Politik

Ein Baby: Für viele kinderlose Paare bleibt es ein Wunschtraum – trotz Reproduktionsmedizin. (Foto: dpa)

20.02.2015

Nachwuchs aus dem Reagenzglas

Jedes Jahr werden in Bayern 4500 Kinder dank der Reproduktionsmedizin geboren – weit mehr als im Bundesdurchschnitt

Fünf Jahre wurde in Großbritannien das Verfahren in mehreren Ethik- und Expertenkommissionen diskutiert. Anfang Januar hat das britische Unterhaus entschieden: So genannte Drei-Eltern-Babys darf es auf der Insel künftig geben. Ausgangspunkt für das Verfahren sind Defekte am Erbgut der Mitochondrien, die Muskel- und Nervensysteme, aber auch Herz und Hirn schädigen. Nun haben aber Wissenschaftler eine Technik entwickelt, die es, vereinfacht gesagt, erlaubt, den Embryo mit gesunden Mitochondrien auszustatten. Diese stammen nicht von der Mutter, sondern von einer Eizellen-Spenderin. Genetisch hat ein solches Kind also drei Eltern: zwei Mütter und einen Vater.

Die neue Technik hat die Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin erneut entfacht – auch in Bayern. Befürworter feiern die Methode als medizinischen Durchbruch, mit dem sich eine seltene Erbkrankheit vermeiden lässt. Kritiker sehen eine ethische Grenze überschritten. Sie befürchten einen Dammbruch hin zum maßgeschneiderten Designer-Kind. Vor allem in den Kirchen regt sich Widerstand. Die katholischen Bischöfe haben die Methode als „nicht hinnehmbar“ verurteilt, „da sie einen extremen Eingriff in die Genetik eines Menschen darstellt, der seine genetische Identität tangiert, deren Auswirkungen bis heute nicht klar sind“. Aber auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml kritisiert das Verfahren: „Nicht alles, was medizinisch möglich ist, ist auch ethisch vertretbar“, sagte sie der Staatszeitung.

Hans-Peter Eiden, Geschäftsführer des Berufsverbandes Reproduktionsmedizin in Bayern (BRB), spricht sich dagegen für die neue Technik aus, allerdings nicht ohne Vorbehalte. „Ich befürworte prinzipiell jede Methode der medizinischen Hilfestellung, sofern es nicht zu einer Verletzung des medizinischen Ethos und der bestehenden Gesetze kommt“, sagt er. „Das Kindeswohl hängt grundsätzlich nicht von der Anzahl seiner Gengeber ab, sondern von der Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Kindes.“ Aber – und das betont Eiden, sollten neue Methoden in erster Linie nur eine Kommerzialisierung verfolgen, lehne er sie ab.

Sicher ist ohnehin: Hierzulande wird sich die britische „Drei-Eltern-Technik“ kaum durchsetzen. Denn Deutschland hat eine im europäischen Vergleich restriktive Gesetzgebung. Maßgeblich zur Regelung der künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF) ist das Embryonenschutzgesetz von 1991. Es verbietet etwa die Eizellspende, die in den meisten europäischen Ländern erlaubt ist. Und auch die Leihmutterschaft ist per Gesetz verboten. Seit Langem fordern viele Wissenschaftler und Mediziner eine Reform des 24 Jahre alten Gesetzes, da es an der Realität ebenso vorbeigehe wie am medizinischen Fortschritt.

Trendsetter Bayern

Der Gynäkologe Ulrich Noss, der in München ein Kinderwunsch-Zentrum mitbetreibt, will sich der Kritik  nicht anschließen. „So schlecht wie sein Ruf ist dieses Gesetz nicht“, sagt er. „Wir können damit gut arbeiten.“ Mit Stolz verweist auch Verbandschef Eiden auf den „medizinischen Erfolg“ der bayerischen Zentren. Rund 130 reproduktionsmedizinische Zentren gibt es in Deutschland, 20 in Bayern. Jedes Jahr werden im Freistaat dank Reproduktionsmedizin rund 4500 Kinder geboren: Das sind vier Prozent aller in Bayern geborenen Kinder. Zum Vergleich: In Gesamtdeutschland beträgt diese Quote 1,6 Prozent. „Die bayerische Reproduktionsmedizin“, sagt denn auch Eiden, „darf sich in aller Bescheidenheit als Trendsetter der deutschen Reproduktionsmedizin bezeichnen.“

Insgesamt behandelten die deutschen Zentren im vergangenen Jahr laut IVF-Register 51 000 Frauen, eine Zahl die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Und verdienen damit sehr viel Geld. Zwischen 3000 und 5000 Euro kostet eine Behandlung – und die meisten Paare unterziehen sich mehreren Versuchen. Oft genug ohne Erfolg. Die sogenannte „Baby Take Home“-Rate liegt je nach Behandlung nur zwischen elf und 25 Prozent. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen in der Regel für die ersten drei Versuche 50 Prozent der Behandlungskosten. 2012 waren das 19 Millionen Euro. Und nicht alle Paare haben eine Chance: Die Frau darf höchstens 40, der Mann höchstens 50 Jahre alt sein. Außerdem dürfen die Kassen auch nur verheiratete Paare bezuschussen, so hat es erst Ende 2014 das Bundessozialgericht in Kassel entschieden.

Doch die Konflikte in der Reproduktionsmedizin drehen sich natürlich nicht nur ums Geld, sondern – wie in kaum einem anderen Bereich der Medizin – vor allem auch um ethische und juristische Fragen. Und einfach sind die Antworten nie. Dies macht beispielsweise die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) deutlich, die entbrannte, als 2010 der Bundesgerichtshof das bisherige PID-Verbot für nicht zulässig erklärte. Erbittert stritten Gesellschaft und Politik – über Parteigrenzen hinweg – über die Verordnung zur Regelung von Gentests an In-Vitro-gezeugten Embryonen. Sei es denn nicht rechtens, dass Eltern, die an einer Erbkrankheit oder Behinderung leiden, sicherstellen wollen, dass ihr Kind gesund zur Welt kommt? Und: Muss die Mutter ein Kind austragen, bei dem eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Totgeburt besteht? Das waren berechtigte Fragen. Genauso wie diese: Wo aber ist Grenze der PID? Welche Krankheiten oder Behinderungen gelten als so schwerwiegend, dass ein Embryo, der diese in sich trägt, vernichtet werden darf? Ist behindertes Leben denn nicht ebenso lebens- und schützenswert wie gesundes Leben?

2011 wurde die Regelung verabschiedet, die eine PID in Deutschland grundsätzlich verbietet – abgesehen von einigen Ausnahmefällen. Paare, die eine PID vornehmen lassen wollen, müssen vor einer unabhängigen Ethik-Kommission vorstellig werden und ihren Wunsch begründen. In Bayern ist gerade das Gesetz zur Ausführung der Präimplantationsdiagnostik-Verordnung in Kraft getreten. Denn anders als andere Bundesländer hat der Freistaat entschieden, eine eigene zentrale Ethik-Kommission einzusetzen. Diese wird sich am 9. März konstituieren. „Die Umsetzung geht jetzt zügig voran“, heißt es im bayerischen Gesundheitsministerium. Seit Anfang Februar können sich humangenetische und reproduktionsmedizinische Institutionen in Bayern beim Ministerium für die Zulassung als PID-Zentrum bewerben. Nur in diesen Zentren und nur nach Zustimmung der Ethik-Kommission wird die PID dann möglich sein. (Beatrice Ossberger)

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