In Bayern leben Menschen aus über 170 Nationen; seit der Flüchtlingskrise dürften noch ein paar mehr dazugekommen sein. Interkulturelle Missverständnisse sind da vorprogrammiert. Ärzte fragen sich, ob sie Zuwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung behandeln dürfen. Pflegekräfte sind mit ungewohnten Ausdrucksweisen von Krankheit, Schmerz, Angst und Scham konfrontiert. Und die Unkenntnis kulturell bedingter Lebensweisen führt ohnehin zu Irritationen. Um diese Wissenslücken zu schließen, hat die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eine Anlaufstelle für Ärzte, Pflegekräfte, Integrationshelfer, Behördenmitarbeiter und Bürger geschaffen. Doch leider ist deren langfristige Finanzierung nicht gesichert.
In dem neuen
Kompetenzzentrum Religion stellen 48 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen wie Religion, Migration und Recht ihr Wissen kostenlos zur Verfügung. Die Idee dazu entstand vor einem Jahr: „Ziel ist es, unser Know-how an die Gesellschaft zurückzugeben“, erklärt Initiator Lars Allolio-Näcke. Er denke dabei etwa an Sozialverbände, die wissen wollen, wie sie mit Menschen anderer Kulturen umgehen sollen. „Oder an Krankenhäuser, die unsicher sind, was im Umgang mit sterbenskranken Buddhisten zu beachten ist.“ Bis zur Umsetzung war viel Überzeugungsarbeit nötig, weil das Projekt nicht sofort Drittmittel generiert, also mehr kostet als einbringt. Doch die Arbeit scheint sich auszuzahlen.
Bundesweit einzigartige Initiative
„Die Initiative ist bundesweit einzigartig“, lobt Jürgen Micksch, Pro Asyl-Gründer und Vorsitzender des Interkulturellen Rats in Deutschland, im Gespräch mit der Staatszeitung. Auch der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, Leonhard Stärk, bezeichnet das Kompetenzzentrum als Gewinn, „da sich auch erfahrene Berater nicht mit allen Einzelheiten und Religionen auskennen können“. Die Einrichtung werde daher im nächsten Newsletter und bei Fachveranstaltungen beworben. Lob kommt auch von der Politik. „Wünschenswert wäre, das Kompetenzzentrum zeitnah zu evaluieren“, meint der asylpolitische Sprecher der Freien Wähler, Hans Jürgen Fahn. So könne geprüft werden, ob der Aufbau eines dezentralen Netzwerks in ganz Bayern sinnvoll sei.
Die größte Hürde im Umgang mit Migranten sind allerdings nicht die religiösen Unterschiede. Kulturelle Wünsche seien leicht umzusetzen und bestimmte Essensvorschriften stünden der Integration nicht im Weg, glaubt die integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Christine Kamm. „Bei meiner langjährigen Flüchtlingsarbeit habe ich festgestellt, dass erst mal die fehlende Sprache die größte Kommunikationsbarriere ist.“ Das bestätigen auch Experten aus der Pflege und der Medizin. „Eine fehlende Verständnismöglichkeit birgt zudem die Gefahr von Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern“, warnt der Präsident der bayerischen Landesärztekammer Max Kaplan. Doch bis heute gibt es im Freistaat kein flächendeckendes Netz an Sprachkursen.
Auch der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung ist zurückhaltend
„Im geplanten Integrationsgesetz legt die Staatsregierung den Fokus vor allem auf das ‚Fordern’ und weniger auf das ‚Fördern’“, klagt die sozialpolitische Sprecherin der SPD, Doris Rauscher. Dabei herrsche gerade bei den Sprachkursen großer Bedarf. Wenn das Angebot des Kompetenzzentrums gut angenommen werde, „steht die Staatsregierung in der Pflicht, es mit den nötigen Mittel auszustatten und vergleichbare Zentren zu etablieren“, unterstreicht Rauscher. Doch das Wissenschaftsministerium und der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung Martin Neumeyer (CSU) sehen dafür keinen Bedarf. Zwar bestehe zuweilen ein „Informationsdefizit“, an wen sich Hilfesuchende wenden könnten, meint Neumeyer. Grundsätzlich aber gelte: „Die bestehenden Strukturen zusammen mit dem Engagement der Bürgergesellschaft sind ausreichend.“
Auf Dauer wird sich das Kompetenzzentrum ohne finanzielle Zuschüsse des Freistaats nicht halten können. „Unsere Existenz hängt am Zentralinstitut ’Anthropologie der Religion(en)’ als der Basis des Kompetenzzentrums“, sagt der Mitbegründer Jürgen van Oorschot. Zu dessen Erhalt bräuchte sein Team die Unterstützung der Universität und des Ministeriums, denn aus Bordmitteln der Fakultät allein ließe sich das Projekt nicht bezahlen. „Hier müssen sich die Universitätsleitung und das Ministerium positionieren, ob sie das Kompetenzzentrum langfristig wollen oder nicht.“
(David Lohmann)
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