Politik

Vor zwei Jahren forderte AfD-Politikerin Beatrix von Storch, geflüchtete Frauen und Kinder an der Grenze mit Waffengewalt zu stoppen. Später sagte sie, sie sei nur auf der Computermaus abgerutscht. (Foto: dpa, BSZ)

23.03.2018

Tabubrüche schaffen Reichweite

Eine neue Studie der Hanns-Seidel-Stiftung beleuchtet die Risiken politischer Kommunikation in sozialen Netzwerken

Designierter Minister tötet Katzenbabys! Angenommen, dieses Gerücht wäre kurz nach der Bekanntgabe von Ministerpräsident Markus Söders neuem Kabinett in die Welt gesetzt worden: Hätte es dazu führen können, die betroffene Person noch vor dem Amtseid zum Rücktritt zu zwingen? Die Frage klingt weit hergeholt, doch im US-Wahlkampf gab es solche Falschmeldungen. Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton soll beispielsweise in einer Pizzeria in Washington D.C. einen Kinderpornoring betrieben haben. „Viele Menschen haben das wirklich geglaubt“, versichert die Leiterin der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), Ursula Männle. Ein Mann sei sogar mit einem Sturmgewehr bewaffnet in die beschuldigte Pizzeria eingedrungen. Um herauszufinden, welche Bedrohung mediale Aufmerksamkeitsökonomie für die Demokratie in Deutschland hat, hat die HSS die Studie Social Media im Wahlkampf in Auftrag gegeben. „Die Ergebnisse“, so Männle „müssen uns nachdenklich stimmen.“

Simon Hegelich, Professor für Political Data Science von der Hochschule für Politik in München, hat mit seinem Team über die Bundestagswahl acht Monate lang die sozialen Medien in Deutschland beobachtet. Um die gigantischen Datenmengen zu analysieren, musste extra neue Hardware gekauft werden. Dadurch konnten die Wissenschaftler nicht zuletzt 350 Millionen Tweets auswerten – unter anderem zum Hashtag #MerkelMussWeg. An der Verbreitung waren laut Hegelich wesentlich Meinungsroboter, sogenannte Social Bots, beteiligt. „Wir konnten sämtliche US-Manipulationsformen auch beim Bundestagswahlkampf ausmachen“, erklärt er. Allerdings seien die Ausmaße von Bots, Leaks, Trollen, hyperaktiven Nutzern, Fake-News und Verschwörungstheorien deutlich hinter den Befürchtungen einiger Experten zurückgeblieben. Das könnte allerdings bei der nächsten Bundestagswahl schon anders sein.

AfDler und CSUler sind am aktivsten

Immer mehr Deutsche informieren sich über politische Inhalte in sozialen Netzwerken. Studien erkennen eine wachsende Bedeutung, während die der klassischen Medien zurückgeht. Bei den 18- bis 24-Jährigen informieren sich bereits 50 Prozent über Politik auf Facebook. Entsprechend viele Politiker und Parteien versuchen, das für sich zu nutzen. „Das Problem“, sagt Hegelich, „Facebook ist nicht für politische Kommunikation gedacht – sondern eher für private Inhalte wie Katzenfotos.“ Wenn Algorithmen entscheiden, welche politischen Inhalte dem Nutzer angezeigt werden, werde das klassische Mediensystem ausgehebelt, der sogenannte Gatekeeper fehle. Das macht soziale Netzwerke anfällig für Manipulation. Hegelich ist überzeugt: „Ohne soziale Netzwerke hätte US-Präsident Trump die Wahl nicht gewonnen.“ Das wollen auch die Populisten in Deutschland für sich nutzen.

Keine Partei hat laut Hegelich eine so große Wirkung in sozialen Netzwerken wie die AfD. Niemand sonst in der politischen Landschaft hat mehr Fans, Likes oder Shares. Am Tag der Bundestagswahl bezog sich über die Hälfte der Tweets auf die AfD. Eine Erklärung: Die Anhänger trauen den klassischen Medien nicht und bauen sich daher eigene Kanäle auf. Ein weiterer Grund: AfD-Anhänger sind wütend – niemand nutzt das Wut-Emoticon häufiger als sie. „Wut, Tabubrüche und Grenzüberschreitungen funktionieren auf Facebook besonders gut“, weiß Hegelich. Er befürchtet daher, dass auch Politiker anderer Couleur darauf setzen werden. Erst Anfang der Woche postete zum Beispiel die CSU „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und dazu ein Foto einer Frau in Burka. Die CSU-Anhänger sind nach der AfD die aktivsten Facebook-Nutzer. Woran das liegt, will Hegelich nicht so recht sagen. Die CSU-nahe HSS hat die Studie finanziert. „Die Partei hat ein starkes Social-Media-Team“, antwortet er schließlich.

Bleibt die Frage, ob die Trends in den sozialen Netzwerken überhaupt echt sind. „Nein“, meint Hegelich. Natürlich sei es nicht verboten, andere Nutzer zum Liken und Teilen aufzurufen. Dadurch verbreitet sich die Nachricht schneller und weitläufiger auf Facebook. „Ich halte das trotzdem für Manipulation“, meint der Forscher. Zunehmend werde auch versucht, gezielt Misstrauen in politische Institutionen zu erzeugen – wie beispielsweise bei Clintons Pizzagate. Und nicht zuletzt gibt es noch das sogenannte Mikrotargeting. Dabei können Beiträge Nutzern gezielt nach Geschlecht, Alter, Wohnort oder Interessen angezeigt werden. Für alle anderen Nutzer bleiben diese Inhalte unsichtbar. Social Bots sind in Deutschland ebenfalls im Einsatz. „Sie haben sicherlich einen Effekt auf Themen“, glaubt Hegelich. Wissenschaftlich beweisen konnte er das allerdings noch nicht. Belegt ist aber, dass Rechtsextreme in Deutschland und den USA zum Beispiel durch gefälschte Wahlplakate in sozialen Netzwerken Einfluss auf den deutschen Wahlkampf nehmen wollten.

Hegelich wünscht sich, dass die deutsche Parteienlandschaft endlich auf den veränderten Diskurs durch soziale Netzwerke reagiert. „Ich befürchte, dass die Effekte von Social Media schon stärker sind, als wir glauben“, sagt er. Dennoch hätten Parteien noch nicht einmal ein Konzept, wie sie auf Facebook mit der AfD umgehen sollen. Wichtig wäre eine inhaltliche Auseinandersetzung, meint Hegelich. Denn solange die Strategie der AfD aufgeht, werde sie ihr Konzept nicht ändern. Tatsächlich zeigt eine Studie: Je mehr Medien über Skandale der AfD berichten, desto höher sind bei der nächsten Sonntagsfrage die Zustimmungswerte. Hegelich vermutet, dass auch andere Parteien zunehmend versuchen werden, kurze, schnelle und einfach zu konsumierende Nachrichten zu verbreiten. „Manche Bundestagsabgeordnete orientieren sich bei ihren Reden schon jetzt an Youtube-Nutzern mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Katzenvideos.“ (David Lohmann)

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