Wirtschaft

Ministerpräsident Horst Seehofer war in diesem Jahr schon zweimal in Moskau. (Foto: dpa)

04.08.2017

Handel zwischen Bayern und Osteuropa steigt

Dialog ist laut Ministerpräsident Horst Seehofer nicht nur für die Lösung von Konflikten wichtig, sondern auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit

Die derzeit wieder gefeierte „Landshuter Hochzeit“ von 1475 zwischen BayernHerzog Georg, dem Reichen, und der polnischen Königstochter Jadwiga erinnert daran, wie durch Bayerns gesamte Geschichte Herzöge, Kurfürsten, Fürstbischöfe und Könige ebenso wie die alten Reichsstädte Nürnberg und Regensburg bemüht waren, Bayern als deutsches „Tor nach Osten“ zu sehen. In dieser Tradition hat die bayerische Staatsregierung im ersten Halbjahr 2017 besonderes Augenmerk auf die Pflege der Beziehungen zu Russland und anderen osteuropäischen Nachbarn gelegt. Ministerpräsident Horst Seehofer sieht langfristig beiderseits gute Renditen.

Bayern hat lange und enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland


„Bayern hat sehr lange und enge historische Kontakte und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und vielen Ländern im Osten und Südosten Europas. Bayern hatte daher auch sehr stark unter dem Eisernen Vorhang zu leiden.“ So erklärt Ministerpräsident Horst Seehofer das besondere In-teresse des Freistaats an den östlichen Nachbarn, das er als seine „Osteuropa-Strategie“ bezeichnet: „Wir in der CSU reden auch mit Andersdenkenden und nicht nur mit Gleichgesinnten. Wir sagen offen unsere Meinung, versuchen aber auch, konträre Ansichten und Argumente unserer Nachbarn zu verstehen.“

Das bayerische Motto „Reden bringt d’Leut’ zamm’“ zieht sich als roter Faden durch Seehofers Osteuropa-Strategie. In der Voraussicht, dass im Bundestags-Wahlkampf vom Sommer bis Jahresende kaum Zeit für Auslandsreisen bleibt, hat der Ministerpräsident das Programm für Besuche in Mittel- und Osteuropa bereits im Frühjahr 2017 begonnen: Russland hat er zweimal besucht und dabei Präsident Wladimir Putin getroffen: am 17. März in Moskau und am 2. Juni in Petersburg. Zusammen mit der CSU-Landtagsfraktion war er am 2. Mai in Prag und hat dort „sehr freundschaftliche“ Gespräche mit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka geführt. Am 24. Mai folgte Seehofer der Einladung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko nach Kiew und am 22. Juni traf er in Ljubljana Sloweniens Staatspräsident Borut Pahor und einige Regierungsmitglieder zu politischen Gesprächen.

Wirtschaftskontakte nach Osteuropa vermitteln und pflegen


Unabhängig davon wurden unter Leitung von Staatskanzleiminister Marcel Huber und Europaministerin Beate Merk regelmäßige Gespräche auf politischer wie auf Expertenebene mit Tschechien, Ungarn, Polen, der Slowakei, Estland, der Ukraine, den West-Balkan-Staaten und weiteren südosteuropäischen Staaten geführt. Neben der Vermittlung und Pflege von Wirtschaftskontakten, der Absprache über gemeinsame europapolitische Ziele oder neue Projekte, sowie der konkreten Umsetzung von Wissenschafts- und Kulturabkommen gibt es auch eine Reihe von langjährigen routinemäßigen Kooperationen in gemeinsamen Kommissionen: bei der Ausbildung und Zusammenarbeit in Verwaltung, Polizei und Justiz oder der grenzüberschreitenden Bekämpfung von Korruption über organisierte Kriminalität im Menschen-, Waffen- und Drogenhandel bis zu Kultur, Wissenschaft und Jugendaustausch.

Dass der Freistaat Bayern seit Jahrzehnten ungeachtet von Kritik und Spott aus zentralistischen „Hauptstadt-Medien“ in Berlin eigene Wege in Richtung Osten geht, hat für Seehofer auch noch andere Gründe: „Die meisten östlichen Nachbarstaaten sind nach Fläche und Einwohnerzahl gleich groß oder kleiner als Bayern, aber halt souveräne EU-Mitglieder. Sie sehen sich mit uns eher auf Au-genhöhe als mit dem viel größeren Deutschland.“

Auf dem Bezirksparteitag der CSU in Viechtach nannte Seehofer einen weiteren Grund für das Interesse, das Bayern ins Osteuropa entgegengebracht wird: „Die bayerischen Grenzregionen konnten ja nichts dafür, dass sie wegen der Teilung Deutschlands und Europas lange benachteiligt waren. Wir haben durch anhaltende und systematische Strukturpolitik erreicht, dass diese Regionen aufgeholt haben. Sie sind dadurch heute erfolgversprechend für die Zukunft aufgestellt. Dieses positive Beispiel ist auch für osteuropäische Staaten im Umgang mit ihren Grenzregionen interessant.“

