Politik

Das neunjährige Gymnasium startet bereits im Herbst – mit G8-Überholspur, für die Sibler keine starre Notengrenze will. (Foto: dpa)

18.05.2018

"Ich sehe dem Start des G9 entspannt entgegen"

Kultusminister Bernd Sibler über die Zukunft des Islamunterrichts, Werteunterricht für Migrantenkinder und das neue neunjährige Gymnasium

Er ist seit gut acht Wochen Bayerns neuer Kultusminister: Bernd Sibler. Die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium war bei seinem Amtsantritt längst in Arbeit. Doch noch gibt es einige offene Fragen. Wie soll zum Beispiel die neue Oberstufe des G9 aussehen? Eine weitere Baustelle: der Islamunterricht an Bayerns Schulen. Sibler betont: „Die Frage ist nicht, ob er weitergeht, sondern wie.“

BSZ Herr Sibler, Hand aufs Herz: Wie groß war Ihre Erleichterung, als die Rückkehr zu einem neunjährigen Gymnasium beschlossen wurde?
Bernd Sibler
Wir hatten viele Jahre daran gearbeitet, mehr Akzeptanz für das G8 zu bekommen. Trotzdem mussten wir feststellen, dass keine Ruhe an den Gymnasien einkehrt. Deshalb war es gut, dass die CSU-Fraktion aus eigenem Antrieb entschieden hat, eine grundlegende Änderung vorzunehmen. Dazu kommt, dass sich im Vergleich zur Einführung des G8 2003 einige Umstände geändert haben. Damals war Deutschland der „kranke Mann Europas“, wir hatten ein Durchschnittsalter der Hochschulabsolventen von 27 oder 28 Jahren. Damit waren wir in Europa nicht konkurrenzfähig. Heute stehen wir in Bayern wirtschaftlich blendend da, das Absolventenalter ist deutlich niedriger. Das hat mit dem G8 zu tun, aber auch mit der Abschaffung der Wehrpflicht und Straffungen an den Hochschulen. Es gab also auch fachliche Gründe, sich vom G8 wieder zu verabschieden.


BSZ Im September geht es los mit dem neuen G9. Sind die Vorbereitungen im Zeitplan?
Sibler Wir sind absolut im Zeitplan. Dank des von meinem Vorgänger Ludwig Spaenle aufgesetzten Dialogprozesses haben wir ein gutes Konzept mit einer breit akzeptierten Stundentafel und neuen Schwerpunktsetzungen. Für die ersten Jahrgangsstufen sind alle Vorbereitungen getroffen. Die Lehrpläne stehen, die Schulbücher für die einzelnen Jahrgangsstufen liegen rechtzeitig vor. Wir sehen dem Start des neuen G9 entspannt entgegen.

BSZ Es gibt Kritik daran, dass das Mehr an Zeit gleich mit zusätzlichem Stoff gefüllt wird. Braucht das Gymnasium nicht auch pädagogische Innovationen?
Sibler Wir haben im G9 deutlich weniger Nachmittagsunterricht. Das war der Wunsch vieler Eltern. Und wenn man ein Jahr gewinnt, kann man guten Gewissens 19,5 Stunden zusätzlich einbauen. Das ist deutlich weniger, als in einer Jahrgangsstufe an Stunden vorgesehen ist. Mit den zusätzlichen Stunden stärken wir die Kernfächer, weiten Informatik, die Naturwissenschaften und die politisch-historische Bildung aus und bauen neue Module zum Beispiel zur Berufsorientierung ein. Ich habe aber auch verfügt, dass genügend Zeit zum Wiederholen und Vertiefen bleibt und dass im Bereich der digitalen Bildung auch Medienwirkung gelehrt wird, damit Kinder und Jugendliche lernen, welchen Einfluss digitale Medien auf sie und ihre Umwelt haben.

BSZ Ist schon klar, wie die G8-Überholspur funktionieren soll?
Sibler Grundsätzlich soll geeigneten Schülerinnen und Schülern in der 9. und 10. Klasse zusätzlicher Unterricht in Begleitmodulen angeboten werden, um die 11. Klasse pädagogisch unterstützt überspringen zu können. Ein entsprechendes Konzept wird von einer Arbeitsgruppe unter anderem mit den gymnasialen Verbänden erarbeitet.

