Unser Bayern

Das „Wenzelschloss“ im mittelfränkischen Lauf an der Pegnitz. Diese Burg war für Karl IV. die letzte Übernachtungsmöglichkeit auf „neuböhmischem“ Boden vor dem Einzug in die Reichsstadt Nürnberg. (Foto: dpa)

29.04.2016

Sprache der Architektur

Die Residenzbauten von Karl IV. wurden Metaphern für den Kaiser und seine Herrschaft in ganz Europa

Vor 700 Jahren, 1316, wurde der spätere König von Böhmen und römisch-deutsche Kaiser Karl IV. in Prag als Wenzel geboren. Er war der Sohn des böhmischen Königs Johann von Luxemburg, seine Mutter war Elisabeth von Böhmen, die Erbtochter des premyslidischen Hauses. Am französischen Hof erzogen, erhielt er den Firmnamen seines Onkels, des letzten Kapetinger-Herrschers Karl IV. Über mehrere Dekaden prägte Karl IV. wesentlich das kulturell-gesellschaftliche Weltbild und die machtpolitische Bühne des lateinischen Mitteleuropa. Und das nicht nur auf legislativer Ebene, wie beispielsweise die Gesetzgebung und damit einhergehend auch die Installation eines Kanzleiwesens mit ausgeklügelter Abstimmungskultur verdeutlichen. Seine Stiftungs- und Sammlertätigkeit wie auch sein Mäzenatentum wurden von der kunsthistorischen Forschung bereits ebenfalls weitgehend erfasst. Zudem analysierte die Wissenschaft spezifische Phänomene wie die Herrscherikonographie und die Reliquienverehrung Karls. Auch in einigen Großausstellungen und Tagungen fand das zunehmende Interesse an dem Herrscher und seinem Wirkungskreis seinen Niederschlag. Die bayerisch-tschechische Landesausstellung zu Karl IV. steht in der Tradition dieser Projekte. Sie wird ab Mai in Prag und ab Oktober in Nürnberg gezeigt.

Größtes Hausmachtgebiet

Die Luxemburger, ursprünglich ein linksrheinisches Grafengeschlecht, dessen Ahnenreihe bis zu den Karolingern zurückreichte, errichteten im 14. Jahrhundert den größten Länderverbund, das umfangreichste sogenannte Hausmachtgebiet innerhalb des Heiligen Römischen Reichs mit dem Herrschaftszentrum Böhmen. Die böhmische Domäne erfuhr anschließend einen bedeutenden politischen und ökonomischen Aufschwung, der eine territoriale Ausdehnung mit sich brachte. König Johann (1310 bis 1344) gewann zahlreiche Besitztümer wie die Oberlausitz und Teile Schlesiens. Sein Sohn Karl IV. setzte die Territorialpolitik des Vaters fort. Seine territorialen Interessen wurden stark von den politischen und kirchlichen Verhältnissen in Mitteleuropa bestimmt. Nachdem er sich in den Anfangsjahren seiner Regierung auf die Festigung seiner Position in Böhmen konzentriert hatte, begann er unmittelbar danach, seine Herrschaft auf das nördliche Bayern auszudehnen. Zwischen den Jahren 1353 und 1373 besaß Karl IV. die sogenannte Obere Pfalz. Nach dem Verkauf dieses Territoriums erlangte er das Kurfürstentum Brandenburg (1373); kurz zuvor (1368) hatte er auch umfassende Territorien in der Niederlausitz erworben.

Großer Herrscher

Einhergehend mit der territorialen Expansion der Böhmischen Krone innerhalb des Heiligen Römischen Reiches stieg Karl IV. als böhmischer König und römischer Kaiser zu einem der einflussreichsten Herrscher des damaligen lateinischen Europa auf. Zu Recht spricht daher die historische Forschung im Hinblick auf die Jahrzehnte der 1330er – 1370er Jahre bereits seit längerem von einer Zeit der „großen Herrscher“. Aber hatte Johann von Luxemburg die Gebiete der Corona noch verdoppelt und somit seinem Nachfolger eine solide dynastische Herrschaftsbasis hinterlassen – so war es Karl IV. selbst, der die Gebiete durch seinen umstrittenen Erbvertrag in mehrere Herrschaftseinheiten teilte und somit faktisch zum Verfall des Königtums Böhmen und der allgemeinen Destabilisierung unter König Wenzel IV. beitrug. Die Herrschaftskonzeption Karls IV. wies also Schwächen auf. Hatte er überhaupt die Absicht, seine Machtansprüche und die realpolitische Situation in seinem Reich miteinander in Einklang zu bringen? Waren seine Handlungen tatsächlich allein von dem Wunsch geleitet, die Anforderungen, die an einen Herrscher des späten Mittelalters gestellt wurden, zu erfüllen? Oder wurden sie auch von seiner persönlichen Gedankenwelt bestimmt? Erreichten die zur Durchsetzung und Repräsentation des Herrschaftsgedankens eingesetzten haptischen Mittel – die Residenzen – ihre Adressaten gleichermaßen im Zentrum, also in Böhmen, wie an den Rändern der Macht des böhmischen Königreichs, in den einverleibten Territorien?

