Wirtschaft

Uwe Kirst appelliert an die Politik, es Gründern hierzulande leichter zu machen. (Foto: IHK München/Goran Gajanin)

30.09.2016

„Auch Caféhausgründer haben eine Vision“

Gründercoach Uwe Kirst findet, dass der Freistaat zu wenig für klassische Startups tut

Bereits zum sechsten Mal in Folge sind 2015 die Gründerzahlen im Freistaat zurückgegangen. Über Ursachen und Gegenmaßnahmen sprachen wir mit Gründercoach Uwe Kirst. Er sieht diverse Steine, die man jungen Unternehmern in den Weg legt. BSZ: Herr Kirst, wenn man Unternehmer auf Sie anspricht, fällt schnell der Begriff Gründerpapst…
Kirst: Ich arbeite und predige seit 25 Jahren im In- und Ausland und glaube an die Zukunft und an das Gute – aber ganz ohne Heiligenschein.

BSZ: Wie ist es bestellt ums Gründen in Bayern?
Kirst: Besser als in anderen Bundesländern, aber nicht gut. Vor zwölf Jahren haben sich noch doppelt so viele Gründungswillige bei den Kammern gemeldet. Und 2015 sind die Gründungen in Bayern bereits das sechste Mal in Folge gesunken.

BSZ: Woran liegt’s?
Kirst: Die Geldbeschaffung wird immer schwieriger – trotz vollmundiger Beteuerungen. Außerdem sind Unternehmer in unserem Kulturkreis zu wenig angesehen.

BSZ: Solche Klagen hört man seit Jahren. Und geht es uns nicht dennoch blendend?
Kirst: Nehmen Sie einen tüchtigen Ingenieur, der einen gut laufenden Betrieb übernehmen will, ihn aber trotz bester Aussichten nicht kaufen kann, weil er wegen mangelnder Sicherheiten kein Darlehen von der Bank bekommt.

BSZ: Armer Ingenieur. Ja, und?
Kirst: Das ist ja kein Einzelbeispiel hierzulande. Tausende Betriebe und das damit verbundene Know-how gehen pro Jahr den Bach runter, weil das Kapital fehlt. Ich kenne das Mantra aus Politik und Geldwirtschaft, dass jeder Geld bekommt, der welches braucht.

BSZ: Alles nur Sprüche?
Kirst: Leider ja. Das gilt auch für diese wunderschön klingenden Förderprogramme landauf, landab. Auch das sind letztlich alles Schulden, die der Mensch mühsam zurückzahlen muss – und zwar aus dem Reingewinn nach Steuern. Oder die Gründerin in Mittelfranken, die von einem regionalen Kreditprogramm abgelehnt wurde. Begründung: Sie sei zu jung! Und das trotz positiver Stellungnahme durch die IHK.

BSZ: Gehen Banken und Staat übervorsichtig mit ihrem Geld um?
Kirst: Besicherung ist notwendig. Kein Geldgeber darf seine Mittel ohne Weiteres verteilen. Aber solche Risiken lassen sich eindämmen, etwa durch Unterstützung bei konkreten wirtschaftlichen Fragen. Hier klafft im Freistaat ein großes Loch. Alle schauen auf die innovativen High-tech-Gründungen. Klassische Branchen finden in der öffentlichen Wahrnehmung kaum statt. Hier wäre Förderung viel dringender nötig.

BSZ: Wieso?
Kirst: Wer trommelt denn noch für Handwerker, kleine Fertigungen, Händler, klassische Dienstleister oder Freiberufler? Sie erwirtschaften noch immer den größten Teil des Bruttosozialprodukts, stellen die meisten Arbeitsplätze, liefern innovative Lösungen und sind oft Motor der Demokratie. Es sind gerade engagierte Querdenker vor Ort, die viel fürs Allgemeinwohl tun und standorttreu Verantwortung übernehmen.

BSZ: Was soll der Staat machen?
Kirst: Beim Thema Selbstständigkeit nicht immer gleich von Geld reden. Sondern immer auch den gesellschaftlichen Nutzen betonen, der von Gründungen ausgeht. Wir brauchen hier mehr öffentlichen Rückenwind.

BSZ: Und der sorgt dann für den Kredit?
Kirst: (lacht) Nicht von allein. Der Rückenwind führt hoffentlich endlich zu einem vernünftigen Venture-Capital-Gesetz, denn die Besteuerung behindert solche Finanzierungen noch. Ergebnis: Das vorhandene Geld kommt nicht zu den Gründern. Auch Gelder für ein Crowdfunding-Projekt sollten nicht wie Umsatz behandelt werden. Gründer brauchen echte Hilfen - nicht nur Versprechen über Kreditprogramme. Die sind vor allem für Otto Normalgründer nämlich reine Utopie. Wir sollten auch dem Gründer eines Cafés eine Vision zubilligen und nicht nur dem Entwickler einer Smartphone-App.

