Wirtschaft

Im Technologie Anwenderzentrum (TAZ) in Spiegelau übergab Wissenschaftsstaatssekretär Bernd Sibler (rechts) einen Förderbescheid für das Forschungsprojekt „Präzisionsbiegen von Dünnglas“. Darüber freuten sich Professor Heinz Gerhäuser (links), Präsident der Bayerischen Forschungsstiftung, und Professor Raimund Förg, wissenschaftlicher Leiter des TAZ Spiegelau. (Foto: Claudia Grimsmann)

26.08.2016

Blühende Technologie-Region Bayerischer Wald

Zwischenbilanz der wirtschafts- und strukturpolitischen Erfolgsgeschichte Niederbayerns

Man mag darüber streiten, ob 2008 die Beendigung des Projekts Transrapid als Flughafen-Transfer ein Schaden für München war. Ein Glücksfall dagegen war das für die heutige Technologie Region Bayerischer Wald. Wissenschaftsstaatssekretär Bernd Sibler (CSU) sagt dazu ganz offen: „Heute ist der Transfer von Forschung zur Wirtschaft in den ländlichen Raum eine große Erfolgsgeschichte, die ständig weitergeht. Aber ohne das Geld vom Transrapid hätten wir die Ideen aus der Fachhochschule Deggendorf nie durchsetzen können.“

Mitten im Landtags-Wahljahr 2008 suchte die Staatsregierung attraktive Verwendungszwecke für über 700 Millionen Euro Transrapid-Rücklagen. Der damalige Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) hatte einen in seinem Ministerium nicht erwünschten Projektvorschlag der Fachhochschule Deggendorf in der Schublade: Technologie Transfer-Zentren im Bayerischen Wald als Außenstellen der Hochschule Deggendorf. Deren Präsi-dent, Professor Reinhard Höpfl, hatte zusammen mit Professor Peter Sperber und Kollegen das Konzept ausgearbeitet. Heute ist Sperber Präsident der jetzigen Technischen Hochschule für angewandte Wissenschaft und Forschung in Deggendorf.

Ohne Wahljahr und Geld vom Transrapid keine Hochschul-Außenstellen


Er erinnert sich gut an den Anfang: „Ohne Wahljahr und Geld vom Transrapid wäre unsere Idee mit Hochschul-Außenstellen am Widerstand der Zentralisten in München gescheitert.“ Sowohl im Wissenschaftsministerium, als auch im Kabinett gab es Bedenken gegen das Konzept: Statt zentraler Hochschulorte sollten auch Transferzentren mit verschiedenen Forschungsschwerpunkten für die Zusammenarbeit mit Wirt-schaft und Kommunen gegründet werden – verteilt im ostbayerischen Grenzgebiet. Goppel konnte es mangels Konkurrenz anderer Projekte durchsetzen.

Staatssekretär Sibler hat kürzlich das Technologie Anwenderzentrum (TAZ) in Spiegelau besucht. Dabei waren bei einem feierlichen Akt dabei: TH-Präsident Professor Sperber, Professor Heinz Gerhäuser, Präsident der Bayerischen Forschungsstiftung, sowie Professor Raimund Förg, der wissenschaftliche Leiter des TAZ Spiegelau, nebst Mitarbeitern und Kommunalpolitikern des Landkreises Freyung-Grafenau. Anlass der Feier war die Übergabe eines Förderbescheids der Stiftung, ein dicker Auftrag für ein dünnes Projekt: „Präzisionsbie-gen von Dünnglas“.

In dem geförderten Projekt geht es um die Entwicklung eines Verfahrens, um Flachglas in bisher unerreichter Präzision so dünn herzustellen, dass es sich biegen und formen lässt. Eine erste Anwendung soll das Verfahren bei der Herstellung eines Röntgen-Teleskopspiegels finden, der als Bauteil eines Satelliten des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik zum Einsatz kommen wird. Die Entwicklung erfolgt ge-meinsam mit Unternehmen: der Stoba Sondermaschinen GmbH aus Memmingen, der ECM Engineered Ceramic Materials GmbH aus Moosinning (Landkreis Erding) und der Schneidwerkzeug Schleiftechnik Moser aus Schön-anger (Landkreis Freyung-Grafenau).

Gemeinde und Landkreis waren anfangs mit dem Projekt völlig überfordert


Das TAZ Spiegelau mit Schwerpunkt „Heißglas-Technologie“ wurde erst 2012 eröffnet. Es war der falsche Standort, denn die kleine Glasmachergemeinde Spiegelau und der Landkreis Freyung-Grafenau waren anfangs mit dem Projekt völlig überfordert. Aber das TAZ war als Ausgleich für die Schließung von Glashütten in der Bayerwaldregion gedacht. Das TAZ Spiegelau hinkte lange hinter den ersten drei Campus her. Inzwischen hat sich aber auch das Sorgenkind der TH in Spiegelau wirtschaftlich recht gut entwickelt.

Das ist vor allem der Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth und der neuen Glas-Technologie-Allianz Oberfranken-Ostbayern – kurz „Glas-TAOO“ genannt – zu verdanken. Ziel der Allianz ist es, für die Glasindustrie neue Produktionstechnologien, effizienteren Ressourceneinsatz und umweltfreundliche Produkte zu entwickeln. Namhafte Glashersteller gehören der Allianz bereits an. Da kommt der Forschungsauftrag der Stiftung gerade gelegen. Professor Förg, ein Straubinger, stellte stolz fest: „Weltraum Hightech kommt jetzt aus dem Bayerischen Wald!“ Schneller wirtschaftlich erfolgreich waren die ersten drei Technologie-Transfer Campus: in Cham für mechatronische Systeme, in Teisnach für optische Fertigungs-, Mess- und Hochfrequenztechnik, in Freyung für Geoinformatik und sogenannte Embeddid Systems (zum Beispiel für Elektromobilität, Schalt- und Kommunikationssysteme).