Über der Stadt thronend

Zu Anfang der politischen Aktivitäten Karls fungierte Prag als Hauptstadt der luxemburgischen Herrschaft. Nachdem die Goldene Bulle in Kraft getreten war, in der die Verfasstheit des Heiligen Römischen Reiches geregelt war, erhielten auch weitere Reichsstädte wie Frankfurt, Aachen und Nürnberg eine identitätsstiftende Rolle. Prag verfügte auf mehreren Ebenen über Exklusivität und Rang, unter anderem durch eine Exterieur-Monumentalität: Seine Residenz dort sollte nach Außen wie nach Innen den Herrschaftsanspruch verdeutlichen, wie Karl in seiner Vita ausdrücklich thematisierte. Eine derartige, über der Stadt thronende städtebauliche Lage erscheint jedoch im Vergleich zur Situierung der scheinbar „introvertierten“ Herrschaftshäuser der französischen Könige oder der führenden Elite der italienischen Stadtstaaten innerhalb eines städtischen Organismus anachronistisch. Sie war also nicht zeitgemäß – dennoch gewollt; die premyslidische Tradition war zu pflegen, so lautete die Botschaft. Auch die Interieur-Komponente, wie etwa spezifische Dispositionsschemata eines Appartements, die sich von demjenigen des Papstpalastes in Avignon herleiten lassen, bleiben für das 14. Jahrhundert einmalig und ohne Vergleich. Im heute mittelfränkischen Lauf (damals Lauffen) dagegen, einer Residenzburg, die in der Zeit errichtet wurde, als Teile des nördlichen Bayerns zu Böhmen gehörten (1353 bis 1373), und die nur wenige Stunden von der Reichsstadt Nürnberg entfernt lag, vermittelte der Konzepteur der elitären reichsständischen Gesellschaft durch das umfassend konzipierte ikonographische Programm der Residenzanlage die gewünschte Verbindung des Königs mit der böhmischen Landeshierarchie. Dies geschah einerseits durch die Anbringung der böhmischen landesherrlichen Symbole; außerdem sollte dort die Stabilität der luxemburgischen Dynastie innerhalb der politischen Strukturen Böhmens und der verschiedenen Kompetenzbereiche im Hinblick auf die Reichsfürsten sedimentiert werden.

Rebellierender Vogt

Im heute sächsischen Vogtland, in der bisher von der Forschung weitgehend ignorierten Residenzburg Mylau, vergegenwärtigte der Kaiser die landesherrliche Macht gegenüber dem rebellierenden Vogt Heinrich von Reuß, der mit ihm kurz zuvor in Fehde gelegen hatte. Nach deren Schlichtung übertrug Karl ihm jedoch weitere Kompetenzen, wodurch er ihn zur Loyalität verpflichtete. Diese Vorgehensweise hatte der Kaiser zuvor bereits bei der Lehenspolitik seines Großonkels Balduin von Trier beobachten können. Außerdem ließ er die Herrschaftsattribute mittels spezifischer baulicher Dispositionen wie des gewaltigen Westwerks gegenüber der Stadt Mylau sowie durch landesherrliche bildhauerische Programme visualisieren, etwa durch Darstellungen des Heiligen Wenzel und des böhmischen Wappens mit dem doppelschwänzigen Löwen. Einerseits präsentierte der Herrscher hier mittels der Architektur seine angestrebte Macht, anderseits setzte er durch verbindliche Verträge seine aktuelle Gewalt durch. Die rechtlichen Kategorien einer spätmittelalterlichen Herrschaftsausübung wurden somit vorbildlich umgesetzt und dadurch zugleich wesentliche politisch-repräsentative Entscheidungen vollzogen.

Landesausstellung
Premiere: Erstmals veranstalten Bayern und die Tschechische Republik eine gemeinsame Landesausstellung. Anlass ist die Geburt Karls IV. vor 700 Jahren. Der mächtige deutsche und böhmische König sowie römisch-deutsche Kaiser förderte vor allem Prag und Nürnberg, die beiden Städte, in denen er sich am häufigsten aufhielt. In beiden Städten wird auch die Landesausstellung gezeigt: Zunächst in Prag (Nationalgalerie, 15. Mai bis 25. September), dann im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg 20. Oktober bis 5. März 2017. Die Landesausstellung begleiten rund 370 – auch grenzüberschreitende – Veranstaltungen.
Information unter www.bbkult.net und www.begleitprogramm-karl-iv.de.

