Wirtschaft

Zusammen mit der Enthüllung eines Megaposters an der Fassade des Hauses der Bayerischen Wirtschaft stellte die vbw ihr Programm zur Europawahl 2024 vor. (Foto: Friedrich H. Hettler)

26.03.2024

Keine Rückkehr zu nationalstaatlicher Kleinkrämerei

vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft stellt Sieben-Punkte-Programm zur Europawahl 2024 vor

Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. hat vor Kurzem in München ihr Programm für die Europawahl vorgestellt. Dabei brach vbw-Präsident Wolfram Hatz uneingeschränkt eine Lanze für die Europäische Union (EU). Die Wahl am 9. Juni bezeichnete er als Schicksalswahl. Die Menschen in Deutschland genauso wie in vielen anderen Ländern Europas würden dann über die Zukunft der Europäischen Union entscheiden.

Die Alternativen liegen laut Hatz klar auf der Hand: „Bleibt es bei einem Europa, das seit beinahe acht Jahrzehnten Wohlstand, Frieden und Freiheit gebracht hat. Oder gewinnen die radikalen Kräfte insbesondere vom rechten Rand die Oberhand, die Europa von innen aushöhlen und zerstören wollen.“

Es geht bei dieser Wahl, so der vbw Präsident, also um mehr als nur um Wirtschaft, auch wenn dieses Thema für die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft natürlich eine zentrale Rolle spielt. Seiner Ansicht nach geht es am 9. Juni um Grundlegendes, und zwar um Demokratie, Stabilität und natürlich auch darum, wie man den Wohlstand bewahren kann.
„Letztlich geht es damit auch um unsere Art zu leben, um ein vielfältiges, pluralistisches, tolerantes Europa“, betonte Hatz. Aus diesem Grund hat die vbw ihre Aktivitäten bei dieser Wahl etwas anders aufgesetzt als sonst. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft rückt bei dieser Wahl nicht ihre Forderungen an die EU in den Mittelpunkt, sondern die Gründe, die für das europäische Projekt und seine Weiterentwicklung sprechen.

„Damit“, so Hatz, „wollen wir dafür werben, dass möglichst viele Menschen am 9. Juni wählen gehen und für eine starkes, handlungsfähiges und prosperierendes Europa abstimmen. Denn klar ist: Je mehr Bürgerinnen und Bürger an der Europawahl teilnehmen und pro-europäische Parteien der politischen Mitte wählen, desto geringer ist die Gefahr eines Wahlerfolgs der Rechtsradikalen. Deshalb wollen auch wir unseren Beitrag leisten, die Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren und für die Bedeutung dieser Wahl zu sensibilisieren.“

Konzentration auf die wesentlichen Aufgaben

Allerdings heiße das nicht, dass die bayerische Wirtschaft der Europäischen Union kritiklos gegenübersteht, betonte Hatz. „Wir wollen kein anderes Europa, so wie jene rechtsradikalen Parteien, die von einer Rückkehr zu nationalstaatlicher Kleinkrämerei träumen. Aber wir wollen ein besseres Europa. Wir brauchen und wir wollen keinen europäischen Superstaat, der alle Lebensbereiche kleinteilig reguliert. Wir brauchen vielmehr eine EU, die sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentriert. Kurz: Wir brauchen mehr Europa im Großen und weniger Europa im Kleinen.“

Für die Wirtschaft heißt das nach den Worten des vbw-Präsidenten: Es darf in Europa nicht um Arbeitsnachweise Brüsseler Beamter gehen, die am Ende nur die Unternehmen schikanieren. Die EU darf vielmehr nur dort tätig werden, wo sie einen echten Mehrwert für die Unternehmen schaffen kann – sei es bei der Vollendung des Binnenmarkts, beim Abschluss von Handelsverträgen oder bei der weltweiten Sicherung der Rohstoffversorgung. „Wenn Europa in ökonomischen Fragen so handelt, ist es ein Gewinn für uns alle.“

Das vbw-Programm zur Europawahl umfasst sieben Punkte beziehungsweise Gründe, in denen die bayerische Wirtschaft darlegt, wo die Europäische Union aus ihrer Sicht noch besser werden kann und muss.

