Politik

"Wir nützen den Anschlag nicht aus. Der Vorwurf ist eine Umkehrung von Ursache und Wirkung", sagt Florian Herrmann (CSU). (Foto: dpa)

23.12.2016

"Wir dürfen nicht tatenlos zusehen"

Florian Herrmann (CSU) über notwendige Konsequenzen nach dem Anschlag in Berlin, eine Obergrenze für Flüchtlinge und Populismusvorwürfe

Er gehört der Arbeitsgruppe an, die Horst Seehofer gleich nach dem Anschlag in Berlin eingerichtet hat, um Vorschläge für mehr Sicherheit zu erarbeiten. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Landtag, Florian Herrmann, sieht einen Zusammenhang zwischen IS-Terror und Flüchtlingspolitik. Aber in eine Schublade mit der AfD gesteckt zu werden, verbittet er sich. „Was die macht, ist Hetze.“ BSZ: Herr Herrmann, haben Sie mit einem Anschlag wie jetzt in Berlin gerechnet?
Florian Herrmann: Mit diesem konkreten Anschlag natürlich nicht, aber damit, dass sich die spätestens seit Paris bestehende abstrakte Gefährdungslage verdichtet. Es gab ja bereits andere Ereignisse. Dass so etwas passiert, war deshalb leider nur eine Frage der Zeit.

BSZ: Heißt das, die Bürger – auch in Bayern – müssen sich daran gewöhnen, in Angst und Terror zu leben?
Herrmann: Als humane Gesellschaft sollten wir uns nie an Gewalt und Terror gewöhnen. Aber das heißt, wir müssen diese Gefahr zur Kenntnis nehmen und uns entsprechend darauf einstellen, nicht relativieren und wegdiskutieren. Angst ist immer der falsche Ratgeber. Tatenlos zusehen dürfen wir nicht.

BSZ: Das heißt?
Herrmann: Als erstes ist die Erkenntnis wichtig, dass die Mischung aus zunehmendem islamistischen Terror in Richtung Europa kombiniert mit einer enormen Zahl von Menschen, die in unser Land kommen – teilweise ja auch wegen des Terrors –  eine Verschärfung der Sicherheitslage zur Folge hat.

BSZ: Und dann?
Herrmann: Ich habe mir letzte Woche die Mühe gemacht, den 177 Seiten dicken rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von Berlin unter dem Aspekt der inneren Sicherheit zu studieren. Zu dieser Frage gibt es darin keine einzige Antwort. Wir in Bayern haben die Antwort gegeben: Ein wichtiger Punkt ist, Kenntnis darüber zu haben, wer sich in unserem Land aufhält –  wir brauchen also Grenzkontrollen und Identitätsfeststellungen. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, der aber durch die schiere Anzahl der Flüchtlinge, die zu uns gekommen ist, vernachlässigt wurde.

"Die Frage einer Obergrenze ist keine rechtliche,
sondern eine des politischen Willens"

BSZ: Und Sie fordern eine Obergrenze für Flüchtlinge. Kann eine solche denn Anschläge verhindern?
Herrmann: Im Fokus unserer Forderung nach einer Obergrenze steht die Integration. Denn es ist eine Frage der Zahl, wie gut sich Menschen mit Bleibeperspektive integrieren können, ohne dass sich Parallelgesellschaften entwickeln. Schlecht integrierte Migranten sind für islamistische Hassprediger leichter zu erreichen. Und es geht bei unbegrenzter Zuwanderung um die Frage, ob wir damit Polizeikräfte an der falschen Stelle binden.

BSZ: Glauben Sie denn, dass eine Obergrenze rechtlich durchsetzbar ist?
Herrmann: Natürlich. Es ist zwar richtig, dass es für das Grundrecht auf Asyl kein Limit gibt. Der entscheidende Punkt aber ist, dass sich die wenigsten Asylbewerber auf den entsprechenden Artikel 16a des Grundgesetzes berufen können, da sie aus EU- oder Drittstaaten nach Deutschland eingereist sind. Nach den Dublin-Bestimmungen –  aber auch nach unserem Grundgesetz – könnten sie also zurückgewiesen werden.

BSZ: Das heißt, eigentlich fordern Sie keine Obergrenze, sondern die Einhaltung der Dublin-III-Verordnung?
Herrmann: Das würde die Staaten mit EU-Außengrenzen natürlich überfordern. Unsere Lösung heißt daher, dass wir ein Kontingent von maximal 200 000 Flüchtlingen übernehmen – eine Zahl, die im europäischen und internationalen Vergleich übrigens hoch ist. Die Frage einer Obergrenze ist also keine rechtliche, sondern eine des politischen Willens.

"Unser Signal an die Bürger ist: Wir lassen Euch nicht allein"

BSZ: Horst Seehofer hat nur 14 Stunden nach dem Berliner Anschlag eine Neujustierung der Flüchtlingspolitik gefordert. Viele hielten das für pietätlos, Sie auch?
Herrmann: Man löscht, wenn es brennt. In der Sicherheitspolitik muss die Frage immer sein, wann man Konsequenzen ziehen muss. Wir sind der Meinung, der Zeitpunkt wäre bereits 2015, spätestens Mitte 2016 gewesen. Würzburg, Ansbach und jetzt Berlin –  das sind doch reale Ereignisse, auf die die Menschen sofort Fragen stellen. Die Antwort Seehofers war deshalb genau richtig. Sie ist das Signal an die Bürger: Wir lassen Euch nicht allein. Ihr oberster Anspruch gegenüber dem Staat ist zu Recht, dass er sich an allererster Stelle um ihre Sicherheit kümmert.

