Politik

Vor dem Landtag steht er schon, im Oktober will er auch unbedingt rein: FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen. (Foto: BSZ)

16.03.2018

"Wir werden Bayern umpflügen"

Martin Hagen, Spitzenkandidat der Bayern-FDP, über die liberale Agenda, seinen Widersacher Albert Duin und eine mögliche Koalition mit der CSU

In der FDP war sie ein absolutes Novum: Die Urwahl, die den früheren Landesgeschäftsführer der bayerischen Liberalen zum Frontmann der Partei für die Landtagswahl kürte. In der Stichwahl konnte er sich bei den FDP-Mitgliedern knapp gegen Ex-Partei-Chef Albert Duin durchsetzen. Wie er nun auch die bayerischen Wähler überzeugen will, erklärt der 36-Jährige im BSZ-Interview. BSZ: Herr Hagen, gut 41 Prozent der bayerischen FDP-Mitglieder wollten nicht Sie, sondern Albert Duin als Spitzenkandidaten. Wie wollen Sie die jetzt überzeugen?
Martin Hagen: Die Stichwahl war sehr fair und sportlich, es ging nie um die Schwächen des anderen, sondern immer um die eigenen Stärken. Außerdem habe ich von Anfang an klargestellt, dass kein Einzelkämpfer die FDP in den Landtag führen kann. Es braucht ein Team mit ganz unterschiedlichen Charakteren. Und da gehört natürlich Albert Duin dazu. Wir ziehen an einem Strang, deshalb ist mir überhaupt nicht bange.

BSZ: Die Basis konnte Sie mit der Urwahl besser kennenlernen. Für die meisten Wähler aber dürften Sie noch ein unbekanntes Gesicht sein. Wie wollen Sie das ändern?
Hagen: Wir werden Bayern umpflügen. Wir müssen viel in der Fläche unterwegs sein und versuchen, die mangelnde mediale Präsenz aufgrund der Tatsache, dass wir noch nicht im Landtag sind, zu kompensieren.

BSZ: Die Wirtschaft brummt. Warum braucht Bayern die FDP?
Hagen: Es braucht uns als Motor des Fortschritts. Ja, Bayern steht gut da, ist kein Sanierungsfall. Aber wir drohen die Herausforderungen der Zukunft zu verschlafen. Wir vergeuden in Bayern zum Beispiel immer noch viel zu viele Talente, weil das Schulsystem Kinder aus sozial schwachen Familien benachteiligt. Für mehr Chancengerechtigkeit braucht es eine bessere frühkindliche Bildung, einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz und mehr individuelle Förderung in den Schulen. Außerdem beruht der wirtschaftliche Erfolg Bayerns sehr stark auf den Schlüsseltechnologien des letzten Jahrhunderts, Automobil und Maschinenbau. Aber wo ist das bayerische Google, wo das bayerische Facebook? Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben und Startups fördern.

BSZ: Falls Sie in den Landtag kommen, wollen Sie dann überhaupt Verantwortung übernehmen?
Hagen: Wenn die Inhalte passen, sind wir zu einer Koalition bereit, um Bayern liberaler und moderner zu machen. Wir unterscheiden uns von der CSU aber in einigen Punkten deutlich, etwa in der Gesellschaftspolitik. Nur ein weltoffenes Bayern ist attraktiv für Fachkräfte, Kreative und Wissenschaftler aus aller Welt. Die CSU dagegen setzt auf eine von oben verordnete Leitkultur und Abschottung vor neuen Einflüssen. Stattdessen brauchen wir ein Einwanderungsgesetz und die klare Trennung zwischen Asyl und Zuwanderung.

BSZ: Die letzte Regierungsbeteiligung in Bayern endete im Desaster: Die FDP flog 2013 aus dem Landtag: Was wollen Sie anders machen?
Hagen: Ein Problem damals war, dass wir uns gegen den negativen Bundestrend stemmen mussten. Das haben wir nicht geschafft. Ein großer Fehler dabei war, dass wir in Bayern bei den Studiengebühren nicht standfest geblieben sind. Wir hätten es auf einen Koalitionsbruch ankommen lassen sollen und im Zweifel mit einem Haltungswahlkampf in eine vorgezogene Neuwahl gehen sollen. Für die Zukunft heißt das, dass in einer Regierung, in die wir gehen, eine liberale Handschrift für den Bürger erkennbar sein muss.