Bayern ist wichtiges Tor nach Deutschland


Für die meisten Staaten im Osten Bayerns ist der Freistaat von der Verkehrsinfrastruktur bis zu Handel, Wirtschaft und Kultur ein wichtiges Tor nach Deutschland. Man unterstützt sich gegenseitig, sei es in Berlin oder in Brüssel. Die kleine Republik Slowenien ist dafür ein typisches Beispiel. Die ist mit gut zwei Millionen Einwohnern auf 20.000 Quadratmetern Fläche etwa doppelt so groß wie Niederbayern, aber EU-Mitglied. „Bayern hat sich 1991 aus Überzeugung für die Eigenstaatlichkeit Sloweniens mit eingesetzt“, sagte Seehofer vor seinem Besuch in Ljubljana: „Heute sind wir Partner in einem vereinten Europa und arbeiten eng zusammen. Das Handelsvolumen zwischen Slowenien und Bayern hat sich im letzten Jahrzehnt ständig gesteigert, zuletzt um über zehn Prozent. Darauf wollen wir aufbauen und die Zusammenarbeit intensivieren.“

Manche osteuropäischen Staaten sind inzwischen unter den TOP 10 der wichtigsten Handelspartner Bayerns – nach Westeuropa, den USA, China und Russland. Aber auch die Zusammenarbeit mit schwächeren Staaten bleibt nicht ohne wirtschaftliche Vorteile in beide Richtungen. Das zeigt sich am jährlich je nach Land zwischen fünf und zehn Prozent gestiegenen Handelsvolumen und hat sich auch auf Bayerns Exporte in die neu erschlossene Märkte im Osten ausgewirkt. Seehofer: „Das Handelsvolumen mit Polen hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verfünffacht und das Handelsvolumen mit der Russischen Föderation ist im selben Zeitraum um mehr als 80 Prozent angestiegen.“

Bayern sorgt für 20 Prozent des deutsch-russischen Handelsvolumens


Über 20 Prozent des gesamten Handelsvolumens zwischen Deutschland und Russland werden laut russischen Angaben von bayerischen Unternehmen erbracht und von diesen stammt auch über die Hälfte aller deutschen Direktinvestitionen in Russland. Infolge der gegenseitigen Sanktionen war es dann zeitweise rückläufig.

„Darum“, folgert Seehofer, „sind die EU-Sanktionen für Bayerns Unternehmen und unsere Landwirtschaft besonders schmerzlich und Fortschritte beim Minsker Abkommen wichtig.“

Insgesamt erwies sich die Erweiterung der EU nach Osteuropa als Treibkraft für die Exportgeschäfte von Bayerns Wirtschaft mit den Ländern Mittel- und Osteuropas. Allein seit der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 bis zur Wirtschaftskrise 2008 hatten sich die bayerischen Exporte in die neuen Mitgliedstaaten fast verdoppelt und nach kurzem Rückschlag schnell wieder erholt und ausgeweitet. Nur mit der Ukraine gibt es kriegsbedingte Rückgänge.

Natürlich sind die Besuche Seehofers wie die Beziehungen zu Osteuropa insgesamt von recht unterschiedlichem politischen und wirtschaftlichen Gewicht. Je nach Anlass und Ziel der Auslandsreisen wurde der Ministerpräsident von Landespolitikern, sowie von Vertretern der Wirtschaft und Medien begleitet. Aber gerade in Slowenien, dem kleinsten besuchten Land, war Seehofer vom erfolgreichen urbanen Umweltschutz in Ljubljana sehr beeindruckt: „Bei allem bayerischen Selbstbewusstsein sind unsere Delegationen immer wieder erstaunt, was wir überall Interessantes dazu lernen können, das unseren Ehrgeiz wieder neu anstachelt.“

Gewichtige Gespräche


Die gewichtigsten Gespräche – politisch wie wirtschaftlich und kulturell – waren natürlich die beiden Treffen Seehofers mit Präsident Putin in Moskau und in Petersburg. Während US-Präsident Obama Russland „nur eine Regionalmacht“ nannte, hat Seehofer in dem bekannten Satz von Strauß dessen Ironie verstanden: „Russ-land ist nur ein Pufferstaat zwischen den Großmächten Bayern und China!“ Der CSU-Chef ist sich der Größenverhältnisse bewusst.

Seehofer ist von Grund auf ja gelernter Innenpolitiker und hat nicht die in Berlin oft aus Argwohn unterstellte „Nebenaußenpolitik“ im Sinn. Er hält nicht viel von der politischen Wirkung wirtschaftlicher Sanktionen, sondern ist vorwiegend darauf bedacht, auf lange Sicht das freundschaftliche Verhältnis der beiden nie in eigene Kriege verwickelten Länder Russland und Bayern aufrechtzuerhalten.

