Politik

Für die stationären Apotheken ist sie der Feind: die Internet-Pharmazie DocMorris. (Foto: dpa)

28.10.2016

Warum so mutlos?

Nach dem EuGH-Urteil zum Online-Medikamentenhandel könnte man das Preissystem neu aufstellen – doch die Politik zögert

Bluthochdruck, Asthma, Diabetes: Die meisten verschreibungspflichtigen Medikamente sollen eines dieser Leiden lindern. Für die Pharmabranche ist es ein Riesenmarkt, für Krankenkassen und Patienten eine teure Angelegenheit. Das EuGH-Urteil zur Arzneimittelpreisbildung böte die Chance, das System neu aufzustellen.
Viele chronisch Kranke ordern ihre Arzneien inzwischen online. Weil das bequemer ist, angenehmer für bestimmte Kranke, die lieber anonym bleiben wollen – und, nach dem jüngsten EuGH-Urteil – sogar billiger. Sofern man im Ausland bestellt. Ausländische Versandapotheken dürfen Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneien bieten, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergangene Woche. Sogleich führten Internetapotheken Preisnachlässe ein: im Fall von DocMorris 2 Euro pro Medikament.

Wenn es nach den deutschen stationären Apotheken und Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) geht, ist mit derlei Rabatten – samt praktischem Online-Service – bald wieder Schluss. Huml will als Konsequenz aus dem EuGH-Urteil den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbieten. Davon betroffen wären auch die deutschen Online-Apotheken. Grundsätzlich erzielen Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneien den weit überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen.
Das EuGH-Urteil geht zurück auf eine Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs: Diese hatte sich gegen ein Bonussystem gewandt, das die Deutsche Parkinson-Vereinigung im Jahr 2008 mit DocMorris ausgehandelt hatte. Die Richter urteilten jetzt allerdings: Die Rabatte der Online-Apotheke sind rechtens. Sie zu verbieten wäre eine „nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs“.

Deutschlands Apotheker wollen natürlich gern das für sie lukrativste Modell behalten - die Patienten hätten das Nachsehen


Die deutschen Apotheker heulten laut auf. Doch statt das Recht einzufordern, ebenfalls Rabatte anzubieten, verlangen sie ein Verbot des Internethandels mit verschreibungspflichtiger Arznei – die für sie lukrativste Option. Bayerns Gesundheitsministerin Huml sah sich sogleich genötigt, den wütenden Apothekern beizuspringen. Und kündigte eine Bundesratsinitiative an. Ziel: den Internethandel mit rezeptpflichtigen Arzneien verbieten. Was übrigens bereits zweimal gescheitert ist: 2008 und 2012 wurden Verbotsanträge von Bundestag und Bundesrat abgelehnt.

In Bayern befürworten neben der Gesundheitsministerin nur die Freien Wähler ein Versandhandelsverbot. Die Gesundheitsexperten der CSU- und SPD-Landtagsfraktion flüchten sich in vage Allerweltsauskünfte. Die FDP – eigentlich die Partei der freien Marktwirtschaft – will lieber gar nichts sagen. Mit dem heiklen Gesundheitsbereich legt sich die Politik traditionell lieber nicht an. Weil es hier um viel Geld und irreale Ängste der Patienten geht. Der Grüne Ulli Leiner wiederum sieht ein Verbot des Versandhandels kritisch, da es die Wahlfreiheit der Verbraucher einschränke. Auch Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag, warnt, dass ein Verbot des Internet-Arzneihandels der falsche Weg ist: „Ich glaube nicht, dass man das verbieten kann“, sagt er der Staatszeitung.

Nur selten haben Politiker den Mut, sich mit der Pharmabranche anzulegen. Die SPD-Frau Ulla Schmidt traute sich damals  - und erzielte Rieseneinsparungen für die Krankenkassen


Tatsächlich wäre nach dem EuGH-Urteil jetzt die richtige Zeit für eine mutige Entscheidung: die Preisfreigabe von Medikamenten. Die viel beschworene Gefahr, dass der einsetzende Preiskampf kleinere Apotheken gefährde, ist ein wenig überzeugendes Argument. Die EuGH-Richter sehen darin sogar eine Chance für die flächendeckende Versorgung: Denn Standorte auf dem Land mit wenig Konkurrenz würden dann attraktiver.

Verfechter der Preisbindung allerdings warnen: Werden bestimmte Medikamente knapp, etwa bei Epidemien, könnte das auf dem freien Markt zu horrenden Preisen führen. Was leicht zu verhindern wäre: Mit einem Höchstpreismodell. 2006 gab es schon mal einen entsprechenden Gesetzentwurf der damaligen großen Koalition – der verschwand allerdings schnell wieder in der Schublade. Man traute sich einfach nicht.