BSZ: Wenn nicht, machen Sie den Lindner und sagen: Es ist besser, nicht zu regieren als falsch regieren?
Hagen: Auch wir werden nicht um jeden Preis regieren: Reiner Mehrheitsbeschaffer ist eine Rolle, die die FDP nicht mehr einnehmen will. Lindner hat richtig gehandelt.

BSZ:
Das Problem: Die Menschen haben dafür wenig Verständnis. Nach dem Jamaika-Desaster hatte die FDP mächtige Einbußen.
Hagen: Das kann ich an keiner Umfrage ablesen. Wir stehen im Bund aktuell zwischen acht und elf Prozent, das entspricht ziemlich genau unserem Wahlergebnis.

"Von Söder kenne ich nur das, was Horst Seehofer über ihn gesagt hat"

BSZ: In Bayern liegen Sie derzeit bei fünf bis sechs Prozent, es waren aber auch schon mal acht Prozent.
Hagen: Als wir in Bayern bei acht Prozent lagen, war die CSU gerade mitten in ihrer Selbstzerfleischung. Jetzt ist die Führungsfrage in der CSU geklärt, und wir stehen stabil bei fünf bis sechs Prozent. Das ist noch nicht das, wo wir hinwollen, aber es ist eine gute Ausgangslage. Im Januar 2008 standen wir auch zwischen fünf und sechs Prozent, am Ende wurden es acht.

BSZ: Der neue Ministerpräsident wird heute gewählt. Was halten Sie von Markus Söder?
Hagen: Ich kenne nur das, was Horst Seehofer über ihn gesagt hat, nämlich dass Söder von Ehrgeiz zerfressen sei und sich viele Schmutzeleien leiste. Persönlich kenne ich ihn nicht, deshalb erlaube ich mir kein Urteil.

BSZ: Beruht Ihre Zurückhaltung auch darauf, dass Söder einer möglichen Koalition mit der FDP eh schon eine Absage erteilt hat?
Hagen: Die Aussage zeigt zumindest, dass er uns als politische Kraft sehr ernst zu nehmen scheint. Ich glaube nicht, dass Söder diese Ausschließerei nach der Wahl durchhalten wird. Eine absolute Mehrheit wird es für die CSU nicht geben, also wird er mit irgendjemanden regieren müssen. Und wenn nicht mit uns, werden wir dafür sorgen, dass Bayern endlich eine gute Opposition bekommt. Keine der jetzigen Oppositionsparteien treibt die CSU-Regierung vor sich her, um Bayern besser zu machen.

BSZ: Was ist zum Beispiel mit den Grünen und deren aktuellen Volksbegehren zum Flächenverbrauch?
Hagen: Das ist doch kein zukunftsweisendes Projekt, sondern das Gegenteil, weil es den ländlichen Raum schwächt. Es schränkt ihn in seinen Entwicklungsmöglichkeiten ein, wenn keine neuen Flächen mehr für Gewerbegebiete und Wohnraum ausgewiesen werden können.

BSZ: Auch Diesel-Fahrverbote lehnen Sie ab. Sind der FDP Nachhaltigkeit und Umwelt egal?
Hagen: Natürlich nicht. Das Thema aber nur durch die grüne Brille zu betrachten, verhindert sinnvolle Lösungen. Es braucht einen weltweiten Emissionshandel, der einen Wettbewerb um die besten technischen Lösungen anstoßen wird. Persönlich glaube ich auch nicht, dass der Verbrennungsmotor die Technologie der Zukunft ist. Aber statt ihn zu verbieten, brauchen wir Anreize für mehr Umweltschutz. Und dann werden wir sehen, welche Technologie sich am Markt durchsetzt. Wir müssen außerdem auf alternative Verkehrskonzepte setzen und den ÖPNV stärken.