Erstens: Die EU steht für Frieden, laut Hatz ein ganz zentraler Punkt. Denn Frieden sei die Grundvoraussetzung dafür, dass ein Gemeinwesen auch wirtschaftlich blühen und gedeihen kann. Insofern ist für ihn das Zusammenwachsen Europas und die damit seit Jahrzehnten verbundene friedliche Lösung der Konflikte untereinander eine weltweit einzigartige Erfolgsstory, „das wohl größte Friedenswerk der Menschheitsgeschichte.“

Allerdings sei dieses Friedenswerk durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine massiv bedroht. Die EU könne sich mittlerweile nicht mehr bedingungslos auf den Schutz durch die USA verlassen, sondern muss ihr Schicksal verstärkt in die eigenen Hände nehmen. Das heißt für die vbw, man muss sich besser als bisher verteidigen können. Die bayerische Wirtschaft tritt daher für eine Europäische Verteidigungsunion ein. Man müsse in der EU dringend zu einer vertieften gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommen, um sich vor militärischen Bedrohungen von außen schützen zu können.

Dazu gehört für die vbw auch, dass man militärische Strukturen und Fähigkeiten auf europäischer Ebene bündeln muss. Kein EU-Mitgliedstaat sei in der Lage, im Alleingang die nächste Generation von Verteidigungsgütern zu entwickeln und zu finanzieren. „Wir müssen hier in Europa zu mehr Gemeinsamkeit finden und damit auch effizienter werden. Denn Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts.

Als zweiten Punkt nannte Hatz: Die EU schafft Wohlstand. Er belegte das mit ein paar wenigen Zahlen und Fakten. Durch den Wegfall von Zöllen, Handelshemmnissen und Wechselkursrisiken nach Einführung des Euro habe sich der Handel in der Europäischen Union in den letzten 30 Jahren beinahe versechsfacht.

Nicht alle würden wissen, dass die EU für das Exportland Deutschland wichtiger ist als China und die USA zusammen. Bayern profitiere vom zusammengewachsenen Europa besonders stark, denn über die Hälfte der bayerischen Ausfuhren gehen in Staaten der Europäischen Union.

„Dabei hat uns auch die Währungsunion geholfen. Ich will nur daran erinnern, welchen Schaden die regelmäßigen Abwertungen der italienischen Lira gegenüber der D-Mark gerade auch in der bayerischen Wirtschaft angerichtet haben. Diese Abwertungen haben teilweise über Nacht die Kalkulation von Geschäften mit italienischen Partnern zunichte gemacht und insgesamt hohe Unsicherheit geschürt“, erklärte der vbw-Präsident.

Dexit: Vorsätzliche
Vernichtung von Wohlstand

Deshalb wären der von der AfD immer wieder ins Spiel gebrachte Austritt Deutschlands aus der EU, der sogenannte Dexit, und die Abkehr vom Euro eine vorsätzliche Vernichtung von Wohlstand in unserem Land, gab Hatz zu bedenken. Fachleute schätzen seinen Worten zufolge, dass ein Verlassen des Binnenmarkts in Deutschland zu einem Wachstumsverlust von bis zu 10 Prozent führen würde. Zudem stünden mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Wenn es Ziel der EU sei, den Wohlstand in der Gemeinschaft zu sichern, müsse sie allerdings die Standortbedingungen weiter verbessern. „Wir brauchen ein Umfeld, in dem Unternehmen neu entstehen, wachsen und erfolgreich sein können. Dazu gehört auch, die Industrie in Europa zu stärken, damit sie auch in Zukunft der Wachstumsmotor in Europa sein kann. Ich nenne nur ein Beispiel: Die USA haben es mit ihrem Hunderte Milliarden schweren Inflation Reduction Act vorgemacht, wie man die Transformation der Industrie einfach und unkompliziert fördern kann. Die EU hält hier sogar größere Summen bereit, doch die Förderbedingungen sind viel zu komplex, unsicher und bürokratisch, sodass das Geld kaum fließt – und den Unternehmen nicht hilft.“ Es gehe hier also nicht um mehr Geld, sondern um mehr Pragmatismus. Doch daran fehlt es laut Hatz in Brüssel leider nicht nur an dieser Stelle.