BSZ: Ein Vorwurf lautet auch, dass die CSU politisches Kapital aus dem Anschlag ziehen will. Ähnlich der AfD, die von Merkels Toten spricht.
Herrmann: Die Kommentierung der AfD ist unterste Schublade und Hetze. Das kann man doch nicht in Verbindung bringen mit unseren konkreten Forderungen, die wir auch umsetzen können. Herr Seehofer ist Ministerpräsident mit einer absoluten Mehrheit und einem extrem großen Einfluss auf der Berliner Ebene. Wenn Gefahren, die wir von vornherein im Fokus hatten, tatsächlich eintreten, kann man nicht von einem Ausnützen des Anschlags reden. Das ist eine Umkehrung von Ursache und Wirkung.

BSZ: IS-Terror kommt aber doch nicht nur über Flüchtlinge nach Europa.
Herrmann: Es wäre völlig absurd, jeden Flüchtling unter Generalverdacht zu stellen. Wir stellen ja auch nicht jeden Bürger unter Generalverdacht, ein Straftäter zu sein. Und dennoch nutzen wir alle Möglichkeiten, um diejenigen, die Straftäter sind, zu identifizieren und potentielle Straftaten zu verhindern. Ein wichtiger Punkt ist auch, zu verhindern, dass sich bereits länger hier lebende Menschen radikalisieren. In Paris und Brüssel waren die Attentäter überwiegend keine Flüchtlinge. Hier ist natürlich auch der Verfassungsschutz in besonderem Maß gefragt, um Gefährder zu erkennen. Deshalb haben wir in Bayern Verfassungsschutz- und Polizeibehörden gestärkt.

"Es zeigt sich doch, wer nur Sonntagsreden hält,
und wer – wie wir in Bayern – Taten folgen lässt"

BSZ: Was gehört noch zu den konkreten Forderungen der CSU im Kampf gegen den IS-Terrorismus, von denen Sie gesprochen haben?
Herrmann: Die Staatsregierung hat nach den Anschlägen in Berlin eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Vorschläge erarbeiten wird. Auch ich gehöre ihr an. Außerdem hat das Kabinett in Quirin bereits im Juli ein sehr kraftvolles Sicherheitspaket verabschiedet, das im neuen Doppelhaushalt umgesetzt wurde – darunter zusätzliche Stellen für die Polizei und eine bessere Schutzausrüstung. Die CSU-Fraktion hat sich bei ihrer letzten Arbeitstagung in Kloster Banz vier Tage lang mit der Verbesserung der inneren Sicherheit in Bayern beschäftigt. In unserer Arbeitsgruppe wird es also darum gehen, unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik zu überdenken und neu zu justieren.

BSZ: Weil eine optimale Ausstattung der Polizei nur in Bayern nicht reicht?
Herrmann: Das ist ein ganz zentraler Punkt. Die einzige Großtat des rot-rot-grünen Bündnisses in Berlin scheint jetzt zu sein, die 1000 vakanten Stellen, die es dort bei der Polizei offenbar gibt, endlich zu besetzen. Von zusätzlichen Stellen ist im Koalitionsvertrag aber überhaupt keine Rede. Da zeigt sich doch, wer nur Sonntagsreden hält, und wer – wie wir in Bayern – Taten folgen lässt.

BSZ: In Nizza hatte man den Weihnachtsmarkt mit Kontrollschleusen gesichert, wie man sie von Flughäfen kennt. Taschenkontrollen sind in ganz Frankreich Usus. Ist das ein Vorbild für Bayern?
Herrmann: Die Polizei wird beurteilen, ob verstärkte Kontrollen wie zuletzt auch beim Oktoberfest notwendig sind oder nicht. Flächendeckende Kontrollen wird es sicher nicht geben. Wenn es aber eine erhöhte Gefährdung gibt, wäre es fahrlässig, nicht entsprechend zu reagieren. Zu diesem Kapitel gehört auch das Thema Videoüberwachung in öffentlichen Bereichen mit Gefährdungspotenzial. Es ist doch absurd, dass Berlin die Videoüberwachung nicht ausweiten will, die Polizei aber die Bürger aufrufen muss, ihre Handyvideos vom Tatort an die Polizei zu senden.

BSZ: Studien zeigen aber doch, auch mit mehr Videoüberwachung lassen sich Straftaten nicht verhindern.
Herrmann: Das bezweifle ich. Ich weiß von einzelnen Brennpunkten, die nach Installation von Kameras einen deutlichen Rückgang an Kriminalität verzeichnen konnten. Die abschreckende Wirkung kann man nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, weil auch ein Straftäter die Tat unterlässt, wenn er damit rechnen muss, gefasst zu werden – außer es handelt sich um einen Selbstmordattentäter. Aber natürlich ist sie auch enorm wichtig für die Aufklärung und Beweissicherung. Denken Sie nur an den Fall des U-Bahn-Treters in Berlin, der am Ende ausschließlich anhand von Bildern einer Überwachungskamera überführt werden konnte. Diese Frau, die zum Opfer dieser brutalen Gewalttat wurde, hätte sonst damit leben müssen, dass der Täter weiter frei in ihrem Umfeld rumgelaufen wäre.
(Interview: Angelika Kahl)

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