Wirtschaft

Wolfgang Brandl ist nicht nur VBEW-Vorsitzender, sonder auch Geschäftsführer der Stadtwerke Eichstätt. (Foto: Fischer)

22.09.2017

"Es besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf"

Wolfgang Brandl, Vorsitzender des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, über die Energiewende, Klimaschutz, E-Mobilität und Trinkwasserknappheit

Der Abschaltzeitpunkt der Atomkraftwerke rückt immer näher. Doch die Energiewende und die damit verbundenen Herausforderungen, die gelöst werden müssen, scheinen in der Politik kaum noch eine Rolle zu spielen. Darüber sprachen wir mit Wolfgang Brandl, Vorsitzender des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW). BSZ: Herr Brandl, von der Energiewende ist in der Politik kaum noch die Rede. Sind alle Probleme gelöst?
Brandl: Mitnichten, aber aktuelle Themen überlagern die Energiewende. Dabei besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf, wenn man sich den immer deutlicher erkennbaren Klimawandel und aktuell die Hurrikans in den USA ansieht. Ich denke und wünsche mir, dass die energiepolitischen Themen nach der Bundestagswahl wieder an Fahrt gewinnen.

BSZ: Wo hakt es denn bei der Energiewende noch?
Brandl: Die Energiewende wird von der Politik bisher weitgehend noch als reine Stromwende behandelt. Dabei muss es auch zu einer Wärme- und Verkehrswende kommen, um die in Paris international vereinbarten Klimaziele zu erreichen, denen sich auch die Bundesrepublik verschrieben hat. Allerdings schlummern im Verkehrs- und Wärmesektor noch viel größere Herausforderungen als im Strombereich.

BSZ: Wie bewerten Sie die Fortschritte bei der Energiewende in Bayern?
Brandl: Wir sind im Freistaat im Sektor Strom ganz gut vorangekommen. Allerdings werden seit Inkrafttreten der 10H-Regelung weniger neue Windkraftanlagen gebaut. Was nicht verwunderlich ist, weil der Raum für diese Anlagen nicht mehr in der Größenordnung zur Verfügung steht, wie man ihn bräuchte.

BSZ: Wie sieht es bei der Photovoltaik aus?
Brandl: Bedeutend besser. Die Photovoltaik entwickelt sich positiv, weil die bayerische Staatsregierung neben Baden-Württemberg die erste Landesregierung in Deutschland ist, die den Bau von Photovoltaik-Freiflächenanlagen auf landwirtschaftlich benachteiligten Flächen ermöglicht. Das kann der Photovoltaik insgesamt wieder einen Schub verleihen. Daneben laufen PV-Anlagen auf Häusern mit Speichern recht ordentlich.

BSZ: Und was geschieht an der Biogasfront?
Brandl: Der Förderzeitraum für Bestandsanlagen ist zwar verlängert worden, doch der Anlagenneubau lässt auf sich warten. Der Strom aus Biogasanlagen ist auch einer der teuersten aus regenerativen Anlagen.

BSZ: Wie bewerten Sie die Entwicklung insgesamt?
Brandl: Auch in Bayern brauchen wir einen weiteren Zubau an regenerativen Stromerzeugungsanlagen. Der Freistaat als Wirtschaftsstandort kann sich nicht allein auf die Zulieferung von Strom aus Offshore-Windkraftanlagen beschränken. Das Energiesystem lebt vom Ausgleich, sprich auch wir in Bayern müssen in der Lage sein, zum Beispiel überschüssigen Photovoltaikstrom nach Norden zu liefern.

BSZ: Wie viel Anteil erneuerbarer Energie am Gesamtenergieverbrauch haben wir in Bayern inzwischen erreicht?
Brandl: Etwa 20 Prozent des bayerischen Bedarfs werden aus regenerativer Erzeugung gedeckt. Das heißt, dass wir eigentlich fünf Mal mehr entsprechende Anlagen bräuchten, als wir bisher haben, wenn wir unseren gesamten Bedarf selbst decken wollten. Speicher noch gar nicht mitgezählt. Doch das wird nur etwas, wenn die Politik mit ehrgeizigen Zielen vorangeht.

BSZ: Die Landwirte in Bayern wollen von den Gleichstromtrassen finanziell wiederkehrend profitieren. Was halten Sie denn von der sogenannten Bauernmaut?
Brand: Unser Verband vertritt hierzu eine klare Meinung: Wir lehnen die Einführung wiederkehrender Entschädigungszahlungen für die Inanspruchnahme von Grundstücken beim Bau der Gleichstromtrassen ab. Die Einführung einer Bauernmaut ist aus unserer Sicht abzulehnen. Dabei geht es uns nicht darum, den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu verwehren. Aber aus unserer Sicht würde diese Vorgehensweise nicht nur einen Paradigmenwechsel in der bisherigen und seit Jahren bewährten einmaligen Entschädigungspraxis bedeuten, sondern darüber hinaus insbesondere die Gefahr heraufbeschwören, dass diese Vorgehensweise auf die gesamte Ver- und Entsorgungsinfrastruktur ausstrahlt. Wiederkehrende Zahlungen werden nach meiner Auffassung weder rechtlich noch praktisch auf die Gleichstromtrassen zu beschränken sein.

