Wirtschaft

Vor allem Windkraftanlagen sorgen regelmäßig für Spannungen zwischen Betreibern und Bevölkerung. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

19.04.2024

"Keine Lust mehr auf Doppelmoral und Plattitüden"

Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, blickt zurück auf seine Laufbahn in der Energiebranche

Einer der größten Kritiker der Energiewende in Bayern geht zum 30. Juni 2024 in den Ruhestand. Nach Stationen beim Bayernwerk und dem TÜV kam Detlef Fischer (56) im November 2001 zum Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. Dort wurde er 2008 Geschäftsführer und 2022 Hauptgeschäftsführer. Er ist CSU-Mitglied, gilt in seiner Partei aber vielen als unbequem, weil er Sachverhalte gern mal unverblümt anspricht.

BSZ: Herr Fischer, Sie haben sich immer als „Kerni“ bezeichnet, weil Sie früher für die bayerischen Kernkraftwerke gearbeitet haben. Dann sind Sie zum „Erneuerbaren“ geworden und haben die Energiewende massiv mit angeschoben. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Detlef Fischer: Ich bin noch immer ein überzeugter Befürworter der Kernenergie. Aber irgendwann muss man erkennen und auch einsehen, dass diese Technologie in Deutschland keine ausreichende gesellschaftliche Akzeptanz für sich in Anspruch nehmen kann. Man hat dann zwei Möglichkeiten: Auswandern oder sich eben mit dem anfreunden, was eine höhere Akzeptanz genießt. Ich habe mich vor 23 Jahren für letzteres entschieden und bin zum VBEW gegangen. Dass auch der Ökostrom, insbesondere der aus Windkraft und jetzt wieder auch zunehmend aus PV-Freiflächenanlagen oder aus Wasserkraft in Teilen der bayerischen Bevölkerung auf Ablehnung stößt, hat mich dann aber die letzten Jahre schon arg verwundert.

BSZ: Alle schwärmen vom Wasserstoff. Ist das der Heilsbringer, oder doch nur eine sündteure Angelegenheit?
Fischer: Der Wasserstoff hat bereits mehrere Anläufe hinter sich, Bestandteil unserer Energieversorgung zu werden. Er ist in der Vergangenheit hauptsächlich an den Kosten aber auch an technischen Problemen gescheitert. In der Industrie wird er stofflich schon lange eingesetzt. Die Wertschöpfungskette „Wasserstoff“ in der Energieversorgung ist im Vergleich zu direkten Stromanwendungen mit erheblichen Ineffizienzen behaftet, deswegen wird er auch zukünftig vorrangig dort eingesetzt werden, wo Stromanwendungen nicht möglich sind beziehungsweiese die Kosten eine untergeordnete Rolle spielen. Der Wasserstoff wird seine Rolle bei der Energiewende finden, zum Beispiel auch als Lückenfüller in der Rückverstromung, wenn der Strom aus Wind und Sonne nicht hinreichend zur Verfügung steht. Die Hoffnungen von Teilen der Gaswirtschaft, dass der Wasserstoff das Erdgas 1:1 ersetzt, wird sicher nicht in Erfüllung gehen, so leid es mir auch für unsere Gaswirtschaft tut. Ich habe meine Heizung auf eine Luft-Wasser-Wärmepumpe umgestellt. Nach dem ersten Winter kann ich sagen: Einfach eine prima Lösung!

Was gerade dem Wählermainstream entspricht

BSZ: Wie bewerten Sie den Kurs der bayerischen Staatsregierung in Sachen Windenergie? Die Bayerischen Staatsforsten zum Beispiel gestalten ihre Ausschreibungen so, dass Bürgerwindanlagen kaum möglich sind.
Fischer: Die bayerische Staatsregierung orientiert ihre Auffassung zur Energieversorgung daran, was gerade dem Wählermainstream entspricht. Dafür kann man Verständnis aufbringen, wenn man außer Politik sonst nichts Brauchbares gelernt hat und daher unbedingt wiedergewählt werden muss. Mit dieser Logik kann man vielleicht eine Pandemie managen, eine Energiewende aber nicht. Hier geht es um Strategien, die man mehrere Jahrzehnte durchhalten muss und auch mal mit Gegenwind aus der Bevölkerung zurechtkommen muss.

BSZ: Macht das die Politik in Bayern?
Fischer: Das hat die Staatsregierung lange nicht begriffen und ich bin auch nicht sicher, ob sie es mittlerweile verinnerlicht hat. Wie sagte unser ehemaliger Ministerpräsident Horst Seehofer immer so schön: Mein Koalitionspartner ist der Bürger. Ich bin kein Befürworter der unmittelbaren finanziellen Bürgerbeteiligung in der Energieversorgung. Wenn der Bürger nur dann eine Windkraftanlage akzeptiert, wenn er davon unmittelbar profitiert, dann tut er mir leid. Man muss sich doch fragen, wo hört das dann auf. Wenn der eine Bürger von der Windkraftanlage profitiert, möchte doch der nächste Bürger von der neuen Autobahnausfahrt oder vom geplanten Hühnerstall in seiner Umgebung profitieren. Aus meiner Sicht ist die Bürgerbeteiligung ein Irrweg, der die Energiewende insgesamt nur teurer macht als sie eh schon ist. Mit dieser Auffassung gewinnt man derzeit aber keinen Blumentopf. Die finanzielle Bürgerbeteiligung ist Mainstream. Ich habe keine Lust mehr auf diese Doppelmoral und Plattitüden.