Deutlicher als andere Politiker hält er wie sein Vorgänger Stoiber Russland nicht für einen Gegner Europas, sondern zählt Moskau und Petersburg ebenso zu Europa wie Paris Rom, Prag oder London.
Das beiderseitige Interesse an Kooperationen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur nutzt Seehofer auch zur Pflege freundlicher Gesprächskontakte abseits außenpolitischer Zuständigkeit – aber durchaus im Interesse der Kanzlerin. Was der CSU-Chef von Merkel inoffiziell an Putin übermittelt und umgekehrt von ihm an sie, findet sich öffentlich nur in vorsichtigen Allgemeinsätzen wieder: „Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir miteinander reden und nicht übereinander. Nur so können wir konstruktive Perspektiven für die Zukunft aufzeigen.“

Schwierige Zeiten


Ähnlich vorsichtig lautete Seehofers Kommentar zum Höflichkeitsbesuch bei Präsident Poroschenko in Kiew: „Die Gestaltungskraft von Politik liegt im Zusammenführen. Dazu muss man das Gespräch mit allen Seiten führen und versuchen, Brücken zu bauen. Das gilt gerade in schwierigen Zeiten. Nur wenn wir miteinander reden, haben wir die Chance auf konstruktive Lösungen.“

Den ersten Versuch, Kontakte zur Ukraine aufzubauen, hatte bereits Ministerpräsident Max Streibl 1990 in Kiew unternommen. Streibls Empfehlung, das größte europäische Flächenland mit einer föderalistischen Verfassung in eigenständige Regionen zu gliedern, fiel damals in Kiew auf Unverständnis. Es ist heute eine der Ursachen für die Aufstände von Separatisten in der Ostukraine. Seehofer mahnt: „Auch die Ukraine hat eine Bringschuld gemäß dem Minsker Abkommen!“

Russischer Großauftrag für Industriegasespezialist Linde unterzeichnet


Bei der Gründung einer russisch-bayerischen „Arbeitsgruppe Wirtschaft“ in Moskau betonte Seehofer: „Dialog und Austausch sind nicht nur für die Lösung von Konflikten wichtig, sondern auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in solchen Foren.“ Immerhin konnte er für diese bayerische Politik über Krisenzeiten hinweg aus Petersburg eine „reiche Ernte“ mit heimbringen: einen russischen Großauftrag für das Industriegasunternehmen Linde AG, zu dessen feierlicher Unterzeichnung er anlässlich des Internationalen Wirtschaftsforums in Petersburg zusammen mit Präsident Putin Pate stand.
Dabei geht es nach russischen Angaben für den Industriegase- und Anlagenbau von Linde langfristig um ein Zehn-Milliarden-Euro-Projekt für einen Standort der Petrochemie zirka 800 Kilometer östlich von Moskau in der ölreichen Teilrepublik Tatarstan. Der Linde-Konzern sieht darin eine gute Grundlage, sich für weitere Aufträge in dem für Osteuropa so wichtigen Wachstumsmarkt mit Industriegas- und Anlagenbau zu positionieren.

Institutionalisierte Partnerschaft zwischen der Region Moskau und Bayern


Den Dialog über Krisen hinweg aufrecht zu erhalten, wirkt sich aber – weit über die institutionalisierte Partnerschaft zwischen der Region Moskau und dem Freistaat Bayern hinaus – besonders in Bereichen aus, die nicht von Sanktionen betroffen sind. Davon künden bereits 107 Partnerschaften zwischen bayerischen Fachhochschulen und Universitäten, mit entsprechenden Hochschuleinrichtungen in russischen Regionen. Beim Besuch von Seehofers Delegation in Moskau wurde zudem ein Memorandum über engere kulturelle Zusammenarbeit unterzeichnet: Es betrifft die Förderung im Bereich Musik, Theater, Tanz, Film, Bildende Kunst, sowie Schutz des Kulturerbes, Eindämmen illegalen Kunsthandels und Austausch von Ausstellungen wie Kooperation im Tourismus.

Beide Seiten können auf ein reiches gemeinsames Kulturerbe zurückgreifen. Seehofer hat dabei jedoch auch zugesichert, für die „Erinnerungskultur“ mehr zu tun. Es geht darum, die Erinnerung an Tausende sowjetische Kriegsgefangene zu bewahren, die von den Nationalsozialisten in Lagern in Bayern erschossen wurden oder verhungert sind. Seehofer: „Wir sind noch nicht fertig, dieses Kapitel der NS-Verbrechen aufzuarbeiten und die Namen der Opfer würdig in Steinplatten zu meißeln. Die Klärung dieser Schicksale kann nur gelingen, wenn bayerische und russische Institutionen enger zusammenarbeiten.“
(Hannes Burger)

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