Das Interview mit dem 23-jährigen Hakan gestaltet sich schwierig. Ein Dolmetscher ist nicht greifbar, und das Deutsch des Irakers ist kaum vorhanden. Eigentlich müsste das anders sein. Hakan hat bereits einen allgemeinen Integrationskurs hinter sich, der 600 Stunden Deutsch und 100 Stunden Orientierung umfasst. Was genau Hakan in dieser Zeit gelernt hat, bleibt unklar. Deutsch ist es nicht. Er ist krachend durch die B1-Sprachprüfung gefallen, und auch der Test auf dem niedrigeren A2-Niveau war zu schwer für ihn.
Damit ist Hakan kein Einzelfall. Wie die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) belegen, schafft fast jeder zweite Schüler die Sprachprüfung nicht. Woran hat es bei ihm gelegen? Hakan sieht ratlos aus, als ein Freund, der doch noch vorbeigekommen ist, ihm die Frage übersetzt. „Es ging zu schnell“, sagt er schließlich. „Ich will Deutsch lernen“, sagt er. „Ich weiß, dass es wichtig ist.“
Hakan, der auf eigenen Wunsch anders heißt, ist in seiner Heimat sechs Jahre zur Schule gegangen. Dann musste er arbeiten gehen, um die Familie zu ernähren. Hier in Deutschland wollte er ein neues Leben aufbauen. Jetzt will er den Sprachkurs noch einmal machen, aber zurzeit sei kein Platz frei.
Integrationskurse in Deutschland sind gefragter denn je. Bei den Kursteilnehmern vermeldet das BAMF im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 90 Prozent: 365 000 Menschen haben 2016 in Deutschland an einem Integrationskurs teilgenommen. Die enorme Steigerung spiegelt sich auch in den anderen Kernzahlen der Statistik wider. Rund 20 000 Kurse haben vergangenes Jahr begonnen, das ist ein Plus von 70 Prozent, es gab 100 Prozent mehr Lehrer und 20 Prozent mehr Träger. Durch den Ausbau der Kapazitäten hätten sich die Wartezeiten deutlich reduziert, bilanziert das BAMF.
Das große Chaos aus den Anfangszeiten der Flüchtlingskrise, als es vor allem darum ging, Flüchtlinge irgendwie in einen wie auch immer gearteten Integrationskurs zu schieben, scheint behoben. Umso lauter setzt jetzt die Diskussion um die Qualität der Kurse ein. Grund hierfür sind auch die vom Bundesamt veröffentlichten Zahlen über den Deutschtest. Die Prüfung auf der Schwierigkeitsstufe B1, die die Teilnehmer ablegen müssen, sieht eine selbstständige Anwendung der Sprache in alltäglichen Situationen vor und ist das eigentliche Lernziel des Integrationskurses.
In Bayern haben im vergangenen Jahr laut BAMF von 23 000 Schülern knapp 15 000 diesen Test bestanden. Das entspricht einer Bestehensquote von 64 Prozent. Bundesweit jedoch fallen die Zahlen deutlich schlechter aus. Hier haben nur 58,5 Prozent der Teilnehmer die Prüfung geschafft.
„Dass fast jeder Zweite durch die Deutschprüfung fällt, das ist untragbar“, kritisiert Arif Tasdelen, Vorsitzender der Enquete-Kommission Integration im Bayerischen Landtag. Eine der Hauptursachen sieht Tasdelen in den Sprachkursen selbst. „Ganz offensichtlich geht das Angebot an dem eigentlichen Bedarf und auch den Bedürfnissen der Teilnehmer vorbei.“ Anders fällt das Urteil im Bundesamt aus, das die Kurse bundesweit verantwortet und steuert. Die Integrationskurse wären ein Erfolg, lautet das Fazit der Behörde. Dass im Vergleich zu den Vorjahren immer weniger Teilnehmer den Deutschtest bestehen, sei zudem zu erwarten gewesen, erklärte ein BAMF-Sprecher auf Anfrage der Staatszeitung. „Die Zusammensetzung der Teilnehmer hat sich in letzter Zeit stark geändert.
In den Kursen sitzen Akademiker neben Fast-Analphabeten
Bis 2015 stellten EU-Zuwanderer den größten Teil der Integrationskursteilnehmer. 2016 hingegen stammten mehr als 60 Prozent aus dem Bereich Asyl/humanitäre Zuwendung.“ Für diese Gruppe stelle es schon vor dem Hintergrund der sprachlichen Ferne eine didaktisch erheblich größere Herausforderung dar, das Ziel im unveränderten Stundenumfang zu erreichen.
Tasdelen fordert, dass das Kursangebot besser auf die Teilnehmer zugeschnitten werden müsse. An die 500 Integrationskurse hat der Nürnberger SPD-Landtagsabgeordnete nach eigener Aussage bisher besucht und dabei immer die gleichen Beobachtungen gemacht. „In den Kursen sitzt die Akademikerin aus der Ukraine neben einem Mann aus dem Iran, der kaum seinen Namen schreiben kann. Ich muss kein Pädagoge sein, um zu wissen, dass effektives Lernen in dieser Zusammensetzung nicht funktioniert.“ Es müssten mehr Angebote geschaffen werden, die stärker auf die Vorbildung der Teilnehmer Rücksicht nehmen.
Die Münchner Volkshochschule ist einer der wenigen Träger in Bayern und Deutschland, die genau diese Anforderung erfüllt. Renate Aumüller, Fachgebietsleiterin der Deutsch-Integrationskurse, erklärt: „Ein Dozent, so gut er auch sein mag, kann nicht gleichzeitig einen Akademiker und einen Fast-Analphabeten unterrichten.“
610 Millionen Euro hat die Bundesregierung für die Kurse im laufenden Haushalt zur Verfügung gestellt. Der Zugang zu den Kursen ist allerdings beschränkt. Und auch das ist ein großer Kritikpunkt an den Integrationskursen. Berechtigt zur Teilnahme und damit auch finanziell gefördert sind nur Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis und „Asylbewerber und Geduldete mit einer guten Bleibeperspektive“. Alle anderen können auch an dem Kurs teilnehmen, müssen ihn aber vollständig selbst bezahlen. Was sich kaum einer leisten kann.
Pro Asyl spricht deshalb von einer „bewussten Integrationsverhinderung“. Die Organisation fordert Integrationskurse für alle zum frühstmöglichen Zeitpunkt. „Manche Antragssteller müssen bis zu zwei Jahre warten, bevor sie anerkannt werden – und in denen die Behörden jegliche Integrationsbemühungen verhindern. Das ist verlorene Zeit.“ (Beatrice Ossberger)
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