Wirtschaft

Botschafter Sir Sebastian Wood (rechts), daneben Peter Schmalz, der Vorsitzende des Münchner Presseclubs. (Foto: Paul)

23.10.2017

"Exit vom Brexit? Wenn die EU das versucht, wird es härter und schmutziger!"

Der britische Botschafter Sir Sebastian Wood über die Austrittsverhandlungen seines Landes mit Brüssel

Sir Sebastian Wood, der britische Botschafter in Deutschland, war gestern zu Gast im Münchner Presseclub. Thema: der Brexit seines Landes. Im Gespräch sparte der Diplomat nicht mit Vorwürfen an den Vertretern der EU. Großbritannien ist der drittgrößte Handelspartner Deutschlands. Bei deutschen Firmen sind rund 350.000 britische Arbeitnehmer beschäftigt, umgedreht arbeiten eine Viertelmillion Bundesbürger für Arbeitgeber von der Insel. Wie diese Zusammenarbeit ab 1. April 2019 – an diesem Tag verlassen die Briten laut Plan die EU – geregelt sein wird, ist unklar. „Die EU der 27 konzentriert sich noch immer hauptsächlich auf die Modalitäten des Austritts“, klagt Sebastian Wood. Dagegen sei man noch nicht viel weiter in der Frage, welches konkrete Verhältnis danach bestehen soll.  Die „engstmögliche Beziehung, die seitens der Union mit einem Drittstaat möglich ist“: Das formulierte der Botschafter als Wunsch seines Landes – neben dem Handel vor allem in den Bereichen Bildung und Wissenschaft, aber auch bei der Sicherheit. Großbritannien sei bereit, auch künftig für die Sicherheit der befreundeten Länder auf dem Kontinent mit einzustehen, versicherte Sebastian Wood. „Aber jetzt warten wir auf ein Signal der EU, dass diese das auch will.“

"Wir sollten nicht über zehn Milliarden streiten"

Neues Lockangebot der Briten: Ab 1. April 2019 soll eine zweijährige Übergangsfrist laufen, in der EU-Bürger weiter die gleichen Ansprüche an den britischen Sozialstaat anmelden können wie Einheimische. Zur Erinnerung: Die Brexit-Befürworter hatten unter anderem damit geworben, dass Arbeitsmigranten – vor allem aus Osteuropa – künftig nicht mehr alimentiert werden. Im Gegenzug erwartet man in London, dass sich Brüssel großzügig zeigt bei laufenden Zahlungsverpflichtungen. „Wir sollten hier nicht über zehn Milliarden streiten“, meinte Botschafter Wood. Und wenn der Brexit gar nicht kommt – etwa wegen einer erneuten Abstimmung der Briten mit einem dann anderen Ausgang? Sebastian Wood schüttelt den Kopf: „In 83 Prozent der Wahlkreise waren die Menschen für den Austritt. Wenn die EU der 27 jetzt hofft, die Stimmung zu drehen – dann birgt das nur die Gefahr, dass der Brexit noch härter und schmutziger wird.“ Doch warum sind seine Landsleute eigentlich so interessiert daran, zu gehen? Sebastian Wood bemüht Geschichte: „Anders als etwa für Deutsche, Franzosen und Italiener war die EU für uns nie ein Friedens-, sondern in erster Linie ein Wirtschaftsprojekt. Die brutalen kontinentalen Kriege früherer Jahrhunderte haben wir nicht mitgemacht.“ Entscheidender aber sei die Angst vor dem Verlust nationaler Souveränität: „Unser Parlament ist über 800 Jahre alt, das älteste Europas. Wir wollen nicht, dass es Kompetenzen abgeben muss an Behörden in Brüssel, die keiner so richtig gewählt hat.“ (André Paul)

Kommentare (2)

  1. Mick am 24.10.2017
    Ich kann die benannten Ursachen für den Brexit so nicht erkennen. Ich habe vor 15 Jahren mal auf der Insel gelebt und schon damals waren die Bausteine des Brexit klar erkennbar. Für mich war es nie eine Frage des ob sondern nur des wann, wann Großbritannien aus der EU ausscheidet.

    Es gibt drei große Interessengruppen, die die EU beschädigt haben. Da wäre zuerst die Britische Presse, die in weiten Teilen von Rupert Murdoch beherrscht wird. Selbst die konservative Times und die auflagenstarke Sun gehört dazu. Es gibt aber auch noch unseriösere, regelrecht propaganda-orientierte Blätter wie den Daily Express, der von einem ehemaligen Porno-Verleger produziert wird. All diese Blätter schlagen seit Jahrzehnten mit wachsender Begeisterung auf die EU ein. Ob ein Hochhaus brennt, ein Verbrecher vorzeitig freikommt oder eine Rezession droht. Immer ist die EU schuld. Alles Positive wird in England selbst verortet. Wir sind die guten.

    Die zweite Gruppe sind die Politiker, die in schöner Regelmäßigkeit auf die EU gezeigt haben, wenn etwas schief gelaufen ist. Auch hier wurde alles positive als britische Leistung dargestellt und alles Negative als EU getrieben. Man denke nur an die Auftritte von Boris Johnson, in denen er schamlos die Kosten eines Brexits abstritt, ein Handelsabkommen als gegeben ansah und schonmal anfing das Geld zu verteilen, das nicht mehr bezahlt werden muss.

    Und damit haben die beiden Vorgenannten nationalistischen Strömungen in England Vorschub geleistet, die sich dann in Parteien wie der UKiP und ihrem langjährigen Vorsitzenden Nigel Farange widerspiegelte. Farange ist Europaabgeordneter und Banker und lebt ein Bild von England, das es vielleicht in den Geschichtsbüchern noch gibt aber nicht in der Realität. Das war die dritte große Strömung.

    Diese drei Bewegungen haben letztlich den Brexit erst möglich gemacht. Wer die Landkarten sah, in denen nahezu alle Wahlkreise gegen die EU gestimmt haben (ausser London), der kann ermessen, dass kein einfaches Beidrehen möglich sein wird.

    Die EU macht das auch genau richtig, indem sie den Briten den Weg zum Exit nicht verstellt aber gleichzeitig auch wenig Entgegenkommen zeigt. Ich denke, die Briten können nur von aussen lernen, was es heißt nicht in der EU zu sein. Wenn die EU ihre jetzige Krise gemeistert hat und das kann auch leicht zehn Jahre dauern, dann wird es auch den Briten klarer werden, daß der Schritt aus der EU fast keines ihrer Probleme gelöst hat.

    Und dann kann man vielleicht auch über einen Beitritt erneut nachdenken. Aber ich bin nicht wirklich sicher, ob das für die EU eine gute Idee wäre.
  2. Karlo am 23.10.2017
    Ich wohne selbst seit 5 Jahre in England, meine Frau und ich haben dort gearbeitet unser Sohn studiert ( ist fast fertig).
    Wir haben eine Menge Geld in das Land gebracht. Es hat und gefällt uns auch noch, obwohl ich gleich nach dem Referendum
    mehrfach persönlich als Ausländer angefeindet wurde. Schön war das zusammen sein und arbeiten mit Menschen aus der ganzen Welt.
    Wir haben zwischenzeitlich ein neues kleines Unternehmen in Deutschland gegründet welches sehr gut angelaufen ist.
    Dennoch möchten wir nicht zurück nach Deutschland aber die EU Ist groß! Die Wahl zwischen Nationalismus in England und AFD in Deutschland ist schon sch.....!
    Ich meine Familie und auch viele Freunde wünschen uns einen knallharten Brexit, nach dem Motto wer nicht hören will muss fühlen.
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