Wirtschaft

So idyllisch sieht es rund um das tschechische Atomkraftwerk Temelin aus. (Foto: Wraneschitz)

05.10.2012

Strittiger Einblick ins Pannenregister

Atomgegner dürfen bislang nicht in brisante Unterlagen des tschechischen Atomkraftwerks Temelin blicken

„Stoppt Temelin!“ Das Motto beim „2. Internationalen Hearing AKW Temelin“ war eindeutig. Vor Kurzem veranstalteten Die Grünen aus dem Fichtelgebirge in der Tschechischen Republik eine Diskussionsveranstaltung mit dem dortigen Kernkraftwerksbetreiber CEZ. Sollte es eine Charmeoffensive des tschechischen halbstaatlichen Energieriesen CEZ und der Regierung der Tschechischen Republik gegenüber deutschen Atomgegnern sein? Eine auffällige Geste: Mit Dana Drábová, der Präsidentin der staatlichen Atomsicherheitsbehörde, und Temelin-Kraftwerksdirektor Milos Stepanovsk saßen den etwa 50 Gästen zwei der wichtigsten tschechischen Energierepräsentanten in einer ausführlichen Diskussion gegenüber. Zumal auch noch die politische Entscheidung für ein neues staatliches Energiekonzept der Tschechischen Republik kurz vor der Veranstaltung um zwei Wochen nach hinten verschoben worden war.
Darum lobt Brigitte Altmann, Grünen-Kreisvorsitzende im oberfränkischen Wunsiedel und Organisatorin „die ganz andere Atmosphäre als vor einem Jahr“. Auch damals hatten sich deutsche, österreichische und tschechische Umweltaktivisten in Temelin versammelt, um das Infozentrum des Kraftwerks anzusehen. Und um Abschaltpläne zu schmieden, vor allem gegen Temelin 1 und 2, aber auch gegen alle anderen Atomblöcke der Tschechischen Republik. Temelin 1 lief vor knapp zehn Jahren an. Viele Pannen sind dokumentiert, die jüngste erst vor wenigen Tagen. Natürlich „unbedeutend und ohne Auswirkung auf die Umwelt“, wie CEZ auch diesmal wieder beteuerte.
Jan Haverkamp von der Umweltorganisation Greenpeace sieht das völlig anders. Der Niederländer mit tschechischen Wurzeln kämpft schon seit einem Dutzend Jahren gegen Temelin. Wegen einer Schweißnaht hat Haverkamp sich durch tschechische Gerichtsinstanzen geklagt. „2010 hat das Verfassungsgericht die vierte Entscheidung gegen uns getroffen“, ärgert sich der Umweltaktivist noch heute. Nun bleibt nur noch der Weg nach Aarhus, um herauszubekommen, ob in Temelin 1 wirklich ein Rohr zuerst falsch angebracht, dann wieder abgesägt, gedreht und neu angeschweißt worden ist. Temelin-Chef Milos Stepanovsk dazu: „Wir verheimlichen nichts.“
Doch Greenpeace hat nicht gegen CEZ geklagt, sondern gegen die Sicherheitsbehörde. Die müsse Inspektionsberichte haben, aus denen es wiederum Hinweise zu Schweißlogbüchern gäbe. Und darin müsste stehen, was genau im Jahre 2000 an der Schweißnaht 1-4-5 in Temelin geschah, vermuten die Umweltschützer.
„Einen Fall Schweißnaht 1-4-5 gibt es gar nicht“, behauptete dagegen die Atomsicherheitschefin Dana Drábová der Tschechischen Republik zur Verwunderung der deutschen Gäste. Fast zeitgleich versprach Temelin-Chef Milos Stepanovsk der Staatszeitung: „Ich bin bereit, unseren Experten mit einem echten Schweißexperten die Dokumentation über diese Schweißnaht prüfen zu lassen.“ Nur Jan Haverkamp wolle er nicht dabei haben. Zwei neue Reaktorblöcke für Temelin
Die Atomsicherheitschefin Drábová ist übrigens auch Vorsitzende einer offiziell unabhängigen, staatlichen Expertenkommission. Genau jener, die der Regierung per Energiekonzept vorschlägt, die Kernkraftkapazität in der Tschechischen Republik zu verdoppeln. Allein in Temelin sollen zu den beiden bestehenden Atomblöcken zwei weitere gestellt werden.
Das zu verhindern, sieht der tschechische Grüne Martin Bursik als wichtige Aufgabe. Den ausländischen Atomgegnern schlägt der ehemalige Umweltminister vor: Um den Temelin-Ausbau zu verhindern, gelte es, „den Stromexport nach Deutschland und Österreich einzustellen“. Dann wäre der CEZ der Aufbau weiterer Kernkraftblöcke vermiest, meint er. Denn schon heute produzieren die Temelin-Reaktoren nur Strom fürs Ausland, rechnet er vor.
Aber ob sich der tschechische Umweltaktivist gegen die Interessen der Energiewirtschaft wird behaupten können, ist fraglich. Immerhin hat die deutsche Bundesregierung für Temelin 3 und 4 bereits Letters of Interest (LOI) für Hermes-Exportkreditbürgschaften in Aussicht gestellt. Das bestätigt das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium. Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) kann an diesem Verhalten nichts Kritisches erkennen. „Jede deutsche Firma hat das Recht auf Exportbürgschaften, so lange sie nicht Pornos in Tschechien produziert“, sagt er der Staatszeitung.