BSZ: Was sind echte Hilfen?
Kirst: Ich habe oft erlebt, dass eine alleinerziehende Mutter ohne Vermögen und ohne passendes familiäres Umfeld kein Unternehmen gründen kann, weil sie nicht weiß, wohin mit ihren Kindern. Dieser Mutter helfen keine politischen Kampagnen für mehr Gründergeist. Dort wird immer nur von den Wenigen geredet, die technisch-innovative Gründungen anstreben. Eine Gründerin mit kleinen Kindern braucht praxisnahe Antworten: Warum gibt es in solchen Fällen keine Zuschüsse für eine Tagesmutter? Und wo sind ausreichend Kita-Plätze, die über den halben Tag hinausgehen?

BSZ: Sie fordern also Privilegien für Gründerinnen?
Kirst: Sehr gerne auch für junge Väter! Und man muss halt irgendwo einmal anfangen. Ich freue mich hier über jeden Aufschrei, denn wir brauchen diese Debatte dringend. Sie führt dazu, dass die Bedingungen für Gründer besser werden. Und das sichert Arbeitsplätze. Bayerns Wirtschaftspolitik braucht andere und neue Schwerpunkte.

BSZ: Welche?
Kirst: Schauen wir in unsere eigene Vergangenheit! Heute sind wir deswegen so gut aufgestellt, weil in den letzten Jahrzehnten im Freistaat viele richtige Entscheidungen getroffen wurden. Das sollte man auch in den nächsten Jahrzehnten über unsere heutige Zeit sagen können!

BSZ: Bayern ist heute spitze in Deutschland und Europa.
Kirst: Spitze ist man immer nur in der Momentaufnahme. Und während wir uns an diesem Bild ergötzen, überholt uns bereits jemand.

BSZ: Was fehlt?
Kirst: Ich sehe zahlreiche Initiativen, die ohne ausreichende Sachkenntnis entwickelt wurden. Uns hilft keine Veranstaltungsbegeisterung, sondern nur die konkrete Lösung. Dazu müssen Sie mit den Menschen sprechen, die das Problem betrifft. Wir reden zum Beispiel von Digitalisierung – völlig richtig, aber bitte für alle! In den 1990er Jahren gab es eine umfangreiche Gründer- und Nachfolgeinitiative der Staatsregierung. Minister und Staatsekretäre sind in den Regierungsbezirken aufgetreten, alle regionalen Initiativen wurden dadurch befördert. Tausende Menschen kamen so mit der Politik ins Gespräch und konnten sich artikulieren.

BSZ: Mit wem redet Ilse Aigner also zu wenig?
Kirst: Mit den Leuten, die das alles hautnah betrifft, die ihr Leben für die eigene Firma umkrempeln, aber auch mit den engagierten Kammern, den Gründungsexperten und der Mittelstandsunion! Man darf nicht nur mit den Förderbanken und den Unis reden, so wichtig das auch ist.

BSZ: Was würden Sie als Wirtschaftsminister anders machen?
Kirst: (lacht) Das war nie mein Ziel! Und Ilse Aigner ist eine sehr gute Wirtschaftsministerin. Aber ich würde mehr Gespräche mit richtigen Menschen führen, weniger mit Institutionen. Ich würde einen gesunden Proporz wiederherstellen: relevante Themen und Wirtschaftsbereiche nach vorne! Den Unternehmern aufs Maul schauen! Die meisten, die von Selbstständigkeit reden, sind Angestellte mit regelmäßigen Einkommen, die die Angst vor der Insolvenz nicht kennen.
(Interview: Jan Dermietzel)

Kommentare (2)

  1. Chris T. am 30.09.2016
    Danke Uwe Kirst für die ehrliche Darstellung - man könnte Frau Eigner auch gezielt darauf ansprechen was sie denn in Anbetracht der vermeintlich vorherrschenden Situation gedenkt zu "unternehmen"?
    Die Frage ist - denkt und fördert sie im Sinne der breiten Gesellschaft oder im Sinne einiger weniger, salonfähiger Branchen? Es kann ja nicht sein, dass sich alle Welt ins Digitale transformiert!
    Gerade das Thema mit der Firmenübernahme ist ein wichtiger Punkt um den bestehenden Firmen eine Chance zu geben, die zwar erfolgreich sind aber gar keine digitale Transformation nötig hätten (um das genannte Beispiel von machen.de heranzuziehen).
  2. machen.de am 30.09.2016
    Danke lieber Uwe Kirst für diese kritische Sicht auf die aktuelle Situation. Ein Gründer der einen Teeladen eröffnen will, oder ein Schuhmacher, ein Malerbetrieb, ein Fliesenleger - ohne Digitale Strategie, ohne App, ohne "Zukunftstechnologie" finder er aktuell zu wenig Beachtung. Ein Gegentrend ist die "Craft" Bewegung. Handmade, Regional, Bio - Nachhaltig. Hier sehe ich Hoffung für "klassische" Themen die sich in in schicker Verpackung durch Wording und Design besser verkaufen.
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