BSZ: Was würde der Paradigmenwechsel bedeuten?
Brandl: Die Auswirkungen wiederkehrender Zahlungen für die Infrastruktur insbesondere in den verdichteten Räumen der Kommunen wären fatal. Man darf nicht verkennen, dass unsere Unternehmen im Sinne einer leistungsfähigen Infrastruktur auch in Zukunft darauf angewiesen sind, Grundstücksinanspruchnahmen zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen umzusetzen. Unsere Ablehnung der Bauernmaut haben wir daher sowohl gegenüber dem Bayerischen Bauernverband als auch gegenüber dem Wirtschaftsministerium deutlich gemacht.

BSZ: Auch andere freuen sich über öffentlichen Geldsegen: die Empfänger von Förderung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Doch bezahlen will die EEG-Umlage niemand so recht. Alle jammern, dass sie viel zu hoch ist. Was könnte für Abhilfe sorgen?
Brandl: Wir plädieren für einen Systemwechsel bei der EEG-Umlage. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir haben sie gemeinsam beschlossen und wir müssen sie deshalb gemeinsam finanzieren. Der VBEW hat zusammen mit dem Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) die Studie „Alternative Finanzierung des EEG-Umlagekontos“ veranlasst. Auf Basis dieser Studie werden von uns folgende Möglichkeiten zur Senkung des Strompreises aufgrund der hohen EEG-Umlage für sinnvoll erachtet (auch kumulativ):
1. Deckelung der EEG-Umlage auf das heutige Niveau über einen Streckungsfonds, jedoch ausschließlich in Kombination mit anderen Maßnahmen,
2. Senkung der Stromsteuer auf das EU-rechtlich erforderliche Mindestmaß,
3. Finanzierung der Besonderen Ausgleichsregelung (BesAR) für stromkostenintensive Unternehmen/Schienenbahnen über den Staatshaushalt.

BSZ: Vom Bundestag beschlossen ist ja die klimaneutrale Energieversorgung ab 2050. Dann kann fossiles Erdgas nur noch in verschreibungspflichtigen Dosen an die Kunden abgegeben werden. Wie geht man damit als Wirtschaftszweig um, wenn man ein Produkt hat, das jeder gerne haben will, es aber bald nicht mehr verkaufen darf.
Brandl: Die klimaneutrale Energieversorgung durch den nahezu vollständigen Verzicht auf den Ausstoß von Treibhausgasen in allen Verbrauchsektoren bis zum Jahr 2050 (85 bis 90 Prozent CO2-Reduzierung) ist sicherlich eine sehr ambitionierte Zielsetzung und nach meiner Auffassung ein Stück weit Vision. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es wohl nicht einmal gelingen wird, das formulierte nationale klimapolitische Zwischenziel bis 2020 die Treibhausgase gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken zu erreichen. Es werden bis 2020 wohl etwa 30 Prozent sein und selbst davon ist ja ein Großteil noch auf den Zusammenbruch der Braunkohlewirtschaft in der DDR zurückzuführen.

BSZ: Wie kann es also gehen?
Brandl: Wenn man die nahezu klimaneutrale Energieversorgung aber als Zielsetzung ernsthaft verfolgt, muss man abseits von Visionen nach konkreten, realistischen Umsetzungsmöglichkeiten suchen. Dabei darf man nicht alle fossile Energieträger über einen Kamm scheren. Man muss sich vielmehr vergegenwärtigen, das Erdgas wesentlich klimafreundlicher ist als Öl und Kohle und daher in den nächsten Jahrzehnten bei der Stromerzeugung, bei der Wärme und im Bereich Verkehr entscheidende Beiträge zur Erreichung der klimapolitischen Ziele leisten kann. Mit der Einspeisung von Biomethan und der Power to Gas Technologie bieten sich zudem Möglichkeiten an, Erdgas immer grüner zu gestalten und dazu die leistungsfähige Infrastruktur des Erdgasnetzes zu nutzen. Vor diesem Hintergrund sehen wir, dass Erdgas „grün kann“ und immer grüner werden wird und damit einen maßgeblichen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten wird. Wir sehen Erdgas auf lange Sicht als Partner der Erneuerbaren. Ohne Erdgas ist eine ambitionierte Klimapolitik sicherlich zum Scheitern verurteilt. Hier nur auf eine Elektrifizierung über die Sektorkopplung zu setzen, wäre ein allein aus technologischer Sicht zu einseitiger Weg. Vor diesem Hintergrund ist mir um unser Produkt Erdgas in allen Varianten nicht bange.

