Wasser- oder Elektrizitätswerke aus. Bei sogenannten hybriden Bedrohungen seien Besonderheiten wie eine Vielfalt offener und verdeckter Angriffe, unübersichtliche Schadensszenarien sowie "kurze oder gänzlich entfallende Vorwarnzeiten" zur berücksichtigen.

Ist der Aufruf, dass Bürger Lebensmittelvorräte anlegen sollen, neu?
Nein. Die Behörden empfehlen seit langem, dass private Haushalte für den Krisenfall Vorräte für bis zu zwei Wochen anlegen sollten. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zum Beispiel hat Checklisten veröffentlicht, wie viele Vorräte - zum Beispiel Getränke (28 Liter), Getreideprodukte (4,9 Kilogramm) oder Gemüse (5,6 Kilogramm) - pro Person für 14 Tage nötig sind. Das Bundesernährungsministerium gibt seit langem online Tipps für private Notfallvorräte, bietet sogar einen "Vorratskalkulator" an. Auch der Staat hortet in rauen Mengen Grundnahrungsmittel für den Ernstfall: Reis, Hülsenfrüchte, Getreide und Kondensmilch.

Was waren die Grundannahmen bei dem immer noch gültigen Konzept zur Zivilverteidigung aus dem Jahr 1995?
Das damalige Konzept war vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Entspannung nach dem Ende des Kalten Krieges geschrieben worden. Damals sollten die "notwendigen Vorkehrungen an die verbesserte Sicherheitslage für die Landes- und die Bündnisverteidigung" angepasst werden, heißt es in einem Bericht des Bundesinnenministeriums vom 27. Juni 1995. Ergänzend wird ausgeführt: "Die Anpassung berücksichtigt auch die angespannte Finanzlage des Bundes, die für eine Reihe von Jahren eine konsequent sparsame Haushaltspolitik erfordert."

Was ist der Anlass für das neue Konzept?
Seit 1995 haben sich die Bedrohungsszenarien fundamental verändert. In den vergangenen 20 Jahren seien zudem bundeseigene Strukturen und Einrichtungen der Zivilen Verteidigung oft abgebaut oder durch die Nutzung der Katastrophenschutzressourcen der Länder ersetzt worden, heißt es in dem aktuellen Papier. So biete heute die "wachsende Verwundbarkeit der modernen Infrastruktur und die Ressourcenabhängigkeit moderner Gesellschaften (...) vielfältige Angriffspunkte".

Was sieht die Bundesregierung in ihrem Konzept vor?
Das Konzept enthält eine Fülle von Prüfaufträgen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Bevölkerung bei einem Angriff ausreichend geschützt und ihre Versorgung sichergestellt werden kann. Zudem geht es darum, die Staats- und Regierungsfunktionen aufrechtzuerhalten sowie die Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit und Operationsfähigkeit zu unterstützen.
Unter anderem muss sich das Technische Hilfswerk (THW) auf Veränderungen einstellen. So soll laut Konzept eine "Anpassung des Fähigkeitsprofils erfolgen, um die vorhandenen Bereiche Rettung und Bergung, Notinstandsetzung und Notversorgung (...) neu zu gewichten."
(Jörg Blank und Christiane Jacke, dpa)

Zivilschutz: Wie die Bevölkerung in der Krise versorgt werden soll

Trinkwasser, Nahrungsmittel, Medizin, Geld: Die wichtigsten Themen in Stichpunkten:

TRINKWASSER: Die Notversorgung wird demnach über "autarke Brunnen und Quellen in Verbindung mit einer mobilen Trinkwassernotversorgung (Wassertransporte)" sichergestellt. "Leistungsstarke Brunnen sollen an exponierten Standorten insbesondere in Großstädten und Ballungsgebieten gebaut oder hergerichtet werden", heißt es. Zur Desinfektion des Wassers sollen Chlortabletten eingesetzt werden.
Die Bevölkerung soll "durch geeignete Maßnahmen angehalten werden", zur Eigen- und Erstversorgung "für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten".
Die staatliche Notvorsorge sichere die Minimalversorgung für die Bevölkerung mit Trinkwasser für mindestens 14 Tage, heißt es weiter. Als Mindestbedarf werden 15 Liter pro Person und Tag, 75 Liter pro Bett und Tag in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie 150 Liter in der Intensivmedizin angegeben. Auch an Nutztiere ist gedacht: Für jede "Großvieheinheit" liege der Mindestbedarf bei 40 Litern Wasser am Tag.

ERNÄHRUNGSNOTFALLVORSORGE: Die Versorgung soll bei einer Attacke so lange wie möglich durch die private Lebensmittelwirtschaft über den freien Markt abgewickelt werden. Ist eine solche Grundversorgung nicht mehr gewährleistet, kann die Regierung demnach per Rechtsverordnung in die Lebensmittelerzeugung und bei deren Verteilung einschreiten. Es könnte Erlasse zu Anbau, Verarbeitung, Verteilung und Verkauf von Lebensmitteln geben. Sprich: Es würde eine Rationierung geben.
Zum Selbstschutz sollten die Bürger zudem angehalten werden, "einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten, um durch entsprechende Eigenvorsorge die staatlichen Maßnahmen zu unterstützen". Konkrete Mengenangaben werden hier nicht gemacht.

MEDIZINISCHE VERSORGUNG: Es soll geprüft werden, ob die Auslastungsreserven, die es schon jetzt bei der stationären Versorgung "im Großschadensfall" gibt, auch Kernbereiche wie Operationssäle oder Intensivstationen einbeziehen und im Jahresdurchschnitt eine stabile Versorgung gewährleisten würden.
Bislang ist nach dem Papier des Innenministeriums durch bestehende Verpflichtungen eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen gesichert. Nicht erfasst sei bislang aber die "Situation eines sprunghaft ansteigenden Bedarfs spezifischer Arzneimittel oder Medizinprodukte in bestimmten Krisensituationen". Auch die Deckung eines länger als zwei Wochen dauernden Zeitraums sei nicht erfasst.

BARGELDVERSORGUNG: Für die Kreditinstitute bestehe derzeit keine Verpflichtung, für einen Krisenfall "eine Notfallplanung bereitzuhalten, um zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des gesamten Bargeldverkehrs beizutragen", stellt das Innenministerium fest. Die Bundesbank habe für ihr Haus zwar umfangreiche Risikovorsorgemaßnahmen getroffen, die vor allem auf Ad-hoc-Maßnahmen bei kürzeren Krisen mit einer Dauer von ein bis fünf Tagen abzielten.
Eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld durch die Bundesbank könne aber nicht geleistet werden. Dafür wären die 35 Filialen der Bundesbank im Vergleich zu rund 50 000 Geldautomaten und den über 30 000 Bankfilialen in Deutschland "gänzlich unzureichend". Eine funktionierende Logistikinfrastruktur, die nicht im Einflussbereich der Bundesbank liege und die Kreditinstitute einschließe, sei deshalb "für eine geordnete Bargeldversorgung der Bevölkerung unbedingt erforderlich".
Auch durch eine verstärkte Automation wie durch automatische Kassentresore in Bankfilialen oder an Geldautomaten könnten die Möglichkeiten zur Geldauszahlung im Krisenfall beeinträchtigt sein, warnen die Experten weiter. Unverzichtbar sei es daher, die IT-Verfügbarkeit und die Energieversorgung der Kreditinstitute herzustellen. Bei diesem Punkt dürfte es unter anderem um die Vorsorge gegen Cyber-Attacken auf das Finanzsystem gehen.

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