Drittens: Die EU überwindet Grenzen. Herzstück der EU ist für die bayerische Wirtschaft die grenzenlose Mobilität für Bürgerinnen und Bürger, Waren, Dienstleistungen und Kapital – die vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts. Damit sei in Europa der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt geschaffen worden. Dass Deutschland und Bayern davon in besonderer Weise profitieren, belege auch folgende Zahl: Zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland stammen aus dem EU-Ausland. Zudem habe Deutschland im europäischen Ländervergleich durch den Binnenmarkt die höchsten Einkommensgewinne erzielt. Tatsache ist für Hatz auch, dass das Potenzial des Binnenmarkts bei Weitem noch nicht ausgeschöpft ist.

Ein für die bayerische Wirtschaft besonders wichtiger Punkt ist, dass der grenzüberschreitende Einsatz von Mitarbeitenden noch immer viel zu kompliziert ist und dringend vereinfacht werden muss. Darüber hinaus müssen die Energiemärkte noch enger zusammenwachsen, so der vbw-Präsident. „Wir brauchen eine Digitalunion und neben dem Bargeld den digitalen Euro. Auch die Kapitalmarktunion muss weiterentwickelt werden. All das eröffnet neue Wachstumschancen, die wir in Europa nutzen müssen.“

Als vierten Punkt nannte Hatz: Die EU erhöht unser Gewicht in der Welt. Das liege nicht nur daran, dass 450 Millionen Europäer*innen zusammen stärker sind als 85 Millionen Deutsche oder 13 Millionen Bayern. Wichtiger noch sei, dass die EU unter ihrem Dach mit Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und weitere führende Industrienationen vereint.

Die Bedeutung der Europäischen Union zeige sich daran, dass sie für kaum mehr als 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber für 16,5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts steht.

Die starke Stimme, die der EU ihre wirtschaftliche Kraft verleiht, muss sie aber, so der vbw-Präsident, auch wirksam einsetzen. Angesichts von Tendenzen einer Deglobalisierung müsse sich die EU mehr denn je für Freihandel, offene Märkte, faire Regeln und eine internationale Arbeitsteilung einsetzen. Ferner müsse die Europäische Union die Partnerschaft mit den USA stärken und dürfe die Idee eines transatlantischen Handelsabkommens nicht aufgeben.

„Anders als es viele in den USA gern sähen, darf die EU im Umgang mit China nicht auf ein De-Coupling setzen, also auf ein Abkoppeln von ihrem zweitwichtigsten Handelspartner. Geboten ist hier vielmehr ein De-Risking durch mehr Handel mit anderen Ländern und Regionen in der Welt. Dazu gehört auch, dass sich die EU mit aller Kraft um die Erschließung neuer Rohstoffquellen kümmert und einseitige Abhängigkeiten verringert“, betonte Hatz.

Fünftens: Die EU vereinfacht das Wirtschaften. „Wenn wir an Europa denken, dann denken wir häufig zuallererst an überbordende Bürokratie und Regulierungswut. Fakt ist aber auch, dass der gemeinsame europäische Rechtsrahmen für die Unternehmen in der EU vieles einfacher macht“, erklärte der vbw-Präsident. So habe die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten über 3600 Normen harmonisiert. Das spare gewaltig Kosten und eröffne den Unternehmen finanzielle Spielräume, die sie anderweitig nutzen können.

