Politik

Pfarrer und Religionspädagog*innen benötigen eine Lehrerlaubnis ihrer Kirche, um unterrichten zu dürfen. (Foto: dpa/Jörg Carstensen)

22.03.2024

Religionsunterricht: Warum eigentlich?

In Bayern gab es vor Kurzem Zoff, weil die Kultusministerin den Glaubensunterricht kürzen wollte – ein legitimer Gedanke, denn immer weniger Kinder nehmen daran teil

Weniger Religionsunterricht für Grundschulkinder, dafür mehr Deutsch und Mathe? Nicht mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Klar: Die Schüler und Schülerinnen müssen Gelegenheit bekommen, ihre Defizite auszubügeln. Aber im Hickhack darum, welche Schulstunden dafür gestrichen werden könnten, ist der bayerische Religionsunterricht laut Söder tabu. Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) hatte als Konsequenz auf die besorgniserregenden Pisa-Ergebnisse vergeblich gefordert, an bayerischen Grundschulen weniger Religion, dafür mehr Deutsch und Mathe zu unterrichten.

Drei Stunden pro Woche lernen die Dritt- und Viertklässler hierzulande, wer Gott ist, wer Jesus und was Kirche, sie hören Geschichten aus der Bibel, begegnen anderen Religionen und erfahren, warum und wie man betet. Allerdings sinkt die Zahl derer, die am konfessionellen Unterricht teilnehmen: Nur noch zwei von drei Schulkindern in Bayern besuchen den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht. Umgekehrt wird das Fach Ethik immer beliebter: 31 Prozent der Schüler und Schülerinnen wählen Ethik statt Reli.

Nur noch zwei Drittel wollen Religionsunterricht

Ein besonderer Aufreger ist das für die Kirchen nicht, man ist Schlimmeres gewohnt. „So dramatisch diese Entwicklung insgesamt auch ist: Dass angesichts dieses Trends immer noch zwei Drittel der Schüler am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen, muss durchaus positiv gewürdigt werden“, so eine Sprecherin des Erzbischöflichen Ordinariats München. Und ein Sprecher der Evangelischen Landeskirche erklärt: „Angesichts der zunehmenden Konfessionslosigkeit von Schülerinnen und Schülern finde ich die Schwankungen normal, aber nicht beunruhigend.“

Und doch stellt sich die Frage, ob das bayerische Modell eigentlich noch zeitgemäß ist. Pfarrer und Religionspädagog*innen, die eine Lehrerlaubnis ihrer Kirche brauchen, um unterrichten zu dürfen; Lehrpläne, von den Kirchen mitgestaltet; beten, singen, Bibellesen im Schulhaus: Wer nicht gläubig ist, findet das Ganze bestenfalls altmodisch.

Hinzu kommt: Wäre ein gemeinsamer Unterricht à la „Ethik für alle“ nicht eine weitaus bessere Voraussetzung für gegenseitiges Verstehen, für Akzeptanz und Toleranz über all die Gräben hinweg, die sich in der Gesellschaft auftun? Klar: Für die Kirchen selbst steht die Bedeutung des Religionsunterrichts außer Frage. Schließlich ist der Religionsunterricht gerade in einer säkularen Welt oft die wichtigste Möglichkeit, sich mit Glauben und Kirche auseinanderzusetzen.

"Das Recht auf Religion ist ein Menschenrecht und bedarf einer entsprechenden Bildung“, so der Sprecher der Evangelischen Landeskirche. Der Religionsunterricht bringe junge Menschen über ihre Haltungen und Erfahrungen miteinander ins Gespräch, stärke das Argumentationsvermögen, weite die eigene Perspektive hin auf Solidarität und Toleranz und stütze eine selbstbewusste Wahrnehmung der eigenen Religiosität. „Vor dem Hintergrund der vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Krisen und Polarisierungen leistet der Religionsunterricht einen zentralen Beitrag in der Persönlichkeitsbildung junger Menschen und zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, so auch die Sprecherin des Erzbischöflichen Ordinariats.

Doch das sehen nicht alle so. Etwa die bayerischen Liberalen, die sich dafür starkmachen, einen gemeinsamen Dialogunterricht zu Religions- und Weltanschauungsfragen einzuführen. Eine Studie des Bundes für Geistesfreiheit legt nahe, dass viele Menschen dieses Anliegen teilen: 53 Prozent der Befragten in Bayern finden demnach, ein gemeinsamer Ethikunterricht sei am besten geeignet, ein friedvolles Miteinander zu fördern.

Eine repräsentative Befragung der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg (FAU) von 2017 dagegen kommt zu einem anderen Ergebnis. Demnach finden es 65 Prozent der Befragten richtig, dass Religion ein ordentliches Unterrichtsfach ist, nur 25 Prozent sprachen sich dagegen aus. Besonders beliebt ist der Religionsunterricht laut dieser Studie allerdings auch nicht: Im Ranking landet er auf dem vorletzten Platz, gefolgt nur von Physik. Eine deutliche Mehrheit der Bayern hält demnach am Religionsunterricht fest.

Ändern könnte sich auf Dauer allerdings trotzdem etwas. Denn wenn die Nachfrage sinkt und Lehrkräfte fehlen, schlägt die Stunde neuer Ideen.

Die Konfessionen könnten auch gemeinsam lernen

Gute Chancen hat der in anderen Bundesländern bereits eingeführte „konfessionell kooperative Religionsunterricht“. Ein entsprechender Modellversuch läuft in Bayern bereits seit 2019. Dabei unterrichten evangelische und katholische Lehrkräfte ihre Schüler*innen an Grund- und Mittelschulen gemeinsam. Dahinter stecken nicht ideelle, sondern handfeste praktische Gründe: Mancherorts kommen sonst zu wenige Schulkinder und Lehrkräfte zusammen.

Voran geht es dagegen mit dem islamischen Religionsunterricht, der 2021 in Bayern eingeführt wurde. 1,6 Prozent aller Schüler und Schülerinnen nehmen bereits daran teil. „Das Interesse steigt“, so der Islamwissenschaftler Tarek Badawia an der FAU, die muslimische Religionslehrkräfte ausbildet. Er würde das Fach künftig gern als grundständiges Studium anbieten, nicht als Erweiterungsfach wie bisher. Auch eine Zusatzqualifikation in Schulseelsorge sei „ganz dringend“. Denn: „Es geht nicht nur um Wissensvermittlung!“ (Monika Goetsch)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.