Aktuell hat die Landeshauptstadt München etwa 1000 offene Stellen ausgeschrieben: darunter einen „Außendienstverantwortlichen im Einsammeldienst“ bei der Müllabfuhr, Architekten und Ingenieure für den Bauhof, Ärzte und Krankenschwestern für die städtischen Kliniken, Betriebswirte und IT-Spezialisten für die allgemeine Verwaltung und natürlich Erzieher, Lehrer und Kinderpfleger – sie stellen das Gros der Gesuchten. Sogar Juristen würde die Stadt gern einstellen, und die gibt es bundesweit über Bedarf.
Bis zu 1000 externe Anwerbungen muss München jährlich vornehmen. Die Stadt wirbt deshalb für sich als Arbeitgeber auf den diversen Online-Portalen unter anderem mit „sicheren Arbeitsplätzen, keinen betriebsbedingten Kündigungen, betrieblicher Zusatzversorgung ohne Arbeitnehmerbeteiligung sowie familienfreundlichen Arbeitszeit- und Beurlaubungsregelungen“. Optisch garniert ist das Ganze mit schönen Fotos von Isar, Bergen und Englischem Garten.
Scheint aber leider alles nur bedingt zu locken. Zumindest, wenn man den jüngsten, auf Antrag der SPD-Fraktion erfolgten Beschluss des Verwaltungs- und Personalausschusses anschaut. Der besagt, dass städtische Beschäftigte künftig für die Gewinnung neuer Kollegen Anwerbeprämien erhalten können. „Zufriedene Beschäftigte, die ihren Arbeitgeber empfehlen, sind das beste Aushängeschild für die Landeshauptstadt“, glaubt die Mit-Initiatorin der Idee, die SPD-Stadträtin und personalpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Bettina Messinger.
Zwischen 500 (für Auszubildende) und 1000 Euro (für Fachkräfte in Mangelberufen) sollen die Arbeitnehmer-Headhunter nach Abschluss eines Arbeitsvertrags von der Kommune erhalten. Die Stadt greift dafür tief in die Tasche: Für das Haushaltsjahr 2018/2019 werden insgesamt 500 000 Euro bereitgestellt.
Auch Profi-Headhunter kommen zum Einsatz
München knüpft damit an ein Projekt an, das schon einmal lief: zwischen 1991 und 1993 unter Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD), erinnert sich SPD-Fraktionssprecher Christian Pfaffinger. Die damalige Werbeprämie habe bei rund 600 Mark gelegen, zirka 150 neue Beschäftigte seien auf diese Weise gewonnen worden. „Warum es eingestellt wurde, vermag keiner mehr zu sagen“, wundert sich Pfaffinger.
Ob es nun erneut etwas bringt? Der Personalmangel ist ja nicht vorrangig dem Image der Stadt bei Berufstätigen geschuldet – im Gegenteil. Als Arbeitgeber von immerhin rund 35 000 Menschen genießt München einen guten Ruf, wie etwa die Bewertung beim Portal kununu.com beweist. Bei „Arbeitsatmosphäre“, „Vorgesetztenverhalten“ und „Kollegenzusammenhalt“ bekommt die Stadt vier von fünf Sternen, bei „Work-Life-Balance“, „Umgang mit Älteren“ und „Umwelt- und Sozialbewusstsein“ sind es sogar fünf Sterne.
München, aber auch die anderen großen, prosperierenden Städte im Freistaat, machen also strategisch alles richtig: Sie annoncieren nicht nur klassisch, sondern auch über die sozialen Netzwerke und mit professionellen Filmen bei youtube, sie haben die Sprache der Annoncen aufgehübscht, stellen moderne Berufsaspekte wie soziale Sicherheit, Weiterbildung und gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Vordergrund.
Immer öfter kommen auch professionelle Headhunter wie Nathaly Dahms zum Einsatz. Die ehemalige Verwaltungsbeamtin im gehobenen Dienst hat sich in Wuppertal mit einem bundesweiten Beratungs- und Rekrutierungsbüro für Fach- und Führungskräfte in der Verwaltung selbstständig gemacht. Experten wie sie berechnen Tagessätze zwischen 700 und 800 Euro. Hinzu kommt die Provision nach Vertragsabschluss, macht noch einmal drei Monatsgehälter. Und das beträgt etwa beim Bauamtschef rund 5500 Euro brutto im Monat.
Ein normaler Arbeitnehmer kann sich München schlicht nicht mehr leisten
Der eigentliche Grund für das wachsende Problem: Man kann sich München, aber auch Regensburg oder Ingolstadt, als normaler Arbeitnehmer schlicht nicht mehr leisten. Freiwillig in eine Stadt zu ziehen, wo fast die Hälfte des Nettolohns eines Durchschnitt-Singlehaushalts – und die Hälfte der Münchner Haushalte sind Singles – für die Miete einer bestenfalls mittelmäßigen Wohnung draufgeht: Das lockt nicht jeden.
Diverse Behörden kennen das Dilemma längst. Laut Landesverband Bayern der Deutschen Polizeigewerkschaft will kaum noch ein junger Beamter vom Land oder aus der Kleinstadt nach München versetzt werden – Kulturangebot hin oder her.
Doch der Freistaat kann hier zumindest ein wenig finanziell nachjustieren. Diesen Weg aber haben die Kollegen von Münchens Rathauschef Dieter Reiter (SPD) der Landeshauptstadt aus tarifrechtlichen Gründen verwehrt: Als Reiter vor knapp zwei Jahren laut überlegte, dringend gesuchten Kindergärtnerinnen eine Zulage für die Landeshauptstadt zu bewilligen, gingen die Bürgermeister im nicht wesentlich günstigeren Speckgürtel auf die Barrikaden.
Stehen viele Kommunen Bayerns also bald vor dem personellen Kollaps?
Neustadt an der Waldnaab etwa ist eine idyllische Kreisstadt im Herzen des Naturparks nördlicher Oberpfälzer Wald. Marktplatz, Kirche und Rathaus sind herausgeputzt. Auch in einer Kreisstadt sollte ja Bedarf an Fachkräften bestehen.
Doch ein entsprechender Link („offene Stellen“) fehlt auf der Website, die irritierte Empfangsdame vermittelt auf telefonische Nachfrage an die Personalabteilung: „Nein, derzeit haben wir leider nichts frei, aber vielen Dank für Ihr Interesse“, lautet die freundliche Auskunft von Leiter Peter Spachtholz. Die Kaltmiete in Neustadt liegt übrigens bei knapp vier Euro pro Quadratmeter. (André Paul)
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