Politik

„Bayern ist eine Republik“, schrieb der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner im Jahr 1946. CSU-Mann Hans Ehard korrigierte: „Bayern ist ein Freistaat.“ Das Foto zeigt den ersten Entwurf der Bayerischen Verfassung. (SZ Photo)

01.12.2016

Viel Lob und vier Verbesserungswünsche

Zum 70-jährigen Jubiläum der Bayerischen Verfassung: Stimmen von Landtag, Staatsregierung und Verfassungsgerichtshof

Am 1. Dezember 1946 trat die Bayerische Verfassung in Kraft. Erarbeitet wurde sie in parteiübergreifendem Konsens – unter Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD). Was sind die Highlights dieser Verfassung? Besteht Änderungsbedarf? Die Staatszeitung hat nachgefragt.

1. Welche drei Punkte der Verfassung beeindrucken Sie am meisten?


Barbara Stamm, Landtagspräsidentin:
Mir gefällt besonders, dass Kinder so deutlich herausgestellt und als „köstlichstes Gut eines Volkes“ bezeichnet werden. Darüber hinaus der Bildungsauftrag an die Schulen, denn nicht nur Wissen und Können, sondern auch die Persönlichkeitsbildung sind entscheidend für die Zukunft der jungen Menschen. Und schließlich, dass der freie Zugang zu den Naturschönheiten Bayerns für alle gesichert ist.

Thomas Kreuzer, Vorsitzender der CSU-Fraktion im Landtag:
Neben der grundsätzlichen Definition des Freistaates als Rechts-, Kultur- und Sozialstaat halte ich den besonderen Schutz von Ehe und Familie für herausragend. Außerdem die Tatsache, dass es neben der deutschen eine eigene bayerische Staatsbürgerschaft gibt. Und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Markus Rinderspacher, Vorsitzender der Landtags-SPD:
Der Artikel 151 beschreibt wohl am eindringlichsten den sozialen Auftrag bayerischer Landespolitik: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“ Daneben sind der Artikel über die unantastbare Würde des Menschen und das Bildungsziel, in den Schulen neben Können und Wissen auch Herz und Charakter zu bilden, wichtige Grundsätze.

Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler im Landtag:
Die Menschenwürde, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen.

Margarete Bause, Vorsitzende der Landtagsgrünen:
Die Bayerische Verfassung liefert an vielen Stellen die Grundlage für grüne Politik. Artikel 105 regelt das Asylrecht für alle im Ausland verfolgten und nach Bayern geflohenen Menschen. Artikel 118 schreibt die Gleichberechtigung von Mann und Frau fest – und verpflichtet den Staat zu deren Förderung. Und in Artikel 118 ist die Versammlungsfreiheit geregelt.

Horst Seehofer (CSU), Ministerpräsident:
Die starke Betonung des Werts der Bildung. Die Verfassungsväter haben festgelegt, dass die Schule auch das Herz und den Charakter bilden soll. Zweitens: Die Bayerische Verfassung hat keine Angst vor der Beteiligung der Bürger an der demokratischen Willensbildung. Sie ist auch in der Hinsicht die modernste Verfassung in Deutschland. Drittens: der besondere Schutz der Arbeit. Auch das sind in Zeiten der Digitalisierung hochmoderne, fast schon zeitlose Bestimmungen, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.

Winfried Bausback (CSU), Justizminister:
Die klare Absage an die NS-Diktatur. Außerdem die Verankerung des Demokratieprinzips („Träger der Staatsgewalt ist das Volk“) und der Volksgesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheide. Und schließlich der Grundsatz „Vor dem Gesetz sind alle gleich“.

Peter Küspert: Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs:
Dass die Bayerische Verfassung auch nach 70 Jahren Lösungen für aktuelle Herausforderungen bietet. Dass sie eine gegenseitige Kontrolle und Mäßigung der Staatsgewalten vorsieht, die auch in der Verfassungswirklichkeit funktioniert. Und dass sie trotz Anwendungsvorrangs des Grundgesetzes sowie des Gemeinschaftsrechts ein Garant bayerischer Eigenstaatlichkeit geblieben ist.

2. Welche Verfassungsänderungen haben Sie besonders gefreut?


Barbara Stamm:
Die Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlalters. Als Sozialpolitikerin lag mir die Verankerung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung sehr am Herzen, ebenso das Konnexitätsprinzip als eine bedeutende Gerechtigkeitsfrage im Verhältnis von Freistaat und Kommunen.

