Wirtschaft

Sparkassen, Raiffeisenbanken und Volksbanken kooperieren nicht nur in solchen SB-Filialen wie in Seligenporten (Landkreis Neumarkt/Opf.), sondern auch beim Kampf gegen überbordende EU-Bürokratie. Denn sie müssen nach den Plänen der EU-Kommission genauso viel Berichtspflichten bewältigen wie Großbanken. foto schweinfurth

07.07.2017

Mittelstandsbanken im Würgegriff der EU-Bürokratie

Genossenschaftsbanken, Sparkassen und kleine Privatbanken sind wegen verschärfter EU-Regulierung in Aufruhr

Genossenschaftsbanken, Sparkassen und kleine Privatbanken sind wegen der verschärften EU-Regulierung in Aufruhr. Nach der Finanzkrise 2008/2009 wurden von der EU-Kommission neue Vorgaben für Banken ausgearbeitet, die große wie kleine Banken über einen Kamm scheren. Nur Deutschland und Österreich sind die EU-Länder, wo sich mittelständische Unternehmen bei kleinen Banken vor Ort Kredite besorgen. Auf einer Konferenz in der bayerischen Landesvertretung in Brüssel forderten Banken- und Wirtschaftsvertreter aus Bayern und Österreich im Schulterschluss die EU-Kommission und das EU-Parlament auf, dem besonderen Charakter der kleinen Banken Rechnung zu tragen (Proportionalität).

„Small banking box“


Anlass ist ein Änderungsvorschlag der EU-Kommission vom 23. November 2016 zur Eigenkapitalrichtlinie, mit dem die Reformagenda des Finanzmarktes vollendet und verbliebene Schwachstellen beseitigt werden sollen. Zwar kommt die EU-Kommission den Mittelstandsbanken mit dem Vorschlag entgegen, indem sie Eigenmittelanforderungen bei KMU-Krediten nach unten rekalibriert (Verankerung des KMU-Korrekturfaktors), aber beim bürokratischen Aufwand belässt sie es beim Alten und macht für kleine Banken keine Ausnahmen.

In der Eingangshalle der bayerischen Landesvertretung in Brüssel lag es aus: Das gemeinsame Positionspapier mit der Forderung nach Proportionalität, das heißt nach einer „Small banking box“, unterschrieben von den Leitern/Leiterinnen der Industrie- und Handelskammern in Bayern, der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern, der österreichischen Wirtschaftskammer WKÖ, des Bayerischen Bankenverbands, des Genossenschaftsverbands Bayern und des Sparkassenverbands Bayern.

Übers Ziel hinaus


Die verlässliche Kreditversorgung des Mittelstands sei in Gefahr, heißt es in dem siebenseitigen Positionspapier. Aktuell unterlägen die mittelständischen Kreditinstitute in Europa – anders als in den USA – im Wesentlichen den gleichen Regulierungsanforderungen wie Großbanken („one size fits all“). Viele dieser Vorgaben seien sinnvoll, weil sie die Finanzstabilität erhöhten. Allerdings seien die Vorschriften auf systemrelevante Großbanken zugeschnitten. Gleiches gelte für die Anforderungen der europäischen Bankenaufsicht. Für kleine Banken und Sparkassen schössen Regulierung und Aufsichtsmaßnahmen weit über das Ziel hinaus. Besonders deutlich werde dies bei den Offenlegungs- und Meldepflichten sowie dem Risikomanagement. Die Umsetzung der überbordenden Regulatorik belaste kleine Banken und Sparkassen erheblich. Es drohten strukturelle Veränderungen im deutschen Bankensektor, welche die Realwirtschaft in Mitleidenschaft zögen. Deshalb müsse die Bankenregulierung so weiterentwickelt werden, dass mehr Verhältnismäßigkeit geschaffen werde.