Dass man durchaus etwas erreichen kann, wenn man mutig ist, bewies dagegen die einstige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Sie erlaubte den Krankenkassen im Jahr 2005 erstmals, mit den Pharmaherstellern Rabatte auszuhandeln. Die Kassen sparen so inzwischen über eine Milliarde Euro jährlich. (Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

Kommentare (2)

  1. 360 Grad am 29.10.2016
    Zu kurz gedacht ist es, einen Konflikt zwischen Kunden und Apotheken aufzubauen.
    Nicht immer ist der billigste Preis auch die nachhaltigste Lösung.
    Das sehen wir bei Lebensmitteln, Fleisch(Skandal), Milchpreisen.

    Warum für die Inanspruchnahme vonArzneimitteln, finanziert von der Solidargemeinschaft, an den Patienten Geldzahlungen fließen sollen, erschließt sich mir nicht.

    Viele Patienten sind zuzahlungsbefreit und bekommen so durch den Konsum von Arzneimitteln Gutschriften niederländischer Krankenkassen.
    Manch einer lässt sich Arzneimittel verschreiben, versickert die dann wieder bei eBay, und kassiert so zweimal ab.

    Eine Arzneimittelbelieferung und Beratung kann nur 100 Prozent oder gar nicht sein.
    Das System ist so austariert, dass viele Dienstleistungen überhaupt nicht kostendeckend sind, aber von Vergütungen für Leistungen, die leichter zu erbringen sind, gegenfinanziert werden.

    Wenn man nun dem Versender die Möglichkeit gibt, nur die lukrativen Leistungen anzubieten, und die aufwändigen Aufgaben der Vorortapotheke auferlegt, wird dass gute und krisenresistente Arzneimitteldistributionssystem in die Knie gehen.

    Das hat ökonomische Gründe, und Motivationsursachen. Schon gegenwärtig findet man immer weniger Mitarbeiter, die die ermüdenden Diskussionen um die Rabattarzneimittel der Krankenkassen und mögliche zukünftige Feilschereien um Zuzahlungen sich nicht mehr antun möchten.
    Unser Berufsbild und der Wille, in der öffentlichen Apotheke ein vertrauensvoller Begleiter der Gesundheit des Kunden zu sein, wird durch die ermüdenden Diskussionen ad absurdum geführt. Wie soll der Apotheker nach der Rabattdiskussion und der unwilligen Zuzahlungskassierung für die Krankenkasse das wegstecken, und im Anschluss eine gute (Ergänzung)Beratung zum abgegebenen Arzneimittel geben?

    Unsere Krankenkassen und deren Kunden dürften auch nicht die u.a. Durch die billigere MwSt von 7 Prozent gegenüber unseren 19 Prozent Zugang zu Boni der niederländischen Versandapotheken haben.

    Wenn Wettbewerb, dann über das gesamte verpflichtende Arzneimittelspektrum und zu gleichen Steuersätzen.
  2. DU am 28.10.2016
    Sehr geehrte Frau Kahl, sehr geehrte Frau Taschner.
    Offensichtlich sind Sie noch jung und haben keine Krankheiten, die dazu führen, dass Sie dauernd viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen. Sie würden nämlich auch laut aufschreien, wenn Ihre Krankenkasse Ihnen vorschreiben würde, welche Firmen Sie akzeptieren dürfen. Sie würden auch durcheinander kommen, wenn alle paar Monate nach monetären Bedürfnissen Ihrer Krankenkassen Ihr Medikament sein Aussehen wechseln würde - und ganz ehrlich - es sind die Apotheker, die mit einer Engelsgeduld versuchen, die Therapietreue bei solchen Menschen zu erhalten.
    Sie wollen Apothekendiscounter? Die können Sie sicherlich haben, aber glauben Sie wirklich, dass sich dadurch Dinge verbessern? Magentabletten ohne Beratung? Gerne - Magengeschwür und -durchbruch können Sie gleich inklusive für 2,45 € über den Ladentisch bekommen.
    Sie scheinen auch keine Kinder zu haben. Denn sonst wären Sie dankbar für jede Apotheke, die Ihnen in Ihrer Nähe aus der Patsche hilft, wenn nachts Ihr Kind vor Schmerzen schreit und Sie eben mal nicht Ihre Vorräte in Holland bestellt haben. Oder wohnen Sie so günstig, dass Holland für Sie 30 km entfernt liegt? Denn das ist bei uns in Bayern das Maximum, das einem Patienten im Notdienst zugemutet und durch die Apotheker auch abgedeckt wird.
    Freie Marktwirtschaft ist fein - aber Sie sollten sich immer auch überlegen, auf wessen Kosten das geht - und das wird in Ihrer fröhlichen BWL Welt jeder sein, der dringend etwas sofort benötigt.
    Vielleicht kommt ja einer jener findigen Apotheker, die so gerne ein Discounter sein wollen auf die grandiose Idee, dass man ja auch im Notfall ein paar Euro mehr verlangen kann, wenn es keine Preisbindung mehr gibt.
    Ob das der (BWL) Weisheit letzter Schluss ist?
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