BSZ: Wenn man den Klimawandel begrenzen will, muss man auch die Wasserkraft ausbauen. Doch da macht der Umweltschutz regelmäßig einen Strich durch die Rechnung. Was kann man tun?
Brandl: In der Wasserkraft liegen noch viele Potenziale, auch als Speichermedium. Es muss gelingen, diese unter Beachtung des Naturschutzes zu heben. Darum muss jeder Einzelfall geprüft und dann entschieden werden.

BSZ: Bleiben wir beim Wasser. Es dient ja nicht nur zur Stromerzeugung, sondern bildet in Form von Trinkwasser unsere Lebensgrundlage. In manchen Regionen in Unterfranken wird das Trinkwasser langsam knapp. Hätte man diese Entwicklung nicht absehen können? Haben da einige etwas verschlafen? Was könnte eine Strategie für die Zukunft sein?
Brandl: Die drohende Wasserknappheit in Teilen Unterfrankens lässt uns in Bayern bereits die Auswirkungen des Klimawandels spüren. Im Übrigen stellt man auch in anderen Teilen Bayerns in den letzten Jahren ausgelöst durch die geringen Niederschläge im Winterhalbjahr eine deutlich rückläufige Grundwasserneubildungsrate fest. Speziell in Unterfranken müssen jetzt vor Ort Lösungen gefunden werden, um die Versorgungssicherheit auch im Falle einer Außerbetriebnahme eines Brunnens aufrechterhalten zu können. Sinnvolle Maßnahmen sind hier der Bau eines zweiten Standbeins, der Anschluss an einen Fernwasserversorger und intensivere interkommunale Zusammenarbeit. Und wie bei der Energiewende sieht man auch bei der Wasserversorgung das Problem der gesellschaftlichen Akzeptanz. Bereits vor 30 Jahren gab es Bemühungen, um Trinkwasserspeicher in der Region, die allerdings insbesondere von den Naturschutzorganisationen letztendlich erfolgreich abgelehnt wurden.

BSZ: Angesichts des Diesel-Skandals, steht die E-Mobilität wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Wird sie den Durchbruch in Kürze schaffen und falls ja, sehen Sie das als Chance oder eher als große Belastungsprobe für die Elektrizitätswirtschaft?
Brandl: Wir erhoffen uns einen Durchbruch bei der Elektromobilität. Trotz des Engagements unserer Mitglieder bei der Errichtung von E-Ladesäulen und beim Einsatz von E-Fahrzeugen in den Unternehmen besteht jedoch zweifelsfrei noch ein hoher Bedarf beim Ausbau der Lade-infrastruktur. Hier haben wir das klassische „Henne Ei-Problem“. In diesem Zusammenhang ist es sicherlich erfreulich, dass Bayern neben dem Förderprogramm des Bundes ein eigenes Förderprogramm für E-Ladeeinrichtungen aufgelegt hat, das am 1. September 2017 mit einem ersten Förderaufruf gestartet ist.

BSZ: Halten unsere Stromnetze es überhaupt aus, wenn alle ihr E-Auto laden und haben wir genug Strom dafür?
Brandl: Ein zunehmender Erfolg der Elektromobilität ist naturgemäß mit der Erhöhung des Strombedarfs verbunden. Die Herausforderung wird dabei aber nicht in der Bereitstellung der Strommenge, sondern in der zeitgleichen Zurverfügungstellung der erforderlichen Leistung liegen. Bei der Elektromobilität steht unser Wirtschaftszweig damit noch vor großen Herausforderungen, die wir aber sehr gerne annehmen und für lösbar halten. Denn ohne Verkehrswende bleibt die Energiewende auf der Strecke liegen.

BSZ: Abschließend noch eine Frage zu Ihrer Rolle als VBEW-Vorsitzender. Sie sind vor Kurzem in die dritte Amtsperiode gestartet und Ihr Verband verzeichnet einen recht deutlichen Mitgliederzuwachs. Wer kommt denn da so in den VBEW rein? Macht das Ihnen als Vorsitzender die Arbeit leichter oder schwerer?
Brandl: Zu unseren Mitgliedsunternehmen zählen seit vielen Jahrzehnten kleine und mittlere, kommunale, private und genossenschaftliche Energie- und Wasserversorgungsunternehmen ebenso wie Konzernunternehmen. Daneben gewinnen wir gerade in letzter Zeit auch immer mehr Mitglieder, die sich mit neuen Geschäftsmodellen im Bereich der regenerativen Energien engagieren. Damit wächst natürlich die Interessen- und Meinungsvielfalt in unserem Verband und die Meinungsbildung in den Lenkungsausschüssen und im Vorstandsrat unseres Verbandes wird herausfordernder. Als Vorsitzender stehe ich dabei wie im Übrigen alle Entscheidungsgremien des Verbandes in der Verpflichtung, darauf zu achten, dass unsere Sprachfähigkeit zu den energie- und wasserwirtschaftlichen Themen erhalten bleibt. Diese Fähigkeit haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen und sie hat die Stärke unseres Verbandes unterstrichen. Dies auch weiter sicherzustellen wird sicherlich eine der Herausforderungen in den kommenden zwei Jahren meiner Amtsperiode darstellen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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