Politik

Grapschen soll künftig strafbar sein - darin ist man sich parteiübergreifend einig. (Foto: dpa)

20.05.2016

Nein? Nein!

Bundesjustizminister Maas will Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen – geht dabei aber (noch) nicht weit genug

Eine Frau sitzt im Biergarten, die Tasche neben sich. Der Tischnachbar greift danach und rennt weg. Ganz klar: Das ist Diebstahl. Also eine Straftat.

Eine Frau sitzt im Biergarten, der Tischnachbar grapscht ihr beherzt an die Brust. Ganz klar: Das ist sexuelle Belästigung. Leider aber keine Straftat. Denn einen Tatbestand der sexuellen Belästigung gibt es in Deutschland schlicht nicht.

Jetzt aber soll das Sexualstrafrecht verschärft werden. Nach Monaten, in denen ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) im Kanzleramt festgesteckt hatte, erzeugten die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln Druck für eine Umsetzung. Künftig soll die Strafbarkeit der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung auch auf Fälle erweitert werden, in denen das Opfer keinen Widerstand leistet – entweder aufgrund von Überrumpelung oder Angst.

Dass endlich eklatante Lücken im Sexualstrafrecht geschlossen werden, findet parteiübergreifend Zustimmung. Fast ebenso groß ist allerdings der Konsens, dass Maas dringend nachbessern muss. Denn er schafft lediglich Ausnahmeregeln von dem Grundkonzept, dass Opfer einer Vergewaltigung beweisen müssen, dass sie sich gewehrt haben. „Maas bleibt immer noch der alten Denke verhaftet, dass im Normalfall Widerstand geleistet werden muss“, kritisiert Verena Osgyan, frauenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Eine Kritik, der sich Landtags-SPD und Freie Wähler anschließen.

Bei Diebstahl fragt auch keiner: Hast du dich denn gewehrt?

Ebenfalls ein großes Manko des Entwurfs: Das Thema Grapschen kommt mit keinem Wort vor. Das bringt auch Bayerns Justizminister Winfried Bausback auf die Palme. Denn er hält es für längst überfällig, dass sexuelle Belästigung als Straftat geahndet werden kann. In Einzelfällen behelfen sich Gerichte zwar mit dem Konstrukt der sexuellen Beleidigung. Ein Notbehelf, der für Bausback aber „nicht akzeptabel“ ist. „Denn für die Opfer sind derartige Verletzungen des Intimbereichs weit mehr als beleidigend“, sagt er der Staatszeitung. Das sehen auch CSU, Freie Wähler und Grüne so und unterstützen die Forderung nach einem „Grapschparagrafen“. Einzig Franz Schindler, rechtspolitischer Sprecher der SPD, ist skeptisch. Einen Straftatbestand des Grapschens „so zu formulieren, dass die Vorschrift auch in der Praxis anwendbar ist“, berge Schwierigkeiten, sagt er.

Bausbacks Vorschlag: „Sexuell motivierte körperliche Berührungen mit Belästigungscharakter sollen künftig mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden.“ Ein entsprechender Antrag fiel im Rechtsausschuss des Bundesrats zwar durch. Am vergangenen Freitag sprachen sich die Länder aber grundsätzlich dafür aus, einen neuen Straftatbestand der sexuellen Belästigung zu schaffen. Außerdem forderten sie die Bundesregierung auf, den Entwurf dahingehend zu verschärfen, dass bereits das fehlende Einverständnis des Opfers einer Vergewaltigung eine Strafbarkeit auslöst. Es soll der Grundsatz gelten: „Nein heißt Nein“.

Auch Bausback zeigt sich der Nein-heißt-Nein-Lösung gegenüber aufgeschlossen – und das ist bemerkenswert, weil die CSU entsprechende Anträge der Landtags-Grünen und der Freien Wähler in der Vergangenheit abgelehnt hatte. Eine der CSU wichtige Forderung wurde im Bundesrats-Beschluss allerdings auch berücksichtigt. So soll geprüft werden, wie sexuelle Angriffe aus Gruppen strafrechtlich besser geahndet werden. Die laufenden Prozesse in Köln zeigten leider deutlich, dass es für Opfer oft nicht möglich ist, bestimmte Taten einzelnen Angreifern zuzuordnen, wenn diese gezielt als Gruppe agieren, erklärt Petra Guttenberg, rechtspolitische Sprecherin der CSU. „Wenn aber hier Freisprüche erfolgen, ist dies für die Opfer und den Rechtsstaat ein inakzeptabler Zustand.“

Beliebtes Argument von Gegnern: Ein Nein lässt sich vor Gericht kaum beweisen

Dass Maas seinen Entwurf noch einmal überarbeiten wird, gilt als sicher. Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, kündigte in der FAZ an, dass das Sexualstrafrecht noch bis zum Sommer verschärft werde – inklusive Grapsch-Paragraf und „Nein-heißt-Nein“-Regel. Widerstand allerdings kommt aus Juristenkreisen. Häufigstes Argument: Wie lässt sich ein fehlendes Einverständnis vor Gericht überhaupt beweisen? Gewalt hinterlässt in der Regel Spuren wie blaue Flecken, ein „Nein“ nicht.

Nicht wenigen Juristen gehen sogar die moderaten Änderungsvorschläge von Maas zu weit. Künftig soll sich laut Gesetzentwurf auch der strafbar machen, der die Furcht eines anderen vor einem „empfindlichen Übel“ für sexuelle Handlungen ausnutzt. Maas hat dabei Fälle im Blick, in denen Frauen aus Angst vor Schlägen auf eine Gegenwehr verzichten. Oder weil die Kinder nebenan sind. Auch die Befürchtung des Jobverlusts wäre ein Beispiel. Tonio Walter, Strafrechtsprofessor in Regensburg und Richter am Oberlandesgericht Nürnberg, befürchtet, dass damit falsche Beschuldigungen künftig leichter würden. Denn, so schreibt er in einem Beitrag für die Zeit, es käme dann allein auf das subjektive Gefühl des Opfers an – egal wie irrig es sei.

Natürlich kommen falsche Beschuldigungen immer wieder vor. Ein Problem von immensem Ausmaß sind sie aber nicht. Im Gegenteil: Es scheint, dass Sex-Täter nur allzu oft davonkommen. Bundesweit werden pro Jahr rund 8000 Vergewaltigungen angezeigt. Und nur etwa jeder zehnte Verdächtige wird verurteilt. Dazu kommt: Die Dunkelziffer ist hoch. Experten schätzen, dass nur jedes zehnte Opfer zur Polizei geht – auch aus der Befürchtung heraus, der Täter gehe ohnehin straffrei aus.

Aber auch wenn einige Fälle nicht beweisbar sind – das sei kein Grund, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nur lückenhaft zu schützen, betont Florian Streibl (Freie Wähler). Auch SPD-Mann Schindler hofft, der Entwurf werde noch so nachgebessert, dass ein erkennbares „Nein“ des Opfers genüge. Alles andere wäre absurd, meint die Grüne Osgyan. „Beim Diebstahl fragt ja auch keiner, ob man Schutzmaßnahmen getroffen oder Widerstand geleistet hat.“ (Angelika Kahl)

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