"Leistungskurse an Gymnasien in der alten Form wird es nicht geben"

BSZ Also kein Angebot für alle?
Sibler Gedacht ist, dass die Lehrkräfte geeignete Schüler ansprechen. Geeignet bedeutet nicht nur eine Auswahl nach Noten, sondern auch nach persönlicher Reife und Entwicklung. Nach meiner Vorstellung wird es keine starre Notengrenze geben, sondern eine Entscheidung auf pädagogischer Basis in Absprache mit Lehrerkonferenz und Eltern. Ich stehe ohnehin für ein Primat der Pädagogik in allen Bereichen der Schule.

BSZ Gilt das dann auch für das vor allem an Noten orientierte Übertrittsverfahren nach der Grundschule?
Sibler Wir haben das Übertrittsverfahren deutlich weiterentwickelt und den Elternwillen gestärkt. Fest steht aber, dass die Aussage unserer pädagogisch erfahrenen Lehrkräfte zur Übertrittseignung eine wichtige Grundlage für die Entscheidung der Eltern über den weiteren Bildungsweg ihrer Kinder ist. Abgesehen davon möchte ich mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Schulwahl endgültig über den weiteren Bildungsweg der Kinder entscheidet. Wir haben massiv an der Durchlässigkeit des bayerischen Schulwesens gearbeitet: Jeder Abschluss bietet einen Anschluss.

BSZ Noch einmal zurück zum G9: Offen ist die Reform der Oberstufe. Gibt es dafür schon Eckpunkte?
Sibler Wir werden nach Pfingsten alle Beteiligten einladen, ihre Vorstellungen einzubringen. Ich nehme schon jetzt sehr deutlich den Wunsch nach fachlicher Vertiefung wahr – Stichwort „Leistungskurse“. Die werden unter diesem Namen und in der alten Form nicht wiederkommen. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir das im G8 bewährte W-Seminar noch stärker fachlich und auf das wissenschaftliche Arbeiten an der Hochschule ausrichten.

"Wertebildung ist ein absolut berechtigtes Anliegen"

BSZ Ministerpräsident Söder will für Migrantenkinder Deutschlernklassen mit Wertekunde einführen. Wie sieht das der Kultusminister?
Sibler Mit den bayernweit mehr als 600 Übergangsklassen haben wir für die Integration an den Grund- und Mittelschulen schon ein sehr breites Fundament geschaffen. Wir werden die Übergangsklassen qualitativ weiterentwickeln, auch mit weiteren Stellen. Ein Schwerpunkt wird dabei Deutsch sein, auch unter dem Gesichtspunkt der Alphabetisierung. Dass wir zusätzlich die Werteordnung unseres Staates vermitteln und Wertebildung betreiben wollen, ist auch aus meiner Sicht ein absolut berechtigtes Anliegen.

BSZ Der allseits positiv bewertete Modellversuch zum Islamunterricht in staatlicher Verantwortung läuft aus. Wie geht es da weiter?
Sibler Zur Klarstellung: Wir haben gesagt, dass er nicht ausgeweitet wird. Die Weiterführung ist noch offen. Wir machen uns jetzt auf Basis der 350 beteiligten Schulen an eine Evaluation. Die Auswertung wird rechtzeitig zum Schuljahr 2019/20 vorliegen, sodass wir dann eine Entscheidungsgrundlage haben. Nachdem, was ich bisher an Erfahrungen vernommen habe, wird wohl weniger die Frage sein, ob es weitergeht, sondern eher wie.

BSZ Bleibt es bei der von Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer versprochenen Bestandsgarantie für alle selbstständigen Grundschulen auf dem Land?
Sibler Ja.

BSZ Was hat sich der Kultusminister Sibler als Ziel seiner Amtszeit gesetzt?
Sibler Starke Werte schaffen starke Schülerinnen und Schüler – das ist meine Überzeugung. Ich werde schon bald eine Werteinitiative anstoßen, die sich unter anderem gegen Antisemitismus und Gewalt in jeder Form richtet. In Bayern ist das zum Glück noch kein großes Problem, aber wir müssen da sensibel sein. Wir müssen von vornherein klarstellen, dass wir keinerlei Gewalt akzeptieren: Null Toleranz. Außerdem will ich das digitale Klassenzimmer voranbringen. Ich bin in gutem Kontakt mit den kommunalen Spitzenverbänden. Der Freistaat wird hier über den 2. Nachtragshaushalt 2018 zusätzliche Mittel und Stellen zur Verfügung stellen. Mein Ziel ist eine partnerschaftliche Kooperation des Freistaats mit den Kommunen. Für den Unterricht ist mir ganz wichtig: Die Technik muss der Pädagogik dienen, nicht umgekehrt.
(Interview: Jürgen Umlauft)

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