Acht Campus entstanden


Insgesamt sind bisher nach und nach acht solcher Campus und dazu einige Forschungsinstitute entstanden: neben den genannten auch in Grafenau für Bedarfsprognosen, Warendisposition und Logistik mit dem Ziel, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Im Campus von Bad Kötzting geht es um das kommunale Gesundheitsmanagement und gesundheitswissenschaftliche Studiengänge; ergänzend beschäftigt sich auch der Campus Schloss Mariakirchen mit angewandten Pflege- und Gesundheitswissenschaften, Umweltmanagement, Demografie und Gerontologie.

Die Forschungsschwerpunkte sind weit umfassender als es die genannten Stichworte beschreiben können. In Kooperation der TH Deggendorf mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Ansbach wurde in Weißenburg (Mittelfranken) ein Technologie- und Studienzentrum eingerichtet, das sich mit Forschung und Entwicklung im Bereich der Kunststoffindustrie beschäftigt.

Staatssekretär Sibler ist stolz darauf, als Deggendorfer Abgeordneter für diesen Bereich politisch zuständig zu sein. „Ziel unserer Strategie war und ist es“, sagte er im Gespräch mit der Staatszeitung, „die Hochschulen auch in ländlichen Regionen mehr zu verankern und durch Vernetzung mit wissenschaftlichen Forschungs-Einrichtungen zu stärken.“ Bei der Übergabe des Forschungsbescheids in Spiegelau bekräftigte er das: „Der bayerische Weg, regionale Kompetenzzentren aufzubauen, hat sich einmal mehr als richtig erwiesen: für die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Menschen hier.“

Kleinen Mittelständlern Zugang zur Forschung verschaffen


Ziel des Konzepts war es laut Präsident Sperber auch, kleinen mittelständischen Firmen Zugang zu wissenschaftlichen Einrichtungen und teuren Laboren zu verschaffen, deren Forschungsergebnisse wirtschaftlich zu nutzen und Hemmschwellen zwischen Unternehmern und Professoren abzubauen.
Die TH Deggendorf will sich dabei den Studentennachwuchs aus der Region sichern und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen, damit junge Leute nach dem Studium in die Heimat zurückkehren können.“
Mit örtlichen und zeitlichen Unterschieden sind diese Ziele bis heute weithin erreicht worden.

Zwischenbilanz von Professor Sperber: „Die Evaluation läuft überall gut, wir haben keinen Fehlschlag erlebt. Vielmehr haben wir bewiesen, dass man auch im ländlichen Raum an die Industrie angebundene Forschung betrei-ben kann. Man spürt überall Aufbruchstimmung!“ Staatssekretär Sibler ergänzt: „Diese Regionen haben einen Aufschwung erfahren, die örtliche Wirtschaftskraft wurde dank Industrieansiedlung und Gründungen von neuen Unternehmen gestärkt.“

Beides bestätigt Rita Röhrl (SPD), die Bürgermeisterin von Teisnach (Landkreis Regen) und Bezirksrätin in Niederbayern, aus ihrer Erfahrung. Teisnach war 2008 die erste unter drei Gemeinden, die den Zuschlag für einen Technologie Campus als Außenstelle der TH Deggendorf bekommen haben. „2009 haben wir zu bauen begonnen und den Campus eingeweiht. Wir hatten in Teisnach schon starke Firmen ansässig, wie zum Beispiel Rhode & Schwarz für Hochfrequenztechnik und optische Messtechnik, die nun sehr eng mit dem Campus zusammenarbeiten. Inzwischen haben wir auch viele neue hochwertige Unternehmen hier, die man bei uns im Bayerwald gar nicht vermuten würde.“

„Seit 2009 sind 350 neue Arbeitsplätze entstanden und alte gesichert worden“


Teisnach hatte für den Campus ein konzentriertes Industriegebiet mit großer Fläche bereit, in dem sich Firmen oder deren Filialen einmieten können. „Wir sind der größte Arbeitgeber im Landkreis“, berichtet die erfolgreiche Bürgermeisterin stolz: „Seit 2009 sind 350 neue Arbeitsplätze entstanden und viele alte gesichert worden. Wegen der breiten Streuung der Firmen mit jeweils unterschiedlichen Erfolgen ist die Wirt-schaftskraft insgesamt stabiler; Pleiten haben wir keine erlebt und es ist auch noch kein Mieter vom Campus weggegangen.“

Teisnach hat seither Zuwanderer, vor allem aber viele Pendler aus der weiteren Region. Röhrl: „Die haben den Vorteil, dass sie statt nach Dingolfing, Regensburg oder München zu pendeln, zuhause wohnen und abends im eigenen Häusl gemütlich auf der Terrasse sitzen können.“ Das bedeutet aber auch, dass die Gemeinde die Infrastruktur für die Pendler zum Campus schaffen muss.

 „Mit dem Campus ist die ganze Region aufgewertet, das Image einer Technologie-Region aufgebaut und das Selbstbewusstsein der Menschen im lange benachteiligten Grenzland enorm gestärkt worden“, resümiert Rita Röhrl. Sie fügt aber kritisch hinzu: „Unsere Erfahrungen mit dem Campus zeigen uns auch, dass wir Politiker im Bayerischen Wald insgesamt statt engstirniger Kirchturmpolitik viel mehr in größeren Regionen denken müssen.“
(Hannes Burger)

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