Politik

In Bayerns Gemeinschaftsunterkünften leben auch viele anerkannte Flüchtlinge, da sie keine Wohnung finden. (Foto: dpa)

29.12.2016

Konkurrenz um Wohnungen

Sie dürfen in Deutschland bleiben, finden aber keine Wohnung. Deshalb leben immer mehr anerkannte Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften - ein soziales und finanzielles Problem

Sie sind seit vielen Monaten in Deutschland und haben auch schwarz auf weiß, dass sie hierbleiben dürfen. Trotzdem müssen Tausende anerkannte Flüchtlinge in Deutschland weiter in großen Sammelunterkünften oder gar in Turnhallen leben - obwohl sie eigentlich in eine eigene Wohnung umziehen dürften. Doch sie finden keine. Für viele Städte in Deutschland werden diese "Fehlbeleger", wie sie in der Amtssprache heißen, zu einem immer größeren Problem.

"Der Wohnungsmarkt ist vielerorts sehr angespannt", erläutert eine Sprecherin des Deutschen Städtetags. Die Nachfrage nach günstigen Bleiben sei gerade in Groß- und Universitätsstädten sehr hoch. "Wir haben Alleinerziehende, Arbeitslose, dazu noch die Flüchtlinge - das spannt die Situation weiter an." Die Kommunen bemühen sich laut Städtetagspräsidentin Eva Lohse zwar stark. "Aber das Tempo und der Umfang des Wohnungsbaus reichen noch nicht aus."

Besonders schlimm ist die Lage noch immer in der Hauptstadt, wie Bernd Mesovic von der Hilfsorganisation Pro Asyl sagt. "Es gab dort groteske Fehlplanungen, Betreiber von Unterkünften kämpfen hier regelrecht gegeneinander." 5000 anerkannte Flüchtlinge leben in Berlin noch in Sammelunterkünften, etwa auf dem früheren Flughafen Tempelhof. Das Schlimmste sei: "Niemand kann den Leuten sagen, wann sie rauskommen. Viele flippen regelrecht aus bei der Perspektive."

Wie soll man in großen Heimen zur Ruhe kommen?

Das sorgt für Frust. Zur Selbstständigkeit gehöre eben neben Arbeit auch eine eigene Wohnung, ein Rückzugsraum. "Viele bräuchten das dringend, weil sie psychisch angeschlagen sind", sagt Mesovic. Viele Zuwanderer und ihre Kinder hätten Konzentrationsschwierigkeiten in Sprachkurs oder Schule, weil sie nicht zur Ruhe kommen.

In großen Heimen mit mehreren Hundert Menschen gibt es außerdem oft Konflikte. Da "brodelt es", sagt Mitra Sharifi, Vorsitzende der bayerischen Ausländerbeiräte. "Da entstehen gruppendynamische Prozesse, die nicht positiv sind." Außerdem seien Kontakte zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, die in kleinen Orten entstünden, für die Akzeptanz der Menschen sehr wichtig, sagt Sharifi.

Auch der Chef des Nürnberger Sozialamtes, Dieter Maly, sagt: "In der Gemeinschaftsunterkunft findet der Abend und das gesamte Wochenende unter seinesgleichen statt." Eine Befragung unter 300 Flüchtlingen in Unterkünften der Stadt habe ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bewohner keinerlei Kontakte zu Einheimischen haben.

Gemeinschaftsunterkünfte sind teurer als private

Mesovic von Pro Asyl nennt zudem einen finanziellen Aspekt, der mit den "Fehlbelegern" zusammenhängt: Manche Betreiber von Flüchtlingsunterkünften erhöben hohe Gebühren. "Wenn das Miete wäre, wäre das zigfacher Wucher. Sicher wäre es auch für uns als Steuerzahler günstiger, wenn sich da schnell etwas bewegen würde."