Stephan Dreyer von der Unternehmensberatung ZEB aus Münster schilderte die Lage der mittelständischen Regionalbanken, von denen es nach seinen Aussagen in Deutschland 1556 und in Österreich 419 gebe. Zwar seien sie wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank unter Stress und verdienten gerade noch die Eigenkapitalkosten, also die Dividende, die ihre Anteilseigner als Minimum erwarteten, aber das sei nicht das Hauptproblem, sondern die Regulierungslast, die immer schwerer geworden sei. Bis 2016 habe sich die Zahl der Regulierungsinitiativen aus Brüssel auf 368 angehäuft. Unter dieser Last würden viele kleine Banken zugrunde gehen oder gezwungen sein, mit anderen zu fusionieren. „Die Banken werden größer, um sich das Kleinsein leisten zu können“, beschrieb Dreyer den paradoxen Trend. Wenn überhaupt mache das Größerwerden nur in Zentren mit hoher Wirtschaftskraft Sinn, in ländlichen Gebieten nicht. Dreyer prognostizierte, dass es im Jahre 2021 nur noch 275 Sparkassen und 620 Genossenschaftsbanken in Deutschland und Österreich geben werde, wenn sich an der Bankenregulierung nichts ändere.

Gian Angelo, Chef der Unioncamere del Veneto, der Handelskammer Venetien (Region in Norditalien) beschrieb eine abschreckende Regionalbankenszene in Italien: „Unsere Sparkassen sind nicht so bedeutend wie in Deutschland und Österreich“, meinte er fast ironisch. „Ja wir haben fast keine mehr“, sagte der Italiener auf Deutsch. Viele Kooperative stünden vor der Schließung, weil sie zu wenig mit Eigenkapital ausgestattet seien. Die Aktionäre wollten sie nicht am Überleben halten (kein „bail-in“), weshalb die Kooperative von großen Banken übernommen würden, die den großen Unternehmen, aber nicht den kleinen und mittleren Unternehmen Kredite gewähren würden. „Dabei bräuchten wir in Italien Banken, die den KMU nahe sind.“

Keine Privatbankiers mehr


Wilfried Gerling, Vorstandsvorsitzender der Münchner Bank e.G., warnte vor einem Verschwinden der „Artenvielfalt“ in der Bankenlandschaft, einen Vergleich zur Natur ziehend. „Wir haben heute gar keine Privatbankiers mehr“, bedauerte er. „Stabilität gibt es nur bei Artenvielfalt. Ist es gut, wenn alle dasselbe Geschäftsmodell haben?“ Algorithmen, also verordnete Handlungsvorschriften, wo nur ein Computerprogramm anhand von dürren Kennzahlen darüber urteilt, ob ein Kreditnehmer kreditwürdig ist, führten zu dieser Gleichmacherei. Eine Bank vor Ort, ein Bankmitarbeiter mit persönlichem Kontakt, der spürt, ob ein Unternehmer willensstark und verlässlich genug ist, ein kreditfinanziertes Projekt durchzuführen, würde den Kredit geben; ein Algorithmus nicht, erläuterte er am Rande der Veranstaltung im Gespräch mit der Staatszeitung. Und selbst bei aufgrund von Algorithmen vergebenen Krediten seien die Risiken nicht weg. Die Beschäftigung mit den starren und zeitaufwendigen Handlungsanweisungen, die die Bankenregulierung vorgebe, koste Zeit, die dann dem eigentlichen Bankengeschäft, der Kundenberatung, fehle. „Wussten Sie, dass auf meinen Vorstandssitzungen zu 70 Prozent über regulatorische Vorschriften gesprochen wird?“

Hans Medele, Geschäftsführer einer gleichnamigen Autohauskette in Südbayern, wo Gefährte mit dem Stern verkauft werden, beschrieb, wie ihm eine Sparkasse durch die Krise half. Die Banken hätten nur nach dem Firmenwert und den Wert der Vertriebsrechte gefragt, als er die Schuldenzinsen, nicht, aber die Schulden zahlen bzw. zurückzahlen konnte. Keine Großbank hätte ihm einen Kredit gegeben und auf den Kapitalmarkt gelange man als KMU gar nicht.