Thomas Kreuzer:
2013 wurde in die Verfassung die Förderung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land aufgenommen. Das hat mich ebenso gefreut wie die Verankerung der Förderung des Ehrenamtes.

Markus Rinderspacher:
Seit 1995 sind Bürgerentscheide in Gemeinden und Kreisen möglich. Die Bürger Bayerns hatten der CSU dies per Volksentscheid regelrecht abgetrotzt – eine Sternstunde der bayerischen Demokratie.

Hubert Aiwanger:
Dass in allen Teilen Bayerns gleichwertige Lebensbedingungen herrschen sollen und dass das Ehrenamt besonders gewürdigt wird.

Margarete Bause:
Die Erweiterung des Artikels 141 um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und viele Naturschutzaspekte im Jahr 1984 und dann noch einmal die Ergänzung zur Achtung der Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe – das sind urgrüne politische Anliegen!

Horst Seehofer:
Jede Änderung der Bayerischen Verfassung bedarf der Bestätigung durch das Volk, also kann ich mich über jede der bisherigen Verfassungsänderungen freuen.

Winfried Bausback:
Die Änderungen von 2013. Insbesondere die Schuldenbremse im Staatshaushalt, die Verbesserung der Finanzausstattung unserer Gemeinden, die Förderung des Ehrenamts und das Staatsziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Peter Küspert:
Die sukzessive Senkung des aktiven und passiven Wahlalters auf 18 Jahre. Demokratie braucht die aktive Mitwirkung auch und gerade der jungen Generation.

3. Gibt es Themen, die noch in die bayerische Verfassung aufgenommen werden müssten?


Barbara Stamm:
Eine Ergänzung könnte ich mir im Zusammenhang mit den Herausforderungen der Integration vorstellen.

Thomas Kreuzer:
Ja, nämlich dass Integration in die bestehende Gesellschaft mit ihrer Leitkultur erfolgen muss.

Markus Rinderspacher:
Dass der Staat die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund unterstützt. Die SPD hat das im Jahr 2011 beantragt, wir sind aber leider damit gescheitert.

Hubert Aiwanger:
Der Erhalt einer flächendeckenden bäuerlichen Landwirtschaft und mehr direkte Demokratie, Volksabstimmungen.

Margarete Bause:
Unsere Verfassung ist gut und hat sich 70 Jahre lang bewährt. Sie sollte nicht durch irgendwelche Schaufensterartikel verwässert werden.

Horst Seehofer:
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir auf den Zuzug von Menschen aus Weltregionen mit anderer Kultur und Religion eine Antwort geben.

Winfried Bausback:
Wir sollten darüber nachdenken, ein Bekenntnis zu unserer Leitkultur in die Verfassung aufzunehmen.

Peter Küspert:
Derzeit sehe ich keinen Ergänzungsbedarf. Kurzlebige politische Modeerscheinungen sollten nicht zu Verfassungsänderungen führen.
(Waltraud Taschner)

Kommentare (1)

  1. Miiich am 02.12.2016
    Die Konkurrierende Gesetzgebung unter inflationärer Anwendung der "Generalklausel" des Art. 72 (2) Nr. 3 GG hat so gut wie nichts mehr von der originären Gestzgebung der Länder (Art. 70 GG) übrig gelassen. Durch die GG Bestimmung "Bundesrecht bricht Landesrecht" war es ein leichtes die höchsten Landesverfassungsnormen durch einfaches Bundesrecht (Verordnungen) völlig auszuhebeln.
    Deutschland entwickelt sich zum zentralistischen Bundesstaat, wobei die bundessstaatliche Ordnung quasi nur noch papiermäßig beibehalten wird, um der Ewigkeitsklausel des Art. 20 I GG formal Genüge zu leisten.
    Art. 72 (2) Nr.3 GG ist der Sargnagel der Bayerischen Verfassung, da Staatsregierung und Landtag Artikel 178 Satz 2 der bayeischen Verfassung in der Vergangenheit (zuletzt bei den Zugeständnissen an den Bund beim Finanzausgleich) nicht ausreichend, eigentlich gar nicht beachtet haben.
    Bald ist inhaltlich nichts mehr übrig von der BV, denn eine Reform des GG zugunsten einer Rückführung wesentlicher Hoheitsrechte auf die Länder ist nicht zu erwarten.
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