Politik

Auch Frauen können Mathe – doch in der Schule werden begabte Mädchen allzu oft entmutigt, sagt Hildegard Macha. (Foto: getty)

20.05.2016

„Wurschteln wir so weiter, braucht es noch 84 Jahre“

Die Gender-Forscherin Hildegard Macha über neue Karriere-Barrieren für Frauen, eine Quote und wann eine Egalität der Positionen endlich erreicht sein könnte

Als sie vor knapp 25 Jahren den Lehrstuhl für Pädagogik an der Uni Augsburg übernahm, musste sie sich anhören: Auf keinen Fall dulden wir, dass eine Frau diesen bekommt. Seitdem hat sich viel verändert – aber nicht genug, betont Hildegard Macha. Im Gegenteil: Während neue Barrieren und Widerstände hinzugekommen sind, seien Solidarität und politische Haltung bei den Jungen verloren gegangen.

BSZ: Frau Macha, Sie waren vor gut 20 Jahren eine der ersten Genderwissenschaftlerinnen Deutschlands, welche Bilanz ziehen Sie?
Hildegard Macha: Es hat sich an den Bedingungen viel verändert. Frauen können heute sehr viel erreichen. Aber jetzt, wo es für sie wirklich um die Macht geht, kommen wieder neue Barrieren und Widerstände. Vor allem der globale Trend zur Selbstoptimierung ist für Frauen ganz besonders schädlich.

BSZ: Inwiefern?
Macha: Frauen suchen heute die Gründe für Widerstände und Barrieren in sich selbst. Über feministische Fragestellungen zu der Ungleichheit der Geschlechter in Bezug auf Karriere- und Bildungschancen sind sie nicht mehr gut informiert. Der politische Hintergrund ist verloren gegangen. Stattdessen schreiben sie sich selbst zu, etwas falsch gemacht zu haben und haben das Gefühl, alles allein bewältigen zu müssen. Es fehlt die Solidarität. Das finde ich wirklich schlimm, denn natürlich sind es die strukturellen Barrieren, die wir angehen müssen.

"Frauen suchen die Gründe für Widerstände heute in sich selbst - das ist ganz schlimm"

BSZ: Heißt das, Frauen denken, sie hätten persönlich versagt, wenn sie Karriere und Familie nicht unter einen Hut bekommen?
Macha: Ja, und es gibt einen Trend, dass sich mancher junge Mann gar nicht mehr vorstellen kann, einen Beitrag zur Vereinbarkeit zu leisten – angesichts des enorm angestiegenen Drucks auf dem Arbeitsmarkt. Neben den neuen Vätern, die sich sehr intensiv um die Familie kümmern wollen, gibt es immer mehr –  gerade auch in der Wissenschaft – , die sagen: Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Besser die Frau bleibt zu Hause, dann ist das Kind wenigstens anständig untergebracht.

BSZ: Was also muss sich ändern?
Macha: Wir brauchen eine gesellschaftliche Weiterentwicklung. Und wir brauchen eine Quote. Wir haben viel geschafft, das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen durch unpolitische Haltungen.

BSZ: Reicht die 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte aus?
Macha: Bei Weitem nicht. Norwegen hat sich eine Quote von 40 Prozent für alle Führungspositionen verordnet und sie innerhalb von vier Jahren auch erreicht. Man sieht also: Wenn die Quote politisch gewollt ist, ist sie überhaupt kein Problem. Jemand hat mal ausgerechnet, dass wir erst in 84 Jahren die Egalität der Positionen erreicht haben werden, wenn wir so weiterwurschteln.

"Es braucht einen neuen Führungsstil, der Teilhabe lebt"

BSZ: Mit dem Genderzentrum der Uni Augsburg haben Sie für Firmen Gleichstellungskonzepte erarbeitet. Was ist das Wichtigste, damit mehr Frauen in Spitzenpositionen kommen?
Macha: Wir haben in den Projekten „Future is Female“ und „Zukunft gestalten mit Gender und Diversity“ mit 40 mittelständischen Unternehmen gearbeitet, die sich aufgrund des Fachkräftemangels gezwungen sahen, verstärkt um Frauen zu werben und sie zu halten. Das Wichtigste dabei ist, die Bedürfnisse der Mitarbeiter einzubeziehen. Dazu gehören familienpolitische Maßnahmen und flexible Arbeitszeitmodelle. BewerberInnen wissen, ob eine Firma Führungspositionen in Teilzeit bietet oder nicht. Aber auch Maßnahmen wie Sportangebote für Ältere oder Unterstützungsprogramme beim Einstieg in die Firma können helfen. Dahinter steht ein neuer lebenslauforientierter Führungsstil, der Teilhabe lebt und jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter in jeder Phase unterstützt.

