Politik

Schnell ein paar Flaschen des aktuellen Mode-Biers Tannenzäpfle von der Tanke holen? Nicht zu Fuß nach 20 Uhr. (Foto: dpa)

12.10.2012

"Wenn das so weitergeht, können wir dichtmachen"

Verkaufsverbot nach 20 Uhr: Tankstellen-Besitzer in Existenznöten – Haderthauer verspricht nachzubessern, doch eine Einigung ist nicht in Sicht

Thorsten steht mit einer Tüte Chips und zwei Flaschen Bier an der Kasse. Doch der Kassierer in der kleinen Tankstelle im Münchner Ausgehviertel Glockenbach schüttelt energisch den Kopf: „Nach 20 Uhr dürfen wir Proviant nur noch an Reisende verkaufen.“
Thorsten ist zwar mit dem Fahrrad gekommen, zählt aber  – genau wie Fußgänger – dennoch zu den so genannten Nichtreisenden. Wäre er dagegen mit dem Auto vorgefahren, und sei es nur 100 Meter, wäre der Einkauf kein Problem gewesen. „Das ist ja wie zu Zeiten der Prohibition“, schimpft der junge Mann wütend und ruft in seiner Rage gleich zu einer neuen Münchner Bierrevolution auf. Ein anderer Kunde will sich in Zukunft sein Feierabendbier einfach von einem Nacht-Lieferservice bringen lassen, kündigt er an. „Wenn das so weitergeht, können wir dichtmachen“, klagt der Tankstellen-Verkäufer. „Das ist ein Witz!“
Im Mai hatte die bayerische Arbeitsministerin Christine Hader-thauer (CSU) die so genannten Vollzugshinweise zur „Abgabe von Alkohol als Reisebedarf an Tankstellen“ erlassen – und sie natürlich vollkommen ernst gemeint. Seit Juni ist der Verkauf von so genanntem Reisebedarf wie Lebens- oder Genussmittel außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten nun nur noch an Autofahrer und Mitreisende erlaubt – andernfalls droht eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro. Hintergrund des Fußgänger- und Fahrradfahrer-Banns waren nächtliche Trinkgelage von Jugendlichen in Bayern im Umfeld von Tanksäulen.
Als die Einhaltung der Regelung im Sommer zum ersten Mal kontrolliert wurde, macht sich Unmut und Verdruss unter den Pächtern breit. „Wie sollen wir denn an stressigen Tagen überprüfen, wer Autofahrer, Mitfahrer, Radlfahrer oder Passant ist?“, fragt eine Tankstellenbesitzerin in der Münchner Altstadt.
Einigen Spott und Häme musste Haderthauer seither ertragen. Sie ruderte zurück und kündigte eine „lebensnahe“ Lösung an, die künftig  nicht mehr zwischen verschiedenen Kundengruppen unterscheide. Das Ergebnis: Um den Jugendschutz zu gewährleisten, soll die Abgabe von Alkohol an Tankstellen künftig ab 22 Uhr grundsätzlich verboten sein.
Die neue Anordnung wäre für Michael Dersch eine „enorme Einschränkung“, sagt er. Der Pächter einer großen Tankstelle im Norden Münchens konnte durch eine Gaststättenkonzession bisher die Probleme des Fußgänger-Banns umgehen. „Wenn aber das Verkaufsverbot kommt, stehen wir vor riesigen Schwierigkeiten“,klagt er. Dersch verdiene an jedem Liter Kraftstoff lediglich zwischen einem und einem Zehntel Cent und sei deshalb zusätzlich auf den Getränkemarkt im Shop angewiesen. „Den nutzen Kunden wie einen normalen Supermarkt und nicht Jugendliche zum Komasaufen.“


Zwei Verbände lehnen eine Selbstverpflichtung ab


Mit zwei Verbänden hat sich Haderthauer nun bereits geeinigt. Dem Tankstellenverband Bayern und der Landesgruppe Süd des Bundesverbandes Freier Tankstellen (bft) konnte die Arbeitsministerin angesichts eines drohenden Komplett-Verbots des Verkaufs von Waren nach Ladenschluss bereits eine Selbstverpflichtung zur Alkoholverkaufsbeschränkung ab 22 Uhr abringen. Doch jetzt grätschte einmal mehr Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) dazwischen. Er ordnete am Montag für eine „bayerisch-vernünftige Lösung“  Nachverhandlungen an: Haderthauer solle jetzt erst einmal mit allen vier Tankstellenverbänden und den Verantwortlichen der Koalition reden. „Beim Verwaltungsvollzug gilt eine goldene Regel, die heißt Dialog“, rüffelte Seehofer seine Ministerin.
Doch damit ist wohl neuer Ärger vorprogrammiert. Denn die Gespräche dürften schwierig werden: Sowohl der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen (UNITI) als auch der Mineralölwirtschaftsverband (MWV), zu dessen Mitgliedern unter anderem Shell, Esso, Total oder BP gehören, erteilen dem Vorhaben schon jetzt eine klare Absage. „Wir gehen davon aus, dass unsere Initiative für den Jugendschutz vorbildlich eingehalten wird und lehnen weitergehende Selbstverpflichtungen ab“, erklärt UNITI-Hauptgeschäftsführer Elmar Kühn. Und MWV-Leiter Klaus Picard poltert, der bayerische Sonderweg sei „Willkür“ und „lebensfremd“. Darüber hinaus seien Tankstellenbetreiber selbstständige Unternehmer und damit  bei einer Selbstverpflichtung ihres Verbandes gar nicht an diese gebunden.
Einen Ausweg aus dem Dilemma sehen viele in einem bayerischen Ladenschlussgesetz. Als einziges Bundesland hat der Freistaat noch keines verabschiedet. Ein solches Gesetz aber könnte das aktuell gültige Bundesgesetz mit den Sonderregeln für Tankstellen ersetzen und –  wie beispielsweise seit 2010 in Baden-Württemberg –  den Alkoholverkauf zwischen 22 und 5 Uhr an Tankstellen und Kiosken verbieten. Dagegen aber sträubt sich die CSU: „Man hat bei der Patt-Abstimmung über das Ladenschlussgesetz 2006 gesehen, dass es innerhalb der Partei unterschiedliche Meinungen gibt“, sagt ein Sprecher der Landtagsfraktion. Außerdem seien bis zu den jüngsten Schlagzeilen doch Politiker, Bürger, Kirchen und Gewerkschaften mit der Situation zufrieden gewesen.

Gegen ein bayerisches Landenschlussgesetz sträubt sich die CSU


Das sieht der Koalitionspartner ganz anders: „Die FDP will ein modernes Ladenöffnungsgesetz, das endlich Rechtssicherheit gibt und dafür sorgt, dass Bürger und Einzelhändler im Freistaat die gleichen Möglichkeiten haben wie in den anderen Bundesländern“, sagt Fraktionschef Thomas Hacker. Pächter seien auf den Verkauf von Ware angewiesen, die nicht direkt mit Treibstoffen in Verbindung steht.
Geschlossen fordert ebenso die Opposition ein neues Ladenschlussgesetz. Die innenpolitische Sprecherin der SPD, Helga Schmitt-Bussinger, möchte in diesem ein Alkoholverkaufsverbot von 22 bis 6 Uhr verankern. In Baden-Württemberg seien deswegen schließlich auch keine Tankstellen zugrundegegangen. Die Ursache für das Chaos bei der Nachtverkaufspraxis sieht sie ganz woanders: „Der Liberalitätsgedanke der FDP passt einfach nicht mit dem ordnungspolitschen Gedanken der CSU zusammen.“
(David Lohmann)

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