Es bleibe dennoch eine Kernaufgabe der EU, so Hatz, den europäischen Paragrafendschungel zu lichten und den Brüsseler Regulierungseifer zu zügeln. Dringend notwendig sei ein Stopp jeglicher zusätzlicher Überregulierungen durch die EU, aber auch die Rücknahme überflüssiger und schädlicher Regulierungen. Insbesondere beim Green Deal schieße die EU laut Hatz weit übers Ziel hinaus. So verlange sie etwa von den Unternehmen eine geradezu uferlose Berichterstattung im Bereich Nachhaltigkeit. Diese Berichtspflichten müssen deutlich reduziert und vor allem besser aufeinander abgestimmt werden.

Als sechsten Punkt nannte der vbw-Präsident: Die EU schützt das Klima. Tatsache sei, dass die Europäische Union weltweit der Treiber für den Schutz des Klimas ist. Die Europäische Union müsse aber immer wieder das Bewusstsein dafür schärfen, dass die eigenen Klimaziele nur mit einer starken europäischen Wirtschaft zu erreichen sind.

Der Weg zum Klimaschutz führe nicht über Restriktion, sondern über Investition und Innovation. Der Green Deal sei hier das zentrale Regelwerk, um die industrielle Erneuerung der europäischen Industrie hin zur Klimaneutralität voranzutreiben. „Dieser an sich richtige Ansatz darf aber nicht durch falsche Ausgestaltungen konterkariert werden. Stand heute ist er zu kleinteilig, zu bürokratisch. Die Transformation muss gefördert, anstatt durch Verbote und überzogene Regulierungen erzwungen zu werden. Dazu gehöre die Sicherstellung preiswerter Energie, um Produktionsverlagerungen und einer Deindustrialisierung Europas entgegenzuwirken. Deshalb müse der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben und ein europäisches Wasserstoffnetz aufgebaut werden.

Werte hochhalten
und verteidigen

Siebtens: Die EU ist ein Anker der Stabilität. In einer Welt, die von großen Unsicherheiten geprägt sei und immer mehr aus den Fugen gerate, stehe die Europäische Union verlässlich für freiheitliche Demokratie, soziale Marktwirtschaft und eine offene Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der autoritäre Regime auf dem Vormarsch seien, müsse Europa seine Werte hochhalten und verteidigen. Das gelte vor allem auch gegenüber jenen, die das gesellschaftliche Klima in den Mitgliedstaaten vergiften und Menschen aufgrund ihrer Herkunft ausgrenzen wollen. „So werden wir die Arbeits- und Fachkräfte nicht nach Europa bekommen, die wir auch in Deutschland so dringend brauchen. Ich sage aber auch: Wenn Europa wieder mehr Akzeptanz in der Bevölkerung finden will, muss es der ungeordneten Migration endlich Einhalt gebieten“, betonte Hatz.

Abschließend erklärte Hatz, dass die Europäische Union nicht perfekt ist, sie es auch nie gewesen ist, und sie es auch in den kommenden fünf Jahren nicht werden wird. „Wir dürfen aber bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen: Die Europäische Union ist das Beste, was unserem Kontinent in seiner von fürchterlichen Kriegen geprägten Geschichte widerfahren ist. Ihre Mitgliedstaaten haben Gräben überwunden und ein Europa geschaffen, das uns allen nützt und unsere Freiheit schützt. Aber: Das Bessere ist der Feind des Guten. Jetzt gilt es, Europa weiter voranzubringen und dabei auch wirtschaftlich zu stärken.“

Für das Erstarken der AfD machte Hatz die Politik der Ampel-Koalition in Berlin verantwortlich. Auch sei die SPD nicht mehr wie früher die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen. Diese fühlen sich nicht mehr repräsentiert von den Sozialdemokraten und sehen sich, zumindest zum Teil, besser aufgehoben bei der AfD. Überall in Europa gebe es das Gefühl, so der vbw-Präsident, am politischen und gesellschaftlichen Geschehen nicht beteiligt zu sein. Sollte es daher am 9. Juni europaweit zu einem Rechtsruck kommen, sieht Hatz ein Auseinanderdriften Europas und befürchtet das Hochkommen von Nationalismen. (Friedrich H. Hettler)

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