Hermes-Sicherheit kann dann zum Tragen kommen, wenn eine in Deutschland ansässige Firma die neuen AKW in Temelin bauen dürfe. Drei Reaktortypen sind zurzeit in Diskussion – einer wird auch von der deutschen Areva-Tochter in Erlangen angeboten.
Für die Atomkritiker die spannende Frage: Wie wird sich die CSU verhalten? Wird sie einerseits eine Berliner Regierungsentscheidung für die Exportgarantie mittragen, obwohl sie sich andererseits bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) über das Umweltministerium Bayern öffentlich gegen den Ausbau von Temelin positioniert hat?
Ein As gegen den Ausbau hat Brigitte Artmann kürzlich aus dem Ärmel gezogen: „Ich klage bei der EU-Kommission gegen den Anhörungstermin in Budweis.“ Vor ein paar Monaten waren dort die Einwendungen gegen die UVP behandelt worden. Für die oberfränkische Grüne in einer Art, die europäisches Recht verletzt. Zur Klage gegen das UVP-Verfahren sei sie sogar von der EU-Kommission explizit aufgefordert worden, erklärt sie. Und auch an das Aarhus-Komitee in Genf hat sich Artmann gewandt. Denn sie fordert für die neu geplanten Temelin-Blöcke einen eigenen Anhörungstermin in Deutschland. „Unfälle in Kernkraftwerken in Südböhmen wirken sich auch auf die Nachbarländer aus“, stimmen Umweltschützer aus Österreich und Tschechien mit den Deutschen überein.
„Das tschechische Energiesystem ist korrupt“
Aarhus: Dort wurde vertraglich festgelegt, wie sich Staaten auch beim Ausbau von Kernkraftwerken gegenseitig anhören müssen – und was die Verbände dazu sagen dürfen. Dass genau der tschechische Grüne Martin Bursik für die Republik Tschechien die Unterschrift unter den Aarhus-Vertrag gesetzt hat, gibt der Auseinandersetzung noch mehr Brisanz.
Denn Bursik ist überzeugt: „Das tschechische Energiesystem ist korrupt. Bevor wir Grünen ins Parlament kamen, habe ich ein Angebot von 40 Millionen Kronen bekommen. Offiziell hätte es von Umweltfirmen kommen sollen. Doch als ich nachforschte, zeigte sich für mich: Die Gelder stammen von CEZ.“ Was er aber heute nicht mehr beweisen könne, bedauert Bursik auf Nachfrage. Abgelehnt hat er die „Spende“ dennoch.
„Durch solche Veranstaltungen zeigen wir Präsenz auch gegen die Betreiber und das möglicherweise korrupte System in Tschechien“, stößt Elmar Hayn ins gleiche Horn. Der Nürnberger Grünen-Schatzmeister war in Temelin dabei, „weil durch einen Störfall auch unsere Region Nürnberg sehr stark von der Radioaktivität betroffen ist. Durch die ausweichenden Antworten von CEZ und der Atomaufsicht bekommt man immer stärker das Gefühl, die haben was zu verheimlichen“, fasst er die Diskussion mit den tschechischen Energieverantwortlichen zusammen. Außerdem „müssen wir die stark drangsalierten Bürgerbewegungen in Südböhmen von außerhalb unterstützen, auch auf europäischer Ebene“.
Diese Unterstützung wollen die Deutschen demnächst unter Beweis stellen. Am 18. Oktober kommen Atomsicherheitspräsidentin Dana Drábová und Temelin-Direktor Milos Stepanovsk nach Wunsiedel. „Unter der Regie unseres CSU-Landrats Karl Döhler geht es speziell um die Schweißnaht 1-4-5“, blickt die Grüne Brigitte Altmann ein paar Wochen voraus. „Auch die bayerische Atomaufsicht ist angefragt.“ Die könnte ja gleich einen Schweißexperten mitbringen, den der Kraftwerkschef akzeptieren würde, philosophiert sie. Und hofft, dass dann „schnell das Aus für Temelin 1 kommt – aus Sicherheitsgründen.
PS: Nicht nur Deutsche oder Österreicher sind gegen Atomstrom aus Temelin, es gibt auch tschechische Kernkraftgegner wie den Verein „Verein Havariezone“ aus dem 30-km-Umkreis der Reaktoren. Der kritisiert die „Genehmigungsverfahren nach dem Prinzip Schwejk: Einmal sagt man, dieses Thema kommt später. Und später heißt es, man hätte eher reagieren müssen. Nur einmal war das Verfassungsgericht auf unserer Seite, beim Zwi-schenlager. Hier musste uns die Genehmigungsbehörde Einblick geben. Doch bis das Gericht entschieden hat, war die Baugenehmigung da. Wir klagten gegen die Baugenehmigung, doch CEZ durfte schon bauen.“
(Heinz Wraneschitz)

Kommentare (1)

  1. sparEfroh am 25.10.2012
    Was können wir(außer protestieren/bei Wahlen unser Anliegen klar zum Ausdruck bringen/Stromwechseln)JETZT sofort und täglich immer wieder tun? STROMSPAREN! Beispiel?
    Sehen Sie in Ihren Kühlschrank,wie ist der Temperaturregler eingestellt? 5-6(oder7-8,je nach Skala)?
    Ihre Lebensmittel sind i.d.R.auch mit 8°C(Regler auf 1)statt 3-5°C hinreichend gekühlt und Sie sparen ca 10% Ihres Kwh-Jahresverbrauchs ein.Ich mache das übrigens bei jedem Kühlschrank der meinen Weg kreuzt(und um den sich keiner so recht kümmert...)
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