Politik

Positiver Schwangerschaftstest: Viele Frauen haben Angst vor einem sozialen Abstieg – und treiben ab. (Foto: dpa)

02.04.2015

Zukunftsangst als Babybremse

Noch immer treiben viele Frauen ab, auch in Bayern – finanzielle Probleme sind der Hauptgrund

Es war eine positive Nachricht, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden vor Kurzem verkündete: Die Zahl der Abtreibungen ist in Deutschland weiter zurückgegangen. Erstmals seit der Neuregelung der statistischen Erfassung im Jahr 1996 sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche auf unter 100 000 – für das Jahr 2014 wurden 99 715 Abbrüche gemeldet. Das ist ein Minus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Damit setzt sich deutschlandweit ein Trend fort: Seit 2004 mit 129 650 Abbrüchen geht die Zahl der Abtreibungen von Jahr zu Jahr zurück. Doch es gibt eine Ausnahme, und die heißt Bayern. Für das Jahr 2014 musste der Freistaat höhere Abtreibungszahlen vermelden als noch im Jahr zuvor. Im vergangenen Jahr haben laut dem bayerischen Landesamt für Statistik 12 102 Frauen mit Wohnsitz in Bayern abgetrieben, das ist ein Anstieg von 1,8 Prozent im Vergleich zu 2013.
Aber: Wie in ganz Deutschland, so gehen auch im Freistaat auf lange Sicht gesehen die Abtreibungen zurück. Von 16 155 im Jahr 2004 auf eben 12 102 im vergangenen Jahr. Das entspricht einem Rückgang von 25 Prozent und damit einer Quote, die sogar ein wenig über der von Gesamtdeutschland liegt. Zudem liegt Bayern mit einer Quote von 42 Abreibungen pro 10 000 Frauen weit unter dem Bundesdurchschnitt von 55 Abbrüchen pro 10 000 Frauen. Und diese Zahl sei doch viel aussagekräftiger, erklärt ein Sprecher des bayerischen Sozialministeriums. „Bayern weist damit die wenigsten Abbrüche aller Bundesländer auf.“
„Die Zahlen muss man schon sehr genau lesen“, sagt auch die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Osgyan. „Bayern hat nicht nur mit Abstand die niedrigste Quote an Abbrüchen überhaupt, es ist auch eines der wenigen Bundesländer mit wachsender Bevölkerung.“ Auch von daher sei der Anstieg in totaler Summe reine Zahlenspielerei.

Kostenlose Verhütung

Was aber nicht bedeutet, dass alles gut ist im Bayernland. Osgyan weist darauf hin, dass die Zahl der Abbrüche nach der 22. Woche und die aufgrund einer medizinischen Indikation gestiegen sind. Dies lasse Schlüsse auf den Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu. Osgyan fordert eine generelle Verbesserung der ideellen und finanziellen Hilfen. Und das nicht nur mit Blick auf die Frauen. „Das fängt bei der Aufklärung in den Schulen an, geht über eine gezielte Politik einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, über den Krippenausbau, spezielle Hilfen für Alleinerziehende bis hin zur Stärkung der Beratungsangebote in freier Trägerschaft“, so die Grünen-Politikerin. „Das hat die bayerische Staatsregierung in der Vergangenheit völlig verschlafen, da besteht großer Handlungsbedarf.“
Vor Kurzem beschloss die CSU, sich dafür einzusetzen, dass Arbeitsgeld-II-Empfängerinnen bis 27 Jahre kostenlos Verhütungsmittel erhalten. Ziel dieses von der Frauen-Union getragenen Vorstoßes ist es, die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren. „Man sollte angesichts des zu niedrigen Regelsatzes für jede dieser Frauen, die kostenlose Verhütungsmittel erhält, froh sein“, sagt Eva Zattler, stellvertretende Leiterin einer Pro-Familia-Beratungsstelle in München. Die Altersbegrenzung auf 27 Jahre findet Zattler allerdings unverständlich. „Als ob Frauen über 27 nicht schwanger werden könnten.“ Eva Zattler weiß, wovon sie spricht. Seit mehr als 20 Jahren ist sie als Beraterin tätig und bekommt so hautnah mit, was die Frauen in der so genannten Schwangerschaftskonfliktberatung bewegt. Psychische und physische Überforderung, Zukunftsangst, berufliche Probleme, Probleme in der Partnerschaft: Das sind die häufigsten Gründe, weshalb sich Frauen mit dem Gedanken an eine Abtreibung tragen. „Was aber auffällt, ist, dass mittlerweile auch sehr viele Frauen und Paare Angst vor dem sozialen Abstieg haben“, sagt Zattler. „Die finanzielle Absicherung ist ein Thema, das über die letzten Jahre sehr viel stärker geworden ist, gerade in Städten wie München, in denen die Lebenshaltungskosten ohnehin schon sehr hoch sind.“
Zattler sieht hier den Staat gefordert. Zwar gebe es Hilfen für Bedürftige, aber die stammten aus so vielen verschiedenen Töpfen, dass selbst die Berater den Schwangeren keine Auskunft darüber geben könnten, wie hoch die Hilfe denn in Summe ist. „Es ist einfach zu unübersichtlich“, sagt Zattler. Sie wünscht sich eine Stelle, die alle Hilfen für die Schwangeren bündelt.
Auch Doris Schiller, Leiterin der Beratungsstelle von Donum Vitae in Regensburg, hat in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass Geld bei den Paaren eine immer größere Rolle spielt. „319 Beratungsfälle haben wir im Jahr 2014 begleitet“, sagt Schiller. „176 Mal ging es dabei auch um finanzielle Themen.“ Gerade bezahlbarer Wohnraum sei ein riesiges Problem in Regensburg. „Die Mieten sind so hoch, da müssen beide Eltern arbeiten, und sie kommen mit ihrem Gehalt gerade so hin. Und wenn dann noch ein Kind kommt, reicht es einfach nicht mehr.“
Wo ein Kind satt wird, ist auch noch Platz für ein zweites oder ein drittes. So war das früher. „Das hat heute diese Gültigkeit nicht mehr“, sagt Schiller. Vielmehr stelle sich den Vätern und Müttern die Frage: Können wir uns ein weiteres Kind leisten? Gut 60 Prozent der Frauen in Deutschland, die 2014 abgetrieben haben, haben bereits ein oder mehrere Kinder.

Riesenthema Wohnungsnot

Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, das ist Schillers zentrale Forderung an die Politik. Die zweite geht in Richtung Arbeitswelt. „Psychischer Druck und Verunsicherung sind in den vergangenen Jahren gestiegen“, sagt Schiller, was die Beraterin vor allem auf die Zunahme von Leiharbeit und befristete Verträge zurückführt. „Was passiert denn, wenn eine Frau in einem befristeten Arbeitsverhältnis schwanger wird? Sie verliert ihren Job.“ Zukunftsangst, sagt Schiller, „ist ein ganz großes Thema“.
(Beatrice Oßberger)

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