Claudia Schlebach, Abteilungsleiterin Unternehmensförderung, Gründung, Gewerberecht der IHK für München und Oberbayern, sagte, dass die Geschichte vom Autohaus Medele kein Einzelfall sei, sondern üblich: „Wir kennen das Problem. Die kleinen Hausbanken seien diejenigen, die unsere Unternehmen mit Krediten versorgen, die großen Banken tun’s nicht“. Denen wären die Unternehmen zu klein. „90 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen haben weniger als zehn Mitarbeiter“.

Strukturen passen zusammen


„Die politische Struktur (Kommunen), die Bankenstruktur (Sparkassen und Genossenschaftsbanken) und die Wirtschaftsstruktur (Mittelstand) passen in Deutschland eben zusammen“, sagte der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) und als Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses ein Experte in europäischen Bankenregulierungsfragen. „Gut, dass Sie den Finger in die Wunde legen. Wir schauen uns das an“, versprach Ferber bezüglich der Forderung nach mehr Proportionalität. Ferber wandte aber ein, dass man verstehen müsse, wo die Bankenregulierung eigentlich ihre Ursache habe: Nach der Bankenkrise wollte man verhindern, dass die Steuerzahler noch einmal für Bankenrettungen aufkommen müssten. Viele benutzten den Begriff „Proportionalität“, meinten aber nicht dasselbe. Man könne ihn nicht nur an der Bilanzsumme festmachen, also sagen, dass eine Bank mit einer Bilanzsumme von weniger als fünf Milliarden Euro nicht kapitalmarktorientiert sei, das heißt keine Wertpapiere ausgebe.

Zwar sei der Retail-Banking-Markt einfach zu verstehen und zu kontrollieren, aber oft überschnitten sich die Grenzen zwischen dem klassischen Kreditgeschäft und dem riskanteren Kapitalmarktgeschäft, wo Rentenpapiere, Aktien und Derivate gehandelt werden. Da sei der Grundsatz „same business – same risks – same rules“ nicht anzuwenden. Der CSU-Politiker sagte auch, dass die europäische Zentralbank (EZB) sich die Daten von 95 Prozent aller Banken in der EU anschauen will und darf, dass das EU-Parlament hier aber keine Möglichkeiten habe, das zu verhindern. Dass Ferber über die EZB nicht gut zu sprechen ist, kam zum Ausdruck, als er schilderte, dass einmal ein EZB-Mitarbeiter im Frankfurter Eurotower zum ihm gesagt habe, dass Deutschland „overbanked“ sei, dass es da also zu viele Banken gäbe. Allein in seiner Heimatstadt Augsburg gibt es laut Ferber 42 unabhängige Banken. Es sei doch gut, sich nicht auf Monokulturen zu spezialisieren, was er damit ähnlich formulierte wie der Münchner Bank-Chef Gerling, der von „Artenvielfalt“ als Finanzstabilitätsfaktor gesprochen hatte. Er verstehe den Missmut der kleinen Banken, die 163 zu beachtenden Regeln für einen einfachen Kredit für zu viel halten. Die Botschaft sei in Brüssel angekommen. Erreichen könne man aber nur ein abgespecktes Regelwerk für alle Banken und kein Extra-Regelwerk für kleine Banken.

„Think small first“


Wenig verriet Gintaras Grikas, Policy Officer in der EU-Kommissionsabteilung Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion (GD FISMA) über die weiteren Schritte der EU-Kommission: „Bei uns gilt das Motto ‚think small first’. Wir hatten lange über Proportionalität nachgedacht und die Diskussion ist nicht vorbei.“ Raum für mehr Proportionalität sei da. „Wir müssen weiter daran arbeiten.“ Ferber rechnet damit, dass er nächstes Jahr um diese Zeit in Trilog-Verhandlungen zu dem Thema stecken werde, also Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Finanzministerrat. Claudia Schlebach von der IHK für München und Oberbayern dauert das zu lange: „Es muss dieses Jahr etwas passieren, sonst müssen unsere Banken stille Reserven auflösen.“
(Rainier Lütkehus)

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