Beispiel Nürnberg: Hier sind mehr als 1700 der 8400 Flüchtlinge sogenannte Fehlbeleger - 20 Prozent. So hoch ist der Anteil nach Angaben des Sozialministeriums auch im Rest von Bayern.

Sobald Flüchtlinge ein Bleiberecht haben, fallen die meisten in die Zuständigkeit der Jobcenter. Wenn sie arbeitslos sind, muss das Amt die Unterkunft zahlen. Laut Maly sind das in Nürnberg "leicht 600 bis 700 Euro im Monat. Der Richtwert von 450 Euro pro Einpersonenhaushalt wird in der Gemeinschaftsunterkunft deutlich übertroffen."

In München steigt die Zahl der Obdachlosen

Ein weiteres Integrationshemmnis: Ein Flüchtling mit Bleiberecht und Job muss die Kosten für die Gemeinschaftsunterkunft selbst tragen. "Für viele lohnt sich das Arbeiten daher nicht", sagt Maly.

Dass die Flüchtlinge schnell Wohnungen finden, sei "aussichtslos", sagt Ursula Mayer (CSU), Bürgermeisterin im oberbayerischen Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Die Gemeinde hatte Schlagzeilen gemacht, weil sie Flüchtlinge in einer Wohnwagensiedlung unterbrachte. In Bayern leben nur knapp 15 000 der mehr als 125 000 Flüchtlinge in einer privaten Unterkunft.

Die Stadt München hat mehrere Programme aufgelegt, um günstige Wohnungen für Einheimische und Flüchtlinge zu schaffen. Denn neben den 1200 Anerkannten muss die Stadt sich aktuell um mehr als 5400 Obdachlose kümmern - auch ihre Zahl steigt seit Jahren. "Man muss Standort für Standort und Einrichtung für Einrichtung schauen, wo gibt es geeignete Flächen und Anbieter, die etwas bauen wollen", berichtet Ottmar Schader vom Sozialreferat. "Angesichts der Flächenknappheit ist das alles andere als einfach."

OB Maly Kritisiert: "Jahrzehntelang keine Wohnungsbauförderung"

Dabei hätten erst die Flüchtlinge dafür gesorgt, dass es mehr Geld für solche Baumaßnahmen gebe, sagt der Nürnberger Maly: "Jahrzehntelang hat es keine Wohnungsbauförderung gegeben. Jetzt wurde der Schalter umgelegt und die Förderung ist besser geworden." Dennoch dauere es zwei bis drei Jahre, bis neue Wohnungen fertig sind.

Um aus dem "Notstandsmodus" rauszukommen, seien flexible Lösungen nötig, betont Mesovic von Pro Asyl. In einigen Ballungsgebieten gebe es auch Leerstände. Und manche Gewerbegebäude ließen sich relativ leicht umwidmen. Die Mittel zur Dorfkernsanierung könne man zudem mit dem Wohnungsbau koppeln. "Wenn das Thema nicht energisch angegangen wird, ist das Wasser auf die Mühlen der Populisten. Denn dann kann man sagen, hier konkurrieren Einheimische mit Flüchtlingen."

Der Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler) hatte Anfang des Jahres mit einer spektakulären Aktion auf das Thema aufmerksam gemacht: Per Bus fuhr er Flüchtlinge vor das Kanzleramt. 500 von 1300 Menschen in seinem Kreis sind bereits Fehlbeleger. Obwohl der Bund einen großen Teil der Unterkunftskosten übernehme, bleibe sein Kreis in diesem Jahr "auf zwei Millionen Euro sitzen", kritisiert Dreier.

Und er nennt ein weiteres großes Problem: Solange die Zahl der Neuankömmlinge so niedrig sei wie zurzeit, könnten die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften bleiben. "Aber was passiert, wenn wieder eine Welle kommt? Dann sind unsere dezentralen Unterkünfte voll. Dann wird es noch schwieriger als vorher." (Catherine Simon, dpa)

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