Bluthochdruck, Asthma, Diabetes: Die meisten verschreibungspflichtigen Medikamente sollen eines dieser Leiden lindern. Für die Pharmabranche ist es ein Riesenmarkt, für Krankenkassen und Patienten eine teure Angelegenheit. Das EuGH-Urteil zur Arzneimittelpreisbildung böte die Chance, das System neu aufzustellen.
Viele chronisch Kranke ordern ihre Arzneien inzwischen online. Weil das bequemer ist, angenehmer für bestimmte Kranke, die lieber anonym bleiben wollen – und, nach dem jüngsten EuGH-Urteil – sogar billiger. Sofern man im Ausland bestellt. Ausländische Versandapotheken dürfen Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneien bieten, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergangene Woche. Sogleich führten Internetapotheken Preisnachlässe ein: im Fall von DocMorris 2 Euro pro Medikament.
Wenn es nach den deutschen stationären Apotheken und Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) geht, ist mit derlei Rabatten – samt praktischem Online-Service – bald wieder Schluss. Huml will als Konsequenz aus dem EuGH-Urteil den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbieten. Davon betroffen wären auch die deutschen Online-Apotheken. Grundsätzlich erzielen Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneien den weit überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen.
Das EuGH-Urteil geht zurück auf eine Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs: Diese hatte sich gegen ein Bonussystem gewandt, das die Deutsche Parkinson-Vereinigung im Jahr 2008 mit DocMorris ausgehandelt hatte. Die Richter urteilten jetzt allerdings: Die Rabatte der Online-Apotheke sind rechtens. Sie zu verbieten wäre eine „nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs“.
Deutschlands Apotheker wollen natürlich gern das für sie lukrativste Modell behalten - die Patienten hätten das Nachsehen
Die deutschen Apotheker heulten laut auf. Doch statt das Recht einzufordern, ebenfalls Rabatte anzubieten, verlangen sie ein Verbot des Internethandels mit verschreibungspflichtiger Arznei – die für sie lukrativste Option. Bayerns Gesundheitsministerin Huml sah sich sogleich genötigt, den wütenden Apothekern beizuspringen. Und kündigte eine Bundesratsinitiative an. Ziel: den Internethandel mit rezeptpflichtigen Arzneien verbieten. Was übrigens bereits zweimal gescheitert ist: 2008 und 2012 wurden Verbotsanträge von Bundestag und Bundesrat abgelehnt.
In Bayern befürworten neben der Gesundheitsministerin nur die Freien Wähler ein Versandhandelsverbot. Die Gesundheitsexperten der CSU- und SPD-Landtagsfraktion flüchten sich in vage Allerweltsauskünfte. Die FDP – eigentlich die Partei der freien Marktwirtschaft – will lieber gar nichts sagen. Mit dem heiklen Gesundheitsbereich legt sich die Politik traditionell lieber nicht an. Weil es hier um viel Geld und irreale Ängste der Patienten geht. Der Grüne Ulli Leiner wiederum sieht ein Verbot des Versandhandels kritisch, da es die Wahlfreiheit der Verbraucher einschränke. Auch Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag, warnt, dass ein Verbot des Internet-Arzneihandels der falsche Weg ist: „Ich glaube nicht, dass man das verbieten kann“, sagt er der Staatszeitung.
Nur selten haben Politiker den Mut, sich mit der Pharmabranche anzulegen. Die SPD-Frau Ulla Schmidt traute sich damals - und erzielte Rieseneinsparungen für die Krankenkassen
Tatsächlich wäre nach dem EuGH-Urteil jetzt die richtige Zeit für eine mutige Entscheidung: die Preisfreigabe von Medikamenten. Die viel beschworene Gefahr, dass der einsetzende Preiskampf kleinere Apotheken gefährde, ist ein wenig überzeugendes Argument. Die EuGH-Richter sehen darin sogar eine Chance für die flächendeckende Versorgung: Denn Standorte auf dem Land mit wenig Konkurrenz würden dann attraktiver.
Verfechter der Preisbindung allerdings warnen: Werden bestimmte Medikamente knapp, etwa bei Epidemien, könnte das auf dem freien Markt zu horrenden Preisen führen. Was leicht zu verhindern wäre: Mit einem Höchstpreismodell. 2006 gab es schon mal einen entsprechenden Gesetzentwurf der damaligen großen Koalition – der verschwand allerdings schnell wieder in der Schublade. Man traute sich einfach nicht.
Dass man durchaus etwas erreichen kann, wenn man mutig ist, bewies dagegen die einstige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Sie erlaubte den Krankenkassen im Jahr 2005 erstmals, mit den Pharmaherstellern Rabatte auszuhandeln. Die Kassen sparen so inzwischen über eine Milliarde Euro jährlich. (Angelika Kahl, Waltraud Taschner)
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