BSZ: Wird der Freistaat die angestrebte Klimaneutralität bis 2040 schaffen?
Fischer: Dieses Ziel zu erreichen, wird jeden Tag ein Stück unwahrscheinlicher und man müsste auch mal endlich definieren, was man unter Klimaneutralität genau versteht. Momentan fliegen wir zum Beispiel alle hinter der deutschen Staatsgrenze klimaneutral in den Urlaub, die CO2-Emissionen tauchen in keiner Statistik auf. Wir sind im Grunde bei keinem einzigen Indikator auf dem Zielpfad. Einzig bei der Photovoltaik waren wir in 2023 zum ersten Mal innerhalb des notwendigen Ausbaukorridors. Es müsste schon ein gewaltiger Ruck durch unsere Gesellschaft gehen, um dieses Ziel auch nur irgendwie schöngerechnet noch zu erreichen. Ich bin sehr gespannt, wie lange es noch dauert, bis man sich ehrlich macht und vor allem wer damit anfängt. Und vor allem wer dann daran schuld ist, dass wir gescheitert sind. Die Wahrheit dazu wäre: Es ist ein kollektives gesamtgesellschaftliches Versagen. Die Schuld auf die Politik oder gar auf die Energiewirtschaft zu schieben, springt viel zu kurz.

BSZ: Warum wird nach wie vor die Geothermie als gigantische Wärmequelle so stiefmütterlich behandelt?
Fischer: Die Nutzung der Geothermie, die Nutzung der Umgebungswärme und der Wärme aus Gewässern jeweils über Wärmepumpen wird ihren Weg machen. Man darf nicht vergessen, das sind für viele klassische Energieversorger neue Technologien und es ist eben auch einfacher, an den alten Geschäftsmodellen festzuhalten und diese weiterzuentwickeln.

Nicht fortlaufend auf die Bundesregierung schimpfen

BSZ: Was müsste Bayern von der Bundesregierung verlangen, damit es in Sachen Energiewende ein gutes Ende nimmt?
Fischer: Die Bayern – und damit meine ich in diesem Fall die bayerische Staatsregierung – sollte nicht fortlaufend auf die Bundesregierung schimpfen. Im Grunde macht die Ampel doch vieles richtig, was die Energiewende angeht. Sie hat sogar der bayerischen Staatsregierung auf die Sprünge in Sachen Windenergie geholfen. Sie hat auch versucht, den Bürgern etwas abzuverlangen, leider hat der BILD-Zeitungsjournalismus und die Hetze in den sozialen Medien vieles davon zerstört. Die Demo in Erding im Jahr 2023 war dann der Super-GAU. In Bayern will man fünf Jahre früher klimaneutral werden als der Bund, dann muss man auch mehr und es schneller machen und nicht weniger und langsamer. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen und die Steilvorlagen aus Berlin nutzen und sie nicht bekämpfen.

BSZ: Das E-Auto, egal ob zum Fahren oder als Stromspeicher, gehört auch in den Themenkreis Energiewende. Was sagen Sie dazu, dass jetzt anscheinend wieder mehr Verbrenner zugelassen werden?
Fischer: Ich fahre seit über zehn Jahren ausschließlich elektrisch, insgesamt etwa 500 000 Kilometer, bin noch nie liegengeblieben und genieße jeden Tag einfach das tolle Fahrgefühl, der Anzug eines Elektroautos und das gesamte Fahrverhalten sind einfach gigantisch. Wie eingangs erwähnt haben weite Teile der Gesellschaft noch nicht begriffen, dass man ein klimaschonendes Leben führen kann und trotzdem Spaß daran hat.

BSZ: Sie waren über 30 Jahre in der bayerischen Energiewirtschaft tätig. Was ist gut gelaufen und was schlecht?
Fischer: Die Lichter sind in Bayern nie flächendeckend ausgegangen und die Stuben sind stets warm geblieben. Das ist für viele in unserem Land zwar selbstverständlich, aber in Wirklichkeit schon eine herausragende Leistung der bayerischen Energiewirtschaft. Das Hin- und Her in der Bundes- und Landesenergiepolitik und im Grunde auch die Konzeptlosigkeit hat unserem Wirtschaftszweig und unserem Wirtschaftsstandort schon arg zugesetzt. Das Setzen von ehrgeizigen Zielen in der Klimapolitik ist gut, werden diese jedoch utopisch, führt dies zu „hochinteressanten“ Verhaltensweisen in der Politik und der Energiewirtschaft. Psychologen sprechen da gerne von kognitiven Dissonanzen. Diese zu beobachten und zu analysieren, wird mir in den nächsten Jahren bestimmt viel Freude bereiten.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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