"Warum lacht man über Dorothee Bär? Flugtaxis gibt es längst"

BSZ: Was halten Sie von einem kostenlosen Nahverkehr?
Hagen: Das löst nicht das Problem, sondern verschärft es. In München muss man die Nachfrage nicht durch einen Nulltarif ankurbeln, die U-Bahnen sind schon jetzt rappelvoll. Wir brauchen stattdessen einen Streckenausbau und eine Verdichtung des Taktes. Das kostet Geld – und das kommt auch über die Tickets. Dazu sollten wir innovative Modelle wie Carsharing und autonomes Fahren fördern: In 20 Jahren besitzen die meisten Großstädter vermutlich kein eigenes Auto mehr, sondern steigen bei Bedarf in ein autonom fahrendes, emissionsfreies Auto. Da diese Fahrzeuge nie nutzlos herumstehen, sondern in der Stadt zirkulieren, wird Parkraum frei und kann sinnvoller genutzt werden. Es gibt so viele spannende Entwicklungen, für die die Politik die Rahmenbedingungen schaffen muss.

BSZ:
Ja, Flugtaxis zum Beispiel. Dorothee Bär, die neue CSU-Staatsministerin für Digitales in Berlin, musste dafür ganz schön Häme einstecken.
Hagen: Zu Unrecht! Da lachen jetzt alle drüber, aber ein bayerisches Startup hat es bereits entwickelt. Es heißt Lilium-Jet und ist das erste elektrisch betriebene senkrecht startende und landende Flugzeug. Eine grandiose Innovation, die in Deutschland aber gar nicht betrieben werden dürfte, weil unser Luftraum zu streng reguliert ist. Experten sehen den Markt dafür deshalb eher in Asien und Amerika. Schade, dass es einmal mehr an den Rahmenbedingungen bei uns scheitert.

BSZ: Stimmt es Sie hoffnungsfroh, dass es jetzt immerhin eine Staatsministerin für Digitales gibt?
Hagen: Überhaupt nicht, Deutschland und auch Bayern brauchen dringend eigenständige Digitalministerien. Bär ist letztendlich nichts anderes als eine Staatsekretärin ohne eigenes Haus und eigene Kompetenzen. Ein Feigenblatt, damit Seehofer in seiner Männerriege auch noch eine Frau präsentieren konnte.

BSZ: Das Frauenproblem aber hat die FDP mit der CSU doch gemeinsam. Nicht einmal ein Viertel der FDP-Bundestagsabgeordneten sind weiblich.
Hagen: Ich würde mir sehr wünschen, dass sich bei uns mehr Frauen engagieren, ohne Quote. Natürlich sind da auch die Männer in der Partei gefragt, Frauen zu ermutigen, anstatt sie durch dumme Sprüche abzuschrecken. Ich versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen. Aber das ist das Bohren dicker Bretter.
(Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. aktiver Träumer am 18.03.2018
    Lieber Herr Hagen
    es ist bestimmt nicht einfach als FDP- Spitzenkandidat gegen die CSU aufzutreten ganz besonders nach dem Debakel 3013. Wir - eine kleine Volksgruppe in einem Verein der sich "Freunde für Ferien in Bayern" bezeichnet war echt bemüht im Juli 2008 mit der FDP- Führung -damals unter Fraktionsführer Thomas Hacker über einen Gedankenaustausch auf die in Bayern ziemlich unseriöse Zwst aufmerksam zu machen. In etwas großkotziger Art und Weise ließ er und seine anwesenden FDP-Mitstreiter und Kandidaten großspurig in Erfahrung bringen: Wenn wir vom Wähler das Mandat für eine Regierungsbeteiligung erhalten wird - wie längst in allen Wahlversprechungen verankert dafür uns einsetzen in Bayern die Zweitwohnungssteuer abzuschaffen- Und was ist geschehen? Nichts - schon im Koalitionsvertrag gar nicht aufgenommen - lediglich Zustimmung zur Evaluierung- welche schon Monate vor der Landtagswahl vom bayerischen Parlament beschlossen aufgenommen- Leere Worthülse allerdings auch von der CSU bis heute geblieben - denn inzwischen wieder stehen Wahlen an - bis heute die die versprochene Evaluierung - Fehlanzeige -- Wortbruch und ???? Inzwischen ist auch von der FDP 2018 nicht viel zu hören in Sache STraßenausbaubeitrag - Abschaffung - die Freien Wähler haben zwar sehr spät erkannt aber diese sind auf den Zug aufgesprungen nachdem bayernweit über viele BI`s Feuer wie eine Flächenbrand sich in Bayern verbreitete.
    Dürfen die bayerischen Bürger noch Hoffnung in die FDP setzen ? Wenn ja dann bedarf es einer anderen FDP -Führung als 2008i bis 2013 ???
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