Im Zittauer Land richtete sich die ikonologische Prägnanz im Zollhaus Neuhaus, der einzigen Talsperre auf dem Gebiet der Böhmischen Krone, zugleich Residenz des Vogtes und somit des Stellvertreters des Landesherren, in erster Linie an den Oberlausitzischen Städtebund. Darüber hinaus vergegenwärtigte der zügige Aufbau der Stadtresidenz Karls IV. in Zittau in der einzigen böhmischen Mitgliedsstadt des Oberlausitzischen Städtebundes und an zentraler Stelle der Domäne, die aktuelle Landesherrschaft. Der Oybin, der gemäß der Gründungsurkunde Karls IV. als Ensemble aus landesherrlicher Burg und einem der Prager Diözese unterstellten Coelestinerkloster vorgesehen war, war in seiner Gesamtanlage gegenüber der Stadt Zittau konzipiert, von der aus er auch sichtbar ist. Er stellte eine potentielle Visualisierung königlich-kaiserlicher Majestät dar, zugleich auch kirchlicher Würde. Somit wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass die in den Forschungen zum späten Mittelalter nicht immer stringente Trennung der Kategorien „profan“ und „sakral“ für einige der Bauten Karls IV. nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Symbolische Anwesenheit

Dies gilt auch für die von der historischen Forschung bereits vorgenommene Kategorisierung der karlinischen Stiftungen. Für eine zeremonielle Nutzung und damit gleichsam eine Aktivierung von Seiten des Herrschers und seines Hofstaats sprechen sowohl die zeitgenössischen als auch die jüngeren narrativen Quellen: Auch hier auf dem Oybin im Zittauer Land war die symbolische Anwesenheit des Landesherren in seiner Abwesenheit prägend. Tatsächlich ist jedoch nur ein einziger Aufenthalt Karls IV. in dieser Residenz belegt, und wie der Zeitgenosse Johann von Guben berichtet, standen damals lediglich verwaltungstechnische Vorgänge auf dem Programm. In den Fürstenwalder Verträgen vom 17./18. August 1373 wurde zwischen den Dynastien der Wittelsbacher und der Luxemburger auf Druck der Letzteren ein Tausch der Territorien im nördlichen Bayern gegen die Mark Brandenburg vereinbart. Dies bedeutete eine gewaltige Besitzverschiebung im Reich und zugleich die Ausrichtung der böhmischen Perspektive in Richtung Norden, vorrangig auf die Hansestädte an Nord- und Ostsee hin, woraufhin neue Ansprüche an das Kanzleiwesen gestellt wurden. Ferner zeitigte dieser Tausch prospektiv einen weiteren politischen Machtzuwachs der Luxemburger im Kurfürstenkollegium, den Karl IV. mit Nachdruck betrieb, um die Kaiserkrone für seine Dynastie zu sichern. Am 2. Oktober 1373 fixierte er in Prag die Belehnung seiner noch minderjährigen Söhne Wenzel, Sigismund und Johann mit dem Kurfürstentum als „ir rechte naturlich vnd ordenlich“. Ähnlich wie die Burg auf dem Prager Hradschin, setzte auch das Zentrum der Mark Brandenburg, die ehemalige askanische, nun luxemburgische Hauptresidenzburg Tangermünde, die über ein großes identitätsstiftendes Potenzial verfügte, aus architektonischer Sicht zunächst einen weithin wirksamen städtebaulichen Akzent – und zwar mit einer monumentalen Fassade über der Elbe und zur Stadt hin. Im ikonologisch-heraldischen Ausstattungsprogramm der Räume der Tangermünder Residenz, das teilweise aufgrund von Ausgrabungen und Bildquellen rekonstruiert werden kann, wurden die betont elektiven Aspekte im Hinblick auf das Reichsgesetz der Goldenen Bulle hervorgehoben. Außerdem fand sich darin eine differenzierte jurisdiktische Konkretion der Form der stabilen Regierung und des zu repräsentierten Herrschaftsgedankens, die nach Außen hin durchaus für die am politischen Hofleben beteiligten Akteure programmatisch dargestellt wurden. Dieses Konzept wurde den Funktionsträgern des Reichs vorgestellt, und hier wurde zudem das Reichszeremoniell (die solempnis curia) noch unter Karls Herrschaft konkret visualisiert umgesetzt... (Richard Nemec)

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der April-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 17 vm 29. April 2016)

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