BSZ: Immer wieder hört man – auch von Frauen in Spitzenpositionen–, Frauen machten oft keine Karriere, weil es ihnen an Biss und Selbstvertrauen fehle. Ist das tatsächlich so?
Macha: Für eine aktuelle Studie der IHK München und Oberbayern interviewen wir 35 mittelständische Unternehmerinnen. Und es zeigt sich, dass sich diese Frauen bereits in der Kindheit durch besondere Begabungen ausgezeichnet haben. Heute ist es allerdings immer noch so, dass besonders begabte Schülerinnen nicht genug gefördert werden. Im Gegenteil: Oft werden sie von anderen Schülern, aber auch von Lehrern, ausgegrenzt. Als Konsequenz lernen viele, ihre besondere Begabung zu verstecken. All unsere Probandinnen haben das erlebt, manche so massiv, dass sie die Schule wechseln mussten. Aber die gläserne Decke der Kindheit – und auch später die beim Erklimmen der Karriereleiter hat sie nie behindert. Im Gegenteil: Sie wurden dadurch sehr stark. So stark, dass sie später beschlossen haben, ein eigenes Unternehmen zu gründen, beispielsweise wenn die Firma ihnen Steine in den Weg gelegt hatte, weil sie Mutter werden wollten. Also ja: Es braucht Biss und Mut. Aber es braucht vor allem Maßnahmen, um strukturelle Barrieren abzubauen.

"Der Frauenanteil im öffentlichen Dienst und staatlichen Unternehmen: ein Armutszeugnis"

BSZ: Welche sind das?
Macha: Wir müssen Lehrer besser darüber informieren, welche Bedingungen begabte Schülerinnen brauchen. Dazu gibt es viele Forschungen, die auch umgesetzt werden müssen. Lehrer müssen wissen, dass begabte Schülerinnen oft von anderen entmutigt werden. Und wie gesagt: Es braucht eine Quote. Zudem müssen wir auf die Selbstoptimierungsstrategien kritisch reagieren. Wir müssen den Frauen sagen: Ihr seid nicht allein für euren Erfolg verantwortlich. Es gibt strukturelle Barrieren, die Staat, Schulen, Institutionen und Unternehmen abbauen müssen.

BSZ: Gerade was öffentlicher Dienst und staatliche Unternehmen betrifft, scheint es aber doch sehr hohe Barrieren zu geben?
Macha: Ja, und das ist ein Armutszeugnis. Öffentliche Unternehmen und insbesondere auch Universitäten sind noch hierarchisch und patriarchalisch organisiert und haben einen so unglaublich großen Wettbewerb, dass Maßnahmen zur Frauenförderung wieder unterzugehen scheinen. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse an den Unis mit ihren Kurzzeitverträgen treffen vor allem Frauen. Denn wie soll man da Familie planen? Ich erlebe immer wieder, dass Frauen schier verzweifeln und sich eine Karriere als Professorin kaum mehr vorstellen können.

BSZ: Wie war es für Sie, als Sie vor mehr als 20 Jahren in Augsburg Professorin wurden – damit waren Sie eine Ausnahmeerscheinung, oder?
Macha: Ja, vor allem als Lehrstuhlinhaberin. Ich habe entsetzliche Diskriminierungserfahrungen gemacht. In persönlichen Gesprächen haben mir Kollegen mit Schaum vor dem Mund erklärt: Auf keinen Fall werden wir dulden, dass eine Frau einen Lehrstuhl bekommt. So lasse ich mich aber nicht behandeln. Dann gerade, hab ich mir gesagt. Und das zeigt auch unsere Unternehmerinnen-Studie: Man darf sich nicht von der Angst leiten lassen, sondern muss immer wieder Mut und Durchhaltevermögen haben, weiterzumachen. (Interview: Angelika Kahl) Foto (IHK): Hildegard Macha (69) war auch Frauenbeauftragte der Unis